Die Nervosität an den Anleihemärkten ist gestiegen. Die Zinskurven sind in Bewegung geraten – vor allem am kurzen Ende, in einigen Regionen zuletzt mit einem kräftigen Schub aufwärts. Dies führte zu einer deutlichen Kurvenverflachung etwa in den Staatsanleihemärkten in Kanada und Großbritannien, aber auch in den USA. Auch die Renditedifferenz zwischen zehn- und dreißigjährigen Bundesanleihen hat sich auf zuletzt 28 Basispunkte (per Ende Oktober) verringert. Dahinter dürften auch Positionsanpassungen von großen Investoren wie Hedgefonds stehen, die zu einer erhöhten Volatilität führten.
Auch wenn dies kein Automatismus ist und es stark auf die treibenden Faktoren ankommt: Eine sich vom kurzen Laufzeitenbereich her verflachende Zinskurve in einem Umfeld einer sich abschwächenden Wachstumsdynamik – wie es in einigen Ländern zu beobachten ist – wird von einigen Investoren als ungünstiges Vorzeichen für Risikoanlagen wie Aktien gewertet. Es kursierte denn auch bereits das Wort des möglichen „Policy errors“ – eines geldpolitischen Irrtums der Notenbanken. Denn die am Markt eingepreisten Zinserwartungen bei den Leitsätzen der US-Notenbank Federal Reserve und der Europäischen Zentralbank (EZB) liegen um einiges entfernt von den von den Notenbanken selbst kommunizierten Erwartungen (Forward Guidance) der Notenbanken. Es gibt aber auch die gegenteilige Meinung, dass die Notenbanken zu lange locker bleiben und die bestehenden Inflationsrisiken unterschätzen.
Die Notenbanken, insbesondere die EZB, befinden sich im Dilemma: Verhält sich die EZB so, wie es die vorausgeeilten Zinserwartungen der Märkte nahelegen, und schraubt sie bereits im nächsten Jahr an der Zinsschraube, läuft sie Gefahr, damit den Aufschwung abzuwürgen und ihr Inflationsziel nach dem Auslaufen von Sondereffekten wieder zu verfehlen. Stellt sich die Inflation als hartnäckiger heraus als gedacht und zögert die Notenbank zu lange mit ersten Maßnahmen, läuft sie Gefahr, später dann umso stärker reagieren zu müssen.
Deutlicher Inflationsanstieg in Europa
Aktuell scheint die Inflation – bedingt durch kräftig gestiegene Energiepreise und Engpässen in Lieferketten – die Erwartungen der Notenbanken zu übertreffen. In Deutschland stieg die Inflation im Oktober beispielsweise um 4,6 Prozent und in Spanien sogar um 5,5 Prozent. Gespiegelt wird dies in den am Markt eingepreisten Erwartungen: Fünfjahres-Inflationserwartungen sind in den USA gemessen an den Inflationsswaps auf den höchsten Stand seit sieben Jahren gestiegen. Auch im Euroraum liegen sie auf dem höchsten Stand seit August 2014.
Dabei betonen die Federal Reserve wie auch zuletzt wieder die EZB sowie die Bank of Japan, dass sie von einer rückläufigen Teuerungsdynamik im nächsten Jahr ausgehen. Insgesamt besteht Einigkeit darüber, dass die Inflation im Jahr 2022 fällt, aber mittelfristig der Preisdruck zunimmt. Uneinigkeit besteht am Markt darüber, auf welches Niveau die Teuerung nach Auslaufen der aktuellen Sonderfaktoren fallen wird und wie stark der Preisdruck mittelfristig zunehmen könnte. Anhänger des Szenarios, wonach die Inflation nicht vorübergehend hoch ist, sondern dauerhaft hoch bleiben könnte, fanden in dieser Woche Argumente in Kanada, Brasilien und Australien. Die kanadische Zentralbank hat am 27. Oktober ihre Wertpapierkäufe auslaufen lassen. Sie erwartet auch eine schnellere Schließung der Output-Lücke nun vor der Jahresmitte 2022, was eine schnellere Zinserhöhung nahelegt. Auch die Zentralbank in Brasilien hat am 27. Oktober vor dem Hintergrund der hohen Inflation im Land den Leitzins um 150 Basispunkte auf 7,75 Prozent erhöht und kündigte weitere Zinsschritte an.
EZB bleibt locker – und weist Markterwartungen zurück
Von einer Zinserhöhung ist die EZB dagegen nach Aussagen ihrer Chefin Christine Lagarde noch weit entfernt, wie sie am 28. Oktober anlässlich der Pressekonferenz nach der Zinssitzung sagte. Die EZB achtet auf die Entwicklungen in der Währungsunion. Auch wenn der Preisanstieg länger anhalte als ursprünglich gedacht, bekräftigte die EZB, dass die momentan hohen Inflationsraten im nächsten Jahr wieder deutlich fallen würden. Der Markt scheint es anders zu sehen und preist weiterhin den ersten Zinsschritt für Ende 2022 ein. Bis der Markt seine Zinserwartungen nach hinten verschiebt, könnte es bis mindestens Dezember dauern. Dann dürfte die EZB eine Inflationsprognose für 2024 von noch unter zwei Prozent veröffentlichen. Außerdem erwartet Union Investment, dass sie die Anleihekäufe über ihr Standardkaufprogramm (APP) nach dem Auslaufen des Notfallkaufprogramms (PEPPs) noch lange aufrechterhalten wird.
Auch in den USA hatte sich die Zinskurve verflacht (vgl. Grafik). Erstmals drehte der Renditeabstand zwischen 20jährigen und 30jährigen US-Staatsanleihen ins Negative. Wir erwarten, dass die US-Notenbank den Beginn der Drosselung ihrer Anleihekäufe auf der nächsten FOMC-Sitzung Anfang November ankündigt und die Käufe bis Mitte 2022 auf Null zurückfahren wird. Mit einem ersten Zinsschritt rechnen wir Anfang 2023. Die aktuell am Markt in Zinsderivaten eingepreisten Erwartungen legen dabei bereits Zinsschritte im nächsten Jahr nahe.
Deutlicher Renditeanstieg am kurzen Ende
Renditen wieder im Aufwind
Quelle: Bloomberg, Stand: 29.10.2021
Keine überhastete Straffung erwartet
Wir halten die Inflationsrisiken am Markt derzeit für weitgehend übertrieben. So zeigen sich bereits erste Anzeichen einer Entspannung in den Lieferketten und bei den Energiepreisen. Solange keine Lohn-Preis-Spirale in der Breite in Gang kommt, dürfte sich die Inflation im nächsten Jahr wieder beruhigen, bevor der Preisdruck in der Breite über die nächsten Jahre im Einklang mit den EZB-Zielen etwas zulegt. Die Fed und die EZB dürften damit ihren Kurs einer schrittweisen Straffung der Geldpolitik fortführen können und die Märkte für Risikoanlagen gut unterstützt bleiben.
Stand aller Informationen, Erläuterungen und Darstellungen:
01. November 2021, soweit nicht anders angegeben.