Die Gründe für die hohe Inflation sind vielfältig. Die reduzierte Mehrwertsteuer in der zweiten Jahreshälfte 2020 verzerrt den Jahresvergleich deutlich. Allein dieser Effekt macht knapp zwei Prozentpunkte der aktuell sechs Prozent aus. Dazu kommt, dass die Preise zu Beginn der Pandemie auf breiter Front ins Rutschen gerieten. Dieser Trend hat sich nun im Zuge der wirtschaftlichen Erholung ins Gegenteil verkehrt. Als Folge schnellt die Inflationsrate nach oben. Zudem wirkt das knappe Angebot bei verschiedenen Gütern preistreibend. So sind die Energiepreise dieses Jahr explodiert, was ebenfalls rund zwei Prozentpunkte zur Inflation beigetragen hat. Der Mangel an Arbeitskräften in bestimmten Branchen verknappt dann noch zusätzlich das Warenangebot.
Der Preisauftrieb dürfte auch im Dezember kräftig bleiben. Jedoch sollte sich die Lage im nächsten Jahr ändern. Die aktuelle Unsicherheit, wie der Corona-Winter in Deutschland und Europa verlaufen wird, verdirbt so manchem die Kauflaune. Dies könnte den weiteren Preisanstieg dämpfen. Im ersten Halbjahr 2022 werden die Folgen der Mehrwertsteuersenkung und die statistischen Basiseffekte ebenfalls an Bedeutung verlieren. Die Engpässe am Güter- und am Arbeitsmarkt aber werden uns noch eine Weile beschäftigen. Trotzdem sollte sich die Teuerungsrate schrittweise normalisieren. Aktuell rechnen wir mit einem Rückgang der Inflation bis Ende 2022 auf unter zwei Prozent.
Rufe nach höheren Leitzinsen dürften angesichts der wieder steigenden Unsicherheit über den Verlauf des Corona-Winters eher auf taube Ohren stoßen. Denn niemand will das Risiko eingehen, die Zügel zu rasch anzuziehen.
Dr. Jörg Zeuner, Chefvolkswirt Leiter Research & Investment Strategy, Union Investment