Peking setzt nach den jüngsten Turbulenzen für das Jahr 2022 auf Wachstumsstabilisierung. Das Risiko einer weiteren Verschlechterung hat sich verringert. Eine konjunkturelle Belebung in der zweiten Hälfte 2022 ist möglich, das Potenzial für den Renten- und Aktienmarkt bleibt aber begrenzt.
Alljährlich in der zweiten oder dritten Dezember-Woche wird in Peking die Losung für die gewünschte Wirtschaftsentwicklung des nächsten Jahres ausgegeben. Hinter verschlossenen Türen tagt dann die Central Economic Work Conference. Sie ist das Rendezvous der politischen Elite und des Finanz- und Bankensektors in China. In diesem Jahr wurde als Motto „Stabilität“ ausgegeben – die chinesische Wirtschaft soll also ein stabileres Bild im nächsten Jahr abgeben. Zuletzt durchlief sie schwere Turbulenzen. Dazu beigetragen hat die neue, auf „gemeinsamen Wohlstand“ ausgerichtete Strategie der Regierung, die zum Beispiel auf Schuldenbegrenzung in hoch verschuldeten Wirtschaftssektoren setzte. Sie läutete etwa die aktuelle Krise auf dem Immobilienmarkt erst ein. Auch belastet nach wie vor die strikte Null-Covid-Politik das heimische Wachstum.
Seitens der Politik ist nach der Konferenz zwar keine klare Wachstumsprognose kommuniziert worden. China dürfte aber wachstumsfreundlicher und wachstumsstimulierender ins neue Jahr gehen als zuletzt. Auch könnte es weniger regulatorische Überraschungen geben – diese hatten etwa den Technologiesektor stark belastet und ausländische Anleger erheblich verunsichert. Ob für die chinesische Volkswirtschaft das Schlimmste bereits vorüber ist, lässt nicht zwar noch nicht endgültig sagen, aber es gibt erste Zeichen der Stabilisierung. Zuletzt haben die Regierung und die Zentralbank Schritte unternommen, um das makroökonomische Umfeld zu stabilisieren. Das Risiko einer weiteren Verschlechterung hat sich dadurch verringert.
New Normal bei rund fünf Prozent
Allerdings erwarten die Ökonomen von Union Investment nicht, dass die Volksrepublik an Wachstumsraten wie vor der Pandemie üblich in Höhe von rund sechs Prozent anknüpfen wird. Dafür ist die Wirtschaft schlicht zu groß, die Ausgangsbasis zu hoch geworden, um noch in diesem Tempo wachsen zu können. Konkret erwarten die Volkswirte von Union Investment für das Jahr 2022 ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Höhe von rund fünf Prozent – damit liegen sie im Mittelfeld der Broker-Schätzungen.
Wachstum verlagert sich in 2022
Auch erwarten die Experten von Union Investment nicht, dass die chinesische Null-Covid-Politik vor dem Parteikongress im Oktober/November 2022 beendet wird. Dies dürfte das Wachstum etwa im Konsumsektor tendenziell bremsen. Immerhin haben sich die Zahlen des privaten Konsums etwa bei Autoverkäufen oder Kinoumsätzen zuletzt etwas verbessert. Die Experten gehen von einem schwachen vierten Quartal 2021 und ersten Quartal 2022 aus, aber mit sich verbessernden Kreditdaten dürfte im zweiten Quartal eine Stabilisierung eintreten. Im zweiten Halbjahr gehen wir von einem dynamischeren BIP-Wachstum im Rahmen eines „New Normal“ von rund fünf Prozent pro Jahr aus. Inflationsseitig erwarten wir für 2022 eine Teuerungsrate von 1,7 Prozent. Die Inflationsdynamik sollte im Verlauf des nächsten Jahres abnehmen, was der People’s Bank of China, der Zentralbank, Spielraum für wachstumsunterstützende Maßnahmen gibt.
Bausektor bleibt angespannt
Risiken gibt es abgesehen von der Entwicklung der Corona-Pandemie auch in dem für Chinas Wirtschaft immer noch sehr wichtigen Immobiliensektor. Dort bleibt der Druck vorerst weiter hoch. Die auf Schuldenbegrenzung ausgerichteten Maßnahmen der Regierung haben Wirkung gezeigt und zu einer deutlichen Abkühlung von Bautätigkeit und Wohnungsverkäufen geführt. Inzwischen ist eine Stabilisierung auf deutlich tieferem Niveau zu sehen. Auch deuten erste Maßnahmen und Ankündigungen der Regierung darauf hin, dass wieder eine ausgewogenere Strategie auch im Immobiliensektor verfolgt wird. Sie setzt nicht nur auf eine Verringerung der finanziellen Risiken, sondern auch auf Wachstumsstabilisierung. Aus Sicht der Marktreife ist es ein gutes Zeichen, wenn China größere Differenzierung in der Kreditqualität zulässt und Unternehmen geordnet abgewickelt werden können.
Dreiteilung bei Immobilientiteln
Was bedeutet das für chinesische Anlagen? Für den hochverschuldeten, in Schieflage geratenen Immobilienkonzern Evergrande ist das Schlimmste nicht vorbei, darum ist auch keine Stabilisierung der Anleihekurse zu erwarten. Die mehrjährige Restrukturierung und Abwicklung beginnt gerade erst. Insgesamt sehen die Experten von Union Investment aktuell eine Dreiteilung des Marktes für chinesische Immobilienentwickler: Unternehmen wie Evergrande, die nicht vom Staat gerettet werden, dann Unternehmen, die eine schwache Kreditwürdigkeit aufweisen und bei denen der Markt sich gerade noch sortiert, sowie Immobilienentwickler mit einem Investment-Grade-Rating, die sich in den vergangenen Wochen stabilisieren konnten.
In der Breite erwarten unsere Experten aber, dass sich die Ansteckungseffekte aus der Evergrande-Krise begrenzt halten und sich überwiegend auf den chinesischen Markt konzentrieren. So sind die finanziellen Verflechtungen des chinesischen Immobiliensektors im weltweiten Finanzsystem gering. Am Unternehmensanleihenmarkt sind diese Risiken inzwischen eingepreist, deshalb sind die Perspektiven für 2022 etwas besser. Auf lange Sicht dürfte der chinesische Immobiliensektor durch die Verringerung der Schulden und eine gestiegene Differenzierung in der Kreditqualität wieder interessanter werden.
Aktienmarkt abgeschlagen
Nischenthemen im Aktienmarkt chancenreich
Aktienseitig sind die Kurse 2021 unter Druck geraten, insbesondere im Technologie-Sektor. In der Vergangenheit zeigte sich stets eine Neubewertung bei zunehmender Unterstützung von Fiskal- und Geldpolitik. Da im nächsten Jahr diese Impulse aber geringer als früher ausfallen dürften, bleibt abzuwarten, ob dies erneut eintritt. Angesichts der gedämpften konjunkturellen Dynamik dürfte die Gewinnentwicklung der Unternehmen im ersten Halbjahr 2022 zunächst schwach bleiben. Nach wie vor muss in der Titelauswahl auf mögliche regulatorische Einflussfaktoren geachtet werden. In Bezug auf einzelne Branchen bleibt der Technologiesektor stark risikobehaftet. Unternehmen mit besseren regulatorischen Perspektiven finden sich dagegen in der Erneuerbaren Energie, in Elektromobilität oder Batterieherstellung.