Der Jahresauftakt hatte es an den Aktien- und Rentenmärkten bereits in sich. So stieg am US-Staatsanleihenmarkt die Rendite zweijähriger Treasuries gegenüber Ende Dezember um 13 Basispunkte (BP) auf 0,86 Prozent und damit auf den höchsten Stand seit Anfang März 2020. Die Rendite der zehnjährigen US-Treasuries legte 25 BP auf 1,76 Prozent (Schlussstände 7. Januar). Nach der Vorlage der Minutes der Dezember-Sitzung der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) preiste der Markt nun eine gestiegene Wahrscheinlichkeit (rund 85 Prozent) für eine Leitzinserhöhung im März ein.
Die Renditekurven verschieben sich
Rendite für Staatsanleihen der USA und Deutschland
Dies blieb auf der Aktienseite nicht ohne Folgen. Hier zeigte sich eine ausgeprägte Faktorrotation: Wachstum (Growth) und Momentum gaben stark nach, während Value und Zykliker zulegten. Für den Growth-Faktor war es der schwächste Start ins Jahr seit 1995. So verlor der Russell 1000 Growth-Index rund 5,5 Prozent (Schlusskurs 7. Januar), während der Russell Value Index um 0,6 Prozent stieg. Damit akzentuierte sich das Bild, dass in den USA bereits seit längerem zu beobachten ist: Die Faktoren Growth und Momentum bauen ihren langjährigen Vorsprung gegenüber Value ab, also gegenüber Aktien von Unternehmen mit günstiger Bewertung oder hohem Substanzwert in Form von stabilem und eher mäßigem Gewinnwachstum.
Growth-Faktor seit Anfang 2022 unter Druck
Wertentwicklung in Prozent
Bei den drei am meisten betrachteten Indizes in den USA zeigte sich ein ähnliches Bild. Der technologielastige Nasdaq Composite-Index fiel seit Jahresbeginn 5,6 Prozent und der marktbreitere S&P 500-Index 2,5 Prozent, während der industrielastige Dow Jones Industrial-Index, der mehr zyklische Werte enthält, nur 0,9 Prozent verlor. Die aktuelle Verkaufswelle traf besonders die nicht-profitablen US-Tech-Aktien.
Hedge-Fonds positionieren sich neu
Für die kräftige Rotationsbewegung waren verschiedene Faktoren verantwortlich. Zum einen haben sich angelsächsische Hedge Fonds neu positioniert. So stieg etwa die Netto-Gewichtung des Value-Faktors unter von der US-Investmentbank Goldman Sachs befragten Hedge Fonds auf ein Fünf-Jahres-Hoch. Auch wurden Aktien aus dem Technologie-, Medien- und Telekommunikations-Sektor auf Netto-Basis vergleichsweise stark untergewichtet und zyklische Titel im Gegenzug übergewichtet.
Den Anlass dafür dürften abgesehen von neuen Risikobudgets für 2022 auch die geldpolitischen Erwartungen in den USA sowie eine anhaltend hohe Inflationserwartung gegeben haben. Hintergrund ist das intakte Wachstumsbild der US-Konjunktur. Anders als in Europa ist dort die gesamtwirtschaftliche Produktionslücke inzwischen geschlossen, die Wirtschaft befindet sich bereits in einer Phase der Überauslastung. Auch scheinen die Wachstumsrisiken, die mit der Corona-Variante Omikron verbunden sind, derzeit verkraftbar zu sein, und auch der US-Arbeitsmarkt erholt sich dynamisch. Das Beispiel Südafrika, wo Omikron erstmals nachgewiesen wurde, sowie die Erfahrungen in Großbritannien legen nahe, dass die Gefährlichkeit von Omikron und damit das Risiko von Krankenhauseinweisungen und schweren Verläufen geringer sein dürfte, als zunächst befürchtet. Damit sollten breite Lockdowns für Verbraucher und Unternehmen ausbleiben. Auch die Experten von Union Investment erwarten ein weiterhin robustes Wirtschaftswachstum.
Um der gestiegenen Inflation gegenzusteuern, verfolgt die US-Notenbank Fed daher einen restriktiveren Kurs. Bereits im Dezember hatte sie angekündigt, ab Januar 2022 das Tapering-Tempo von monatlich 15 auf dann 30 Milliarden US-Dollar zu erhöhen. Damit werden die Nettoanleihekäufe bereits Mitte März auf null heruntergefahren sein. Am 5. Januar wurde aus den Protokollen der Dezember-Sitzung deutlich, dass die Fed früher (möglicherweise schon im März) oder rascher ihren Leitzins anheben könnte. Auch ging daraus hervor, dass die Fed dieses Mal weniger lang mit dem Beginn des Bilanzabbaus warten könnte als im letzten Zinsanhebungszyklus.
Vor diesem Hintergrund sind auch die Realrenditen etwas gestiegen, bleiben aber weiter im negativen Bereich. In einem Umfeld steigender Zinsen und Renditen entwickeln sich Wachstumstitel vergleichsweise weniger gut. Diese Aktien sind oft durch einen stetigen Gewinn-Strom gekennzeichnet, dessen Auszahlung aber (weit) in der Zukunft liegt. Vereinfacht gesagt unterstützten die lockere Geldpolitik und der Rückgang der Anleiherenditen sehr lange die Bewertungen von Growth-Aktien zusätzlich. Umgekehrt werden davon Value-Titel von einem Renditeanstieg weniger belastet, sie bieten also einen gewissen Schutz in einem solchen Umfeld.
Überprüfung der Gewinnaussichten entscheidend
Bei Anlageentscheidungen gilt es noch mehr als zuvor zu prüfen, wie profitabel ein Unternehmen in einem Umfeld steigender Finanzierungskosten arbeiten kann. Aktien, die „Glaubenssache“ sind, also erst mit Blick auf eine mögliche Erschließung eines großen Absatzmarktes ihre hohe Bewertung rechtfertigen können und noch unprofitabel sind, haben es da schwerer. Zinsempfindliche Aktien etwa aus dem Bankensektor dagegen haben Rückenwind durch steigende Erträge etwa im Kreditgeschäft. Auch Unternehmen, die von einer Wiedereröffnung der Wirtschaft nach der Aufhebung von Corona-Maßnahmen profitieren (Re-Opening), oder Titel aus dem Energie- und Rohstoffbereich sowie Zykliker bieten in einem diversifizierten Portfolio Chancen und tragen dazu bei, eine ausgeglichenere Gewichtung der verschiedenen Faktoren zu erreichen.
Dies spricht auch für typische Value-Regionen wie etwa Europa als Anlagealternative zu den USA, da die Bewertungen niedriger sind. Zudem hat die europäische Wirtschaft noch Aufholpotenzial und der Druck, die Zinsen anzuheben, ist weniger ausgeprägt als in den USA. Was der „Value-Trend“ ausmacht, lässt sich an der besseren Wertentwicklung des STOXX Europe 600-Index gegenüber dem S&P 500-Index in den vergangenen Tagen ablesen. Generell bleibt aber das Umfeld für Aktien auch in einem etwas restriktiveren geldpolitischen Umfeld gut. Viele Unternehmen verfügen weiter über eine gute Preissetzungsmacht und dürften auch in einem Umfeld mit erhöhter Inflation in der Lage sein, ihre Margen zu schützen und die Gewinne auszubauen. Zugleich ist die US-Wirtschaft nach Einschätzung der Ökonomen von Union Investment stark genug, um auch raschere Zinsanhebungen gut zu verkraften.
Stand aller Informationen, Erläuterungen und Darstellungen:
7. Januar 2022, soweit nicht anders angegeben.