Wer in Rohstoffe investiert ist, erinnert sich vermutlich gern an das vergangene Jahr. Die Preisentwicklungen waren spektakulär, teils gegenläufig und mitunter von einer hohen Schwankungsbreite geprägt. Als gesamte Anlageklasse erzielten die Commodities unter dem Strich ein Plus von rund 20 Prozent. Für erfolgreiche aktive Investoren war sogar noch mehr drin: Energierohstoffe etwa kletterten binnen zwölf Monaten um 60 Prozent, während Eisenerz im gleichen Zeitraum fast 40 Prozent an Wert verlor.
Nach der guten Wertentwicklung vieler Rohstoffe stellt sich für das Jahr 2022 die Frage, ob das Ende der Fahnenstange erreicht ist. Aktuell gehen die Corona-Infektionszahlen vielerorts förmlich durch die Decke und die Omikron-Variante droht, auf der konjunkturellen Entwicklung zu lasten. Gleichzeitig könnten die Energie- und die Mobilitätswende für eine dauerhafte Veränderung der Nachfragemuster sorgen. Wie also wird sich all das auf die wichtigsten Rohstoffe auswirken?
"Wir erwarten ein globales Wirtschaftswachstum von 4,3 Prozent. Das verspricht eine gute Entwicklung der Rohstoffpreise." Max Holzer, Leiter Relative Return
Omikron hat sich auf die Konjunktur bislang allenfalls begrenzt ausgewirkt. Wir erwarten für die globale Wirtschaft ein Wachstum von 4,3 Prozent in diesem und von 3,3 Prozent für das kommende Jahr. Damit sollte die Nachfrage nach Rohstoffen in der Breite stabil bleiben, zumal die konjunkturelle Dynamik in den Schwellenländern sogar noch etwas über der Gesamtprognose liegen sollte. Die soliden Wachstumsaussichten sprechen also prinzipiell für eine gute Entwicklung der Rohstoffpreise.
Der Ölmarkt beruhigt sich bei guter Nachfrage
Der Ölmarkt war in den vergangenen Monaten durch erhebliche Preisbewegungen geprägt. Ein Fass der Sorte Brent wird aktuell zu mehr als 85 US-Dollar gehandelt, im Januar 2021 waren es noch knapp über 50 US-Dollar. Das spiegelt die starke Nachfrage wider, der die Organisation Erdölexportierender Länder (OPEC) plus Russland mit einer Ausweitung der Produktion begegnet. Allerdings sind die Fördermöglichkeiten begrenzt. Staaten wie Venezuela, Nigeria, der Iran und Libyen können seit Jahren nicht genug Kapital in die Produktionsausweitung stecken. Daher dürfte die Reservekapazität der OPEC+ Länder ab dem zweiten Halbjahr nahezu aufgebraucht sein. Die US-Schieferölproduzenten weiten ihre Produktion ebenfalls aus. Das Wachstum fällt jedoch viel moderater aus als etwa in den Jahren 2017 bis 2019. Ein großer Angebotsüberschuss steht also nicht zu befürchten.
Daran dürfte auch der Trend zur Elektromobilität wenig ändern. Denn die Ölnachfrage aus Ländern wie Indien und China ist schlicht zu stark, als dass das europäische Umdenken die Preise bereits in den nächsten Jahren nachhaltig beeinflussen könnte. Gleichwohl reflektiert der Ölpreis aktuell bereits eine recht deutliche Angebotslücke, so dass das Potenzial des schwarzen Goldes auf Jahressicht wohl eher begrenzt sein dürfte.
Etwas anders sieht es mit der Energiewende aus. Zwar ist sie kurzfristig nicht fulminant genug, um die Preisdynamik über die Nachfrage zu lenken. Aber mittelfristig steht dem Markt eine fundamentale strukturelle Veränderung bevor. Denn die Dekarbonisierung der Energieversorgung ist unerlässlich, um dem Klimawandel entgegenzuwirken. Das wirkt sich auf die Preise aus, etwa über den Aufschlag der CO2-Abgabe auf die Treibstoffpreise. Die zuletzt stark gestiegenen Energiepreise berücksichtigen also erstmals tatsächlich die negativen externen Effekte der fossilen Brennstoffe auf die Umwelt. Dadurch wird die Nachfrage gebremst, was einem anhaltenden Preisauftrieb bei Öl und anderen fossilen Energieträgern, wie etwa der Kohle, entgegensteht.
Gasmarkt bleibt schwankungsanfällig
Im Gegensatz zum Rohölmarkt bleibt die Lage auf dem europäischen Gas- und Strommarkt sehr angespannt. Der Markt ist derzeit hochgradig schwankungsanfällig und noch dazu regional stark zersplittert. Das macht ihn anfällig für extreme Preisausschläge. Die Gaslagerbestände in Europa waren bereits im Herbst saisonal niedrig und daran hat sich seitdem wenig geändert. Während die USA ihre Lager selbst befüllen konnten und die dortige Nachfrage aufgrund der oft milderen Temperaturen auch mäßig ausfällt, leidet Europa unter den eher überschaubaren Gaslieferungen aus Russland. Erschwerend kommen die zunehmenden Spannungen zwischen Russland und der NATO wegen des Ukraine-Konflikts hinzu. Die gegenseitigen Androhungen von Sanktionen stehen der baldigen Eröffnung der Nord Stream 2-Pipeline ebenso im Weg wie einige regulatorische Vorgaben der EU.
Industriemetalle stehen im Zeichen des grünen Wandels
Bei Industriemetallen wirkt sich die Energiewende am stärksten aus. Der Umstieg in der Automobilindustrie von Verbrenner- auf Elektromotoren verändert den Bedarf an Metallen. Die Produktion eines Elektrofahrzeugs unterscheidet sich fundamental von der eines klassischen Verbrenners. Vor allem der Bau der Batterien und die Verkabelung im Fahrzeug sind rohstoffintensiv. Daher steht zu erwarten, dass in den kommenden Jahre die Nachfrage nach Kupfer und Nickel gut unterstützt bleiben sollte, während auf der Angebotsseite grundsätzlich Knappheit herrscht. Blei hingegen wird deutlich weniger gebraucht, weshalb das Metall aktuell das einzige ist, bei dem das Angebot die Nachfrage übersteigt.
Eisenerz wiederum, das im Jahr 2021 enttäuschte, könnte 2022 eine kleine Renaissance erleben. Grund für den Preisverfall war vor allem die chinesische Bautätigkeit, die im vergangenen Jahr spektakulär nachgelassen hat. Es besteht aber durchaus Anlass zur Hoffnung, dass die Kreditvergabe in China wieder anzieht. Ein positives Zeichen für eine steigende Bautätigkeit ist zudem, dass die Zahl der verkauften Bagger zuletzt wieder zugenommen hat. Auf alte Höhenflüge sollten sich Anleger zwar nicht einstellen, aber es wird wahrscheinlicher, dass Eisenerz wieder einiges von den Verlusten aufholt.
Positiver Ausblick bei Edelmetallen
Der Ausblick bei Edelmetallen fällt leicht positiv aus. Die Korrelation mit den US-Realzinsen sollte in diesem Jahr den Goldpreis nach oben treiben, denn aktuell steigen die Zinsen etwas. Zudem halten die Inflationsraten in den USA, aber auch in Europa, Anleger im sicheren Hafen Gold. Doch dem versuchen nun die Notenbanken auf beiden Seiten des Atlantiks mit ihrem geldpolitischen Straffungskurs entgegenzuwirken. Der Preis des gelben Edelmetalls sollte sich in einer engen Spanne bewegen.
Anders sieht es bei Platin und Palladium aus. Die Edelmetalle sind nicht nur bei Schmuckliebhabern und Investoren begehrt, sondern sie werden auch in der Automobilbranche für die Katalysatorenherstellung verwendet. Im Jahr 2022 sollte die Autoproduktion wieder deutlich anziehen, so dass hier für Investoren durchaus noch etwas zu holen sein könnte – vorausgesetzt, Omikron macht dem verarbeitenden Gewerbe nicht doch noch einen Strich durch die Rechnung.
Max Holzer, Leiter Relative Return im Bereich Multi Asset und Mitglied des Union Investment Committee