Preisen die Märkte die geldpolitische Wende angemessen ein?
Der Beginn des letzten Leitzinszyklus in den USA liegt mehr als sieben Jahre zurück. Nun stehen die Kapitalmärkte vor einer erneuten Zinswende. Sie betrifft diesmal fast alle entwickelten Volkswirtschaften und sollte deutlich schneller verlaufen. Entsprechend preisen die Rentenmärkte bereits eine sehr rasche geldpolitische Wende ein – möglicherweise eine zu rasche.
„Der kräftige Renditeanstieg in den sicheren Häfen hat zeitweise Züge von Panik angenommen.“
Christian Kopf
In den USA spiegeln die Terminsätze bereits sieben Zinsschritte von insgesamt 1,75 Prozent innerhalb eines Jahres wider. In der Eurozone lassen sich bis zum Jahresende zwei Leitzinsanhebungen durch die Europäische Zentralbank (EZB) à 0,25 Prozent ableiten. Aber: Dieses forsche Tempo erscheint uns etwas übertrieben. Zweifellos ist eine Normalisierung des Zins- und Renditeniveaus beidseits des Atlantiks nach der kräftigen Konjunkturerholung von der Corona-Krise überfällig. Doch der kräftige Renditeanstieg in den sicheren Häfen hat zeitweise Züge von Panik angenommen.
Ein Grund für den rapiden Renditeanstieg liegt im kommunikativen Schwenk der EZB von Anfang Februar, der nicht ganz im Einklang mit vorherigen Äußerungen ihres Chefvolkswirtes stand und viele Anleger auf dem falschen Fuß erwischt hat. Die EZB hat so ohne Not einige Verwerfungen an den Kapitalmärkten provoziert. Hintergrund sind die stark gestiegenen Inflationsraten, die vor allem auf pandemiebedingte Verzerrungen zurückzuführen sind. Zudem enthalten die Energiepreise derzeit eine geopolitische Risikoprämie.
Für den Euroraum gehen wir für 2022 von 4,5 Prozent Inflation aus, da die gestiegenen Energiepreise länger auf ihren aktuellen Niveaus verbleiben dürften. Aber: Der unterliegende Preisdruck – ohne die besonders schwankungsanfälligen Bestandteile wie Energie und Nahrungsmittel – sollte noch unter zwei Prozent liegen. Wir erwarten daher ab Anfang 2023 ein Absinken der Teuerungsrate unter das Notenbankziel. Die EZB dürfte ihre Zinsentscheidungen im kommenden Jahr also wieder mit etwas weniger Druck treffen können.
Droht ein weiterer Einbruch am Rentenmarkt?
Einen weiteren Einbruch am Rentenmarkt halten wir für wenig wahrscheinlich, da die eingepreiste Zinsanhebungserwartung bereits sehr hoch ist. Der rapide Anstieg der Renditen dürfte sich nicht in diesem Tempo fortsetzen. Dafür sprechen drei Gründe:
- Selbst wenn die EZB bereits im März einen kompletten Ausstieg aus den Anleihekaufprogrammen beschließen würde, dürfte sie ihr Ankaufprogramm kaum vor September 2022 geordnet beenden können. Dadurch bliebe im laufenden Jahr wohl gerade noch Zeit für eine Leitzinserhöhung um 0,25 Prozent. Das ist deutlich weniger als der Markt derzeit einpreist (siehe Grafik).
- Das Neuangebot an deutschen Staatsanleihen wird 2022 sinken. Die Wirtschaft erholt sich vom Corona-Schock und die Bundesregierung muss weniger Schulden machen. Bundesanleihen bleiben also knapp. Obwohl die EZB ihre Käufe einstellen wird, dürfte auch der Anteil in Streubesitz kaum steigen. Das stützt den Preis und begrenzt den Renditeanstieg.
- Der EZB-Schwenk hat bereits eine Aufwertung des Euro eingeleitet, da der Währungsmarkt sich zunehmend auf ein bevorstehendes Ende der Negativzinsen im Euroraum einstellt. Das verringert die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der Währungsunion und dämpft die importierte Inflation. Hinzu kommt der kräftige Anstieg der Renditen von Staats- und Unternehmensanleihen, besonders in den Mittelmeer-Anrainerstaaten. Er strafft die Finanzierungsbedingungen für Haushalte und Unternehmen. Je stärker sich der Euro und die langlaufenden Renditen bewegen, desto weniger sollte die EZB an ihren Leitzinsen drehen müssen.
Wir erwarten daher keinen weiteren „Crash“ am Rentenmarkt. Vielmehr dürfte die EZB auch zukünftig vorsichtig agieren und ihre Geldpolitik wachstumsunterstützend belassen. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass es im Euroraum zu keiner für die Preisstabilität gefährlichen Lohn-Preis-Spirale kommt. Dafür sehen wir derzeit keine Hinweise. Sollte dieses Risikoszenario dennoch eintreten, wäre dies eine negative Überraschung und dürfte weitere Kursverluste zur Folge haben.
Ist das Ende der Negativrenditen bei Bundesanleihen eingeläutet?
Seit die Rendite der zehnjährigen deutschen Bundesanleihe Ende Januar 2022 wieder in ein positives Territorium vorgestoßen ist, hat der Renditeanstieg an Fahrt gewonnen. Mittlerweile handeln auch die fünfjährigen deutschen Bundesobligationen mit leicht positiver Rendite – nur die zweijährigen Schatzanweisungen notieren weiterhin bei einer Negativrendite von -0,38 Prozent.
Wir denken, dass deutsche Bundesanleihen auch mittel- und längerfristig mit positiven Renditen am Markt notieren werden, da die EZB fest entschlossen scheint, ihr Ankaufprogramm dieses Jahr zu beenden und auch moderate Leitzinserhöhungen vorbereitet. Es heißt also Abschied nehmen von Negativrenditen auf langlaufende Bundesanleihen.
Was empfiehlt sich für Renten-Anleger angesichts der Zinswende?
Grundsätzlich haben wir es hier mit einem Markt zu tun, der jeden Tag attraktiver wird und Chancen für die aktive Kapitalanlage bietet. Der Markt muss aber erst wieder ins Gleichgewicht finden und dürfte zunächst noch volatil bleiben. Zur Volatilität trägt auch der unterschiedliche geldpolitische Zyklus der globalen Notenbanken bei. So hat die Zinswende auch gute Seiten: Langfristig orientierte Investoren können sich auf etwas höhere Renditen für ihre Wiederanlage einstellen.
„Wir haben es mit einem Markt zu tun, der jeden Tag attraktiver wird und Chancen für die aktive Kapitalanlage bietet.“
Christian Kopf
Voraussetzung für den Anlageerfolg ist die sorgfältige Analyse des Konjunkturzyklus und der Geldpolitik der einzelnen Währungsräume. Insgesamt bleibt eine kürzere Kapitalbindungsdauer (Duration) empfehlenswert. Wir erwarten, dass die Renditen bei Anleihen aus sicheren Häfen weiter steigen und damit kurzfristig keine positiven Erträge abwerfen.
Bis zum Jahresende dürfte die Rendite bei zehnjährigen Bundesanleihen 0,35 Prozent erreichen, bei laufzeitgleichen US-Treasuries 2,1 Prozent. Anleihen aus der Euro-Peripherie sind nur bedingt aussichtsreich. Zwar ist die wirtschaftliche und politische Entwicklung in diesen Ländern solide, aber die Renditen dürften durch den Rückzug der EZB vom Anleihemarkt, den wir ab September erwarten, etwas unter Aufwärtsdruck stehen.
Gibt es in diesem Marktumfeld überhaupt noch Anlagechancen?
Einstiegsmöglichkeiten sehen wir heute bereits bei Wertpapieren mit guter Bonität und mit Endfälligkeiten von weniger als einem Jahr. Diese Kurzläufer kamen im Zuge des überraschenden Kurswechsels der EZB Anfang Februar stark unter Druck. Sie bieten zwar nur einen geringen Ertrag, sind aber gegenüber Bankeinlagen bereits sehr attraktiv.
Die gute und sich weiter verbessernde Kreditqualität der Unternehmen spricht grundsätzlich auch für Unternehmensanleihen. Die jüngste Korrektur liegt nicht in einer Verschlechterung der Kreditqualität der Anleihe-Emittenten begründet. Im Gegenteil: Konjunktur- und Gewinnzyklus sind noch intakt, die Bonitätseinstufungen werden eher besser. Dies stützt die Unternehmensanleihen. Allerdings hat es dieses Marktsegment gegenüber sicheren Anleihen in einem Umfeld steigender Zinsen schwerer. Hier ist eine aktive Selektion gefragt. Bei hochverzinslichen Anleihen oder Nachrangpapieren gibt es nach wie vor interessante Anlagemöglichkeiten.
Bei Anleihen aus Schwellenländern stehen gute Zinsaufschläge etwas größere Risiken aufgrund des Infektionsgeschehens und der höheren US-Zinsen gegenüber. Aussichtsreich sind derzeit Regionen, die in ihrem Zinserhöhungszyklus bereits weit fortgeschritten sind. Dazu zählt etwa Osteuropa. Ebenfalls interessant sind Staaten, wo die Risiken aus einer möglichen Euro-Aufwertung durch die höhere Zinsdifferenz geringer sind.
Christian Kopf, Leiter Portfoliomanagement Renten und Mitglied des Union Investment Committee (UIC)