Geopolitische Risikoprämie treibt Rohstoffmarkt

Der Angriff Russlands auf die Ukraine und die Umsetzung von Sanktionen durch westliche Staaten hat zu deutlichen Preissprüngen am Rohstoffmarkt geführt. Energie, Industriemetalle und Agrarrohstoffe stehen im Brennpunkt. Angesichts der Möglichkeit weiterer Sanktionen bleibt das Umfeld sehr unsicher und von hoher Dynamik geprägt. Union Investment | 08.03.2022 07:20 Uhr
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Die direkten und indirekten Auswirkungen der militärischen Eskalation Russlands in der Ukraine und die damit verbundenen Sanktionen westlicher Staaten gegen russische Unter-nehmen und Privatpersonen schlagen sich auch auf dem Rohstoffmarkt nieder. Eine hohe geopolitische Risikoprämie preist der Markt aktuell bei Rohstoffen ein, für die Russland und die Ukraine wichtige Produzenten sind, also vor allem Rohöl, Gas und Kohle, aber auch Industriemetalle wie Aluminium, Nickel und Palladium (vgl. Grafik).

Russland gehört bei vielen Rohstoffen zu den Top-3-Produzenten

Anteil Russlands an der Produktion verschiedener Rohstoffe in Prozent

Quelle: IEA, BP Statistical Review of World Energy 2021, CDU TEK, Wood Mackenzie, USGS Mineral Commodity Summaries, World Barley Production 2020/2021, Goldman Sachs, Union Investment; Stand: 28. Februar 2022.

Am Freitag erreichten die Preise für Aluminium und Kohle Rekordhochs. Zu Wochenbeginn sprang der Preis für ein Fass Öl der Nordseesorte Brent zeitweise über die Marke von 130 US-Dollar und damit auf den höchsten Stand seit 2008. Auslöser dafür waren Nachrichten aus den USA, wonach der US-Kongress Sanktionen gegen Energieimporte beraten will. Sehr starke Auswirkungen sind auch bei Agrarrohstoffen zu sehen. In Chicago stieg der Weizenpreis auf ein Rekordhoch. Die Ukraine zählt in einigen Bereichen zu den weltgrößten Exporteuren (Mais: 15 Prozent, Gerste: rund 12 Prozent, Weizen gut 8 Prozent). Auch die Anteile Russlands sind bei Gerste (rund 18 Prozent) und Weizen (ca. 19 Prozent) ausgeprägt (Quelle: US-Landwirtschaftsministerium USDA).

Für Russland sind die Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft wichtig, mit ihnen erzielte das Land bislang Leistungsbilanzüberschüsse. Umgekehrt ist die hohe Abhängigkeit in der Energieversorgung aus Russland die Achillesverse des Westens – insbesondere der europäischen Länder. Energiesanktionen waren darum bisher nicht auf der Liste westlicher Sanktionen, wobei der Druck auf die Regierungen mit jeder weiteren Eskalation seitens Putins steigt. Von russischer Seite initiierte Exportstopps würden das Land wiederum wirtschaftlich selbst hart treffen, während es sich ohnehin in bereits schwieriger Lage befindet.

Russische Rohstoffe de facto gemieden

Angesichts der hohen Unsicherheit dürfte die geopolitische Risikoprämie aber so lange im Rohstoffmarkt erhalten bleiben, wie es keine greifbare Aussicht auf eine Deeskalation der Lage gibt. Aktuell preist der Markt vor allem Sorgen vor über längere Zeit gestörte oder unterbrochene Lieferketten ein. Seit Beginn des russischen Angriffs am 24. Februar sind fünf Handelsschiffe im Zusammenhang mit dem Konflikt beschädigt worden. Die Frachtraten etwa für Öltanker, die russisches Öl vom Schwarzen Meer nach Europa transportieren könnten, haben sich verdreifacht. Auch steht laut Angaben von Containerschiff-Reedereien die Hälfte der weltweiten Containerschiff-Kapazität nicht mehr für den Transport von und nach Russland zur Verfügung.

Für Russland wird es dadurch schwieriger, Öl zu verkaufen, selbst wenn große Preisnachlässe gegenüber dem Referenzpreis für Öl der Sorte Brent gegeben werden. Aktuell sind westliche Käufer – auch wegen der noch nicht abschließenden Ausgestaltung der Sanktionen gegen russische Banken – vorsichtig. Rund 70 Prozent der russischen Rohölexporte (entspricht rund 3,85 Millionen Fass pro Tag) dürften derzeit keinen Käufer finden. Damit verbunden ist die Unsicherheit, ob und in welchem Ausmaß es zur Verschiebung von Transportrouten kommt. Eine Umleitung russischer Öllieferungen nach Asien würde zu einer längeren Transportdauer führen und damit den Weltmarkt kurzfristig weiter knapp halten. Verschiebungen zeigen sich bereits auf dem Gasmarkt. Deutschland hat etwa angekündigt, für 1,5 Milliarden Euro zusätzliches Flüssiggas (LNG) auf dem Weltmarkt einzukaufen, um sich unabhängiger von russischem Erdgas (55 Prozent Anteil) zu machen. Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine hat sich der europäische Gaspreis zeitweise bis auf fast 200 Euro pro Megawattstunde (MWh) verdoppelt, am Montag (7. März) notierte der niederländische Erdgasindex bei rund 192 Euro pro MWh (zum Vergleich März 2021: 17 Euro pro MWh).

Energiepreise erleiden Schock

Quelle: Bloomberg, Union Investment; Stand: 7. März 2022.

Bei den Industriemetallen schlägt sich der Konflikt ebenfalls deutlich nieder. Hier hat die Verfügbarkeit in den Lagerhäusern der Rohstoffbörsen abgenommen. Im Aluminium- und Nickelmarkt etwa fließen große Mengen über das russische Sankt Petersburg nach Westeuropa. Die Aluminiumvorräte an der London Metal Exchange (LME) sind zuletzt auf ein sehr niedriges Niveau gefallen. Durch die gestiegenen Gaspreise verteuern sich auch die Strompreise, was den Betrieb der energieintensiven Aluminium- oder Zinkproduktion in Europa unattraktiver macht. Bereits vor dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine haben gestiegene Strompreise die Aluminiumproduktion in Europa gedrosselt, was dazu führte, dass Händler Aluminium aus Asien zu importieren begannen.

Für kurzfristige Entspannung im Ölmarkt sorgte vergangene Woche die Nachricht, wonach es bald zu einem neuen Abkommen zwischen den USA und Iran kommen könnte. Damit könnten aus Iran bis zum Jahresende rund ein bis 1,5 Millionen Barrel Rohöl pro Tag zusätzlich in den Markt kommen. Größere Produktionszuwächse zeichnen sich aufgrund der gestiegenen Preise auch in Nordamerika (Schieferölproduzenten) und in weiteren Nicht-OPEC-Ländern durch dann fertige Projekte wie Argentinien, Brasilien, China, Kolumbien Mexiko oder Norwegen ab. Wenig Bewegung zeigte bisher das Ölkartell OPEC, das für April eine graduelle Erhöhung der Produktion um 400.000 Barrel pro Tag beschlossen hat, aber keine Hinweise gab, wie Lieferausfälle aus Russland ausgeglichen werden könnten.

Inflation bleibt Thema

Da das Umfeld dynamisch und von großer Unsicherheit geprägt ist – auch, was den regulatorischen Rahmen des Handels betrifft – dürften die Risikoprämien im Rohstoffmarkt vorerst erhöht bleiben. Preisrückgänge auf Niveaus, die stärker die Produktionskosten spiegeln, wären erst bei einer anhaltenden Deeskalation der Lage zu erwarten. Die gestiegenen Rohstoffpreise befeuern dabei die europäische Inflation: Wir erwarten, dass durch die hohen Energie- und Lebensmittelpreise im Euroraum in den kommenden Monaten die Inflation die Sechs-Prozent-Marke übersteigen dürfte.

Je länger die hohe (Energiepreis-) Inflation anhält, desto größer fallen die Kaufkraftverluste bei den Haushalten aus, und desto geringer die Investitionsbereitschaft seitens der Unternehmen. Zusammen mit geringeren Exporten nach Russland dürfte dies aber die Nachfrage dämpfen und damit auch die Kernrate der Inflation perspektivisch begrenzen. Eine Rezession erwarten wir nicht. Nach wie vor rechnen wir auch damit, dass im Laufe des Sommerhalbjahres eine bessere Balance aus gesamtwirtschaftlichem Angebot und Nachfrage den Preisanstieg von Monat zu Monat dämpfen sollte.

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