Wer derzeit in (süd)deutschen Supermärkten nach Sonnenblumenöl sucht, wird manches Mal verwundert auf leere Regale blicken. Ähnlich geht es russischen Verbrauchern zunehmend bei Smartphones, Mode oder westlichen Biermarken. Und beides liegt im Krieg um die Ukraine begründet.
Über 300 Unternehmen schränken Russlandgeschäft ein
Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Ost und West leiden, nicht nur wegen der Sanktionen. Aus Protest gegen die russische Invasion des Nachbarlandes haben sich laut einer aktuellen Liste der Yale School of Management rund 300 Firmen aus der Russischen Föderation zurückgezogen bzw. ihre Aktivitäten deutlich verringert. Die Maßnahmen reichen vom Investitionsmoratorium (Kosmetikhersteller Coty) über Verkaufsstopps (Apple) bis hin zur Einstellung des Betriebs (Kreditkartenfirmen Visa und Mastercard) oder einem vollständigen Rückzug (Accenture). Die Fastfood-Kette McDonald‘s schließt genauso eigene Läden wie das Modeunternehmen Inditex. Auch in der Unterhaltungsindustrie werden die Geschäfte zurückgefahren. Der Medien-Multi Disney liefert keine neuen Inhalte wie Filme aus. In der beliebten Gaming-Branche - 42 Prozent der russischen Bevölkerung spielen nach aktuellen Schätzungen regelmäßig Videospiele - werden neue Produkte von Epic Games („Fortnite“) oder Activision Blizzard („Call of Duty“) zwischen Kaliningrad und Wladiwostok nicht mehr angeboten. Dabei gewinnt der Exodus an Fahrt. Noch am 28. Februar hatten nur wenige Dutzend westliche Firmen ihren Rückzug deklariert.
Deutliche Unterschiede beim Exposure westlicher Firmen
Die Einbußen an Umsatz und Ertrag fallen dabei höchst unterschiedlich aus. Der dänische Bierhersteller Carlsberg erzielt mit rund 10 Prozent einen gewichtigen Anteil seiner Umsätze in Russland. Auch der französische Lebensmittelkonzern Danone mit rund 6 Prozent oder der deutsche Konsumgüterfabrikant Henkel mit etwa 4,5 Prozent sind signifikant dort vertreten. Für das Gros der Unternehmen spielt der russische Markt hingegen nur eine untergeordnete Rolle. Zwar beläuft sich die Bevölkerung auf knapp 145 Millionen Menschen, entsprechend groß ist die Zahl potenzieller Konsumentinnen und Konsumenten. Gleichzeitig liegt die Kaufkraft jedoch deutlich unterhalb westlicher Niveaus, sodass das russische Bruttoinlandsprodukt (in US-Dollar) etwa dem der Benelux-Länder entspricht.
Daher ist die Reduzierung oder gar Einstellung der Geschäftsaktivitäten für viele Unternehmen verkraftbar. Der Schweizer Lebensmittelkonzern Nestlé erwirtschaftet zum Beispiel nur 1,8 Prozent seiner Umsätze in Russland, bei Unilever liegt der Wert mit 1,3 Prozent sogar noch darunter. Dass gerade Firmen aus dem Konsumbereich – wie auch der Düsseldorfer Einzelhändler Metro – ihre Dependancen häufig trotzdem nicht schließen, erfolgt laut Unternehmensangaben nicht nur aus wirtschaftlichen, sondern auch aus humanitären Erwägungen. Ohne die Produktion beziehungsweise Distribution westlicher Firmen drohen Versorgungsengpässe. Daher hat der Getränkehersteller PepsiCo zwar den Verkauf seiner bekannten Brauseprodukte gestoppt. Das umfangreiche Nahrungsmittel- und Molkereigeschäft unter lokalen Marken läuft hingegen weiter.
Exodus und brüchige Lieferketten prägen Ost-West-Handel derzeit
Westliche Konzerne verlassen Russland
Importierte Vorleistungsgüter sind überschaubar
In Moskau werden derweil Gegenmaßnahmen diskutiert. Aktuell berät die Regierung über eine Gesetzesinitiative der Putin-treuen Partei „Einiges Russland“ über die Einsetzung eines Insolvenzverwalters in den Unternehmen, die sich aus Russland zurückgezogen haben. Werden die Geschäfte nicht innerhalb von 30 Tagen wieder aufgenommen, so der Plan, könnten Assets eingezogen oder die Aktivitäten unter Eigenregie eines „Insolvenzverwalters“ weitergeführt werden.
Deutliche Unterschiede in der Betroffenheit
Ob es tatsächlich so weit kommt, ist derzeit noch offen. Sollte der Kreml entsprechende Maßnahmen einleiten, würde sich am grundlegenden Befund wenig ändern: Insgesamt ist die Abhängigkeit westlicher (und auch asiatischer) Firmen vom russischen Markt eher gering, sowohl was den Absatz- als auch den Produktionsstandort angeht. Dabei existieren je nach Unternehmen durchaus erhebliche Unterschiede in der Betroffenheit, dies es im Einzelfall zu analysieren und beachten gilt. Eine maßgebliche Triebfeder für die Aktienkurse in der westlichen Welt sehen die Experten von Union Investment in dieser Entwicklung nicht.
Eine größere Gefahr besteht hingegen in einer weiteren Störung der Lieferketten. Sonnenblumenöl stammt beispielsweise häufig aus der Ukraine und kann aktuell nicht mehr exportiert werden. Aber nicht nur Lebensmittel, sondern auch industrielle Vorprodukte werden häufig aus der Ukraine oder Russland in den Westen exportiert. Deutsche Autobauer, für die der russische Absatzmarkt nur von untergeordneter Bedeutung ist, berichteten zum Beispiel unlängst von Engpässen bei der Belieferung mit Kabelbäumen und klagten im jüngsten ifo-Bericht über einen Mangel an Vorprodukten.
Für flächendeckend stillstehende Fabriken sehen die Volkswirte von Union Investment aber keinerlei Anzeichen, da weder die ukrainische noch die russische Volkswirtschaft in Schlüsselbereichen bedeutend genug sind. Wahrscheinlicher sind vielmehr punktuelle Störungen. Da die Unternehmen ohnehin schon mit coronabedingten Schwierigkeiten in den Lieferketten zu kämpfen haben, könnte es fallweise zu Produktionsausfällen kommen. Diese negativen Umsatz- und Ergebniseffekte einzelner Unternehmen sind aber schon größtenteils in den Schätzungen der Analysten verarbeitet. Insofern dürfte sich auch hier die Wirkung auf die Aktienkurse in den kommenden Wochen in sehr engen Grenzen halten.