Sie entwickelt sich zum Lackmustest der am Kapitalmarkt festgestellten Zahlungsfähigkeit Russlands: Die am 4. April fällig gewordene zehnjährige Staatsanleihe der Russischen Föderation mit einem Kupon von 4,5 Prozent und der ISIN XS0767472458. Der zwei Milliarden schwere Eurobond wurde vor zehn Jahren in US-Dollar ausgegeben. Russland galt damals als zuverlässiger Kreditnehmer, der seit 1918 nicht mehr auf Staatsanleihen in ausländischer Währung ausgefallen war.
Doch nun ist der Ukraine-Krieg dazwischengekommen. Wegen den damit verbundenen westlichen Sanktionen gegen russische Banken und Vermögenswerte der russischen Zentralbank ist es seit März unsicher geworden, ob Russland ausstehende Anleihen tilgen und Kupons bedienen will („willingness to pay“), beziehungsweise dies zu tun in der Lage ist („ability to pay“) oder ob die Rückzahlung erlaubt wird („permission to pay“).
Es wird immer enger für Moskau
Mitte und Ende März hatten Kupon-Zahlungen in US-Dollar auf eine russische Staatsanleihe noch die westlichen Anleger erreicht. Doch das hat sich nun geändert. Mit der Nachricht, dass das US-Finanzministerium der Korrespondenzbank der russischen Föderation die Erlaubnis zur Überweisung von zwei Zahlungen über rund 650 Millionen US-Dollar an den Paying Agent Citibank untersagt habe, droht nun ein technischer Zahlungsausfall Russlands. Dies, sofern das Finanzministerium nicht andere Abwicklungswege abseits des US-Finanzsystems findet, etwa über europäische oder chinesische Banken. Deren Bereitschaft und Fähigkeit, ad hoc in die Abwicklungskette einzutreten, dürfte jedoch fraglich sein.
Es wird aber immer enger für Russland, noch Auszahlungen in Hartwährung vorzunehmen. Um das Problem zumindest für inländische Halter klein zu halten, hatte das russische Finanzministerium Ende März bereits kurzfristig ein Andienungsangebot für die am 4. April fällige US-Dollar-Anleihe veröffentlicht. Dabei wurden etwa 72 Prozent der Bestände zurückgekauft, jedoch in Rubel und nicht wie im Prospekt vereinbart in US-Dollar. Das könnte ein Vorbild für weitere demnächst fällig werdende Anleihen werden. Falls keine Klausel in den Staatsanleihe-Prospekten vorsieht, dass eine Zahlung in Rubel statt in Hartwährung möglich ist, betrachtet das die internationale Bankenvereinigung Institute of International Finance (IIF) als Zahlungsausfall.
Russland steht vor der technischen Zahlungsunfähigkeit
Credit Default Swap 5y in Basispunkten
Karenzfrist läuft bis 4. Mai
Aktuell ist die Lage wenig transparent. Dennoch ist offen, ob ausländische Halter für die am 4. April fällige Anleihe wie im Prospekt vorgesehen eine Rückzahlung in US-Dollar erhalten. Die Karenzfrist (grace period) dauert dreißig Tage – also bis zum 4. Mai. Das russische Finanzministerium hat bereits ersatzweise eine Tilgungszahlung an ausländische Investoren in Rubel auf Konten beim russischen Zentralverwahrer National Settlement Depository (NSD) angeordnet. Damit könnten Anleger, die bei NSD ein entsprechendes Rubel-Konto haben, prinzipiell in der Lage sein, eine Rückzahlung zu erhalten – nur eben nicht in US-Dollar. Falls die Nachfrist ohne Zahlung in US-Dollar verstreicht, dürfte der Internationalen Swap-Dealer-Verband ISDA dies als Kreditausfall einstufen. Daraufhin würden Zahlungen auf Kreditderivate (CDS) auf die russische Föderation fällig. Die CDS auf russische Staatsanleihen stiegen zuletzt auf ein Rekordhoch, das einen Zahlungsausfall zu 99 Prozent Wahrscheinlichkeit in einem Zeitraum von fünf Jahren signalisiert. Westliche Ratingagenturen hatten schon im März erklärt, im Fall einer Nichtbedienung in einer vertraglich vereinbarten Währung einen selektiven Zahlungsausfall bei einer Anleihe festzustellen. Die russische Föderation sieht sich dagegen willig und finanziell in der Lage, den vorgesehenen Pflichten als Kreditnehmer nachzukommen. Sie werde aber daran durch westliche Sanktionen gehindert.
Mögliche Szenarien für ausländische Anleger
Wie geht es nun weiter? Zunächst droht ein technischer Zahlungsausfall der russischen Föderation. Falls dieser festgestellt wird, ist eine Kettenreaktion an Ausfällen möglich. Die Verkaufsprospekte anderer russischer Hartwährungsanleihen enthalten eine reziproke Verzugsklausel (cross default clause), der zufolge die Anlegerversammlung beim Zahlungsausfall einer einzelnen Staatsanleihe gleich alle anderen Hartwährungs-Staatsanleihen fällig stellen kann (acceleration clause). Möglicherweise kann die russische Regierung dies aber vermeiden, indem sie den Gläubigern die Rückzahlung auf anderem Wege zukommen lässt oder ein Abfindungsangebot zu pari (Nennwert) oder in einer anderen Währung anbietet.
Denkbar ist auch, dass Moskau hierzu in einer Gläubigerversammlung einen Beschluss über die Änderung der Zahlungsbedingungen der überfälligen Anleihe herbeiführt. Immerhin hält sie durch den Rückkauf von mehr als 70 Prozent des ausstehenden Volumens sowie durch vorherige Eigenbestände bei der am 4. April fälligen Anleihe eine Mehrheit. Würde es durch eine Änderung der Zahlungsbedingungen zu einer Abfindung aller Gläubiger kommen, verhinderte dies wohl die Fälligstellung anderer russischer Staatsanleihen, nicht aber den Eintritt eines Kreditausfalls auf Kreditderivate.
Nur geringes Volumen international ausstehend
Nach Schätzungen des IIF belief sich das Volumen der im Ausland gehaltenen russischen Staatsanleihen zu Jahresbeginn auf etwa 20 Milliarden US-Dollar. Ein erheblicher Teil dürfte mittlerweile bereits durch Notverkäufe an russische Halter übergegangen sein. Dem stehen mehrere hundert Milliarden US-Dollar an Devisenreserven der russischen Zentralbank gegenüber, die von Geschäfts- und Zentralbanken des Westens gehalten werden.
Sollte es zu einem Zahlungsausfall auf russische Staatsanleihen kommen, dürften ausländische Anleger daher versuchen, Devisenreserven bei westlichen Notenbanken zu pfänden. Langjährige Rechtsstreitigkeiten könnten folgen, die Russland den Zugang zum Kapitalmarkt verwehren, was mittelfristig für Moskau mit hohen volkswirtschaftlichen Kosten verbunden wäre. Sollte es zu einer Beendigung des Ukraine-Kriegs kommen und Russland sich wieder stärker nach Westen orientieren, besteht daher eine Chance auf eine Wiedergewinnung von ausländischen Forderungen gegen die russische Föderation.
Es besteht keine zwingende Kausalität zwischen einem Default Russlands und einem solchen von russischen Unternehmensanleihen. Doch hat das juristische und operationelle Risiko bei russischen Emittenten zugenommen, und die Zahl der Fälle mehrt sich, wonach Hartwährungszahlen zwar von den Emittenten transferiert, diese aber von Banken in den USA oder der EU aus Compliance-Gründen blockiert werden. Wie bei russischen Staatsanleihen ist aber auch bei Unternehmensanleihen jeweils für eine fundierte Einschätzung eine Fall-zu-Fall-Betrachtung nötig.