Jahrelang wurden Investitionen in Infrastruktur verschiedenster Bereiche wie Gesundheitswesen, Kommunikation oder etwa Energieversorgung vernachlässigt. Seit der Corona-Pandemie und noch stärker seit dem Beginn des Ukrainekriegs findet ein Umdenken in der Politik statt. Ohne privates Kapital lassen sich die Herausforderungen aber nicht stemmen. Damit ist Infrastruktur ein wichtiges Anlagethema – vor allem in einem Inflationsumfeld.
Als Bundeskanzler Olaf Scholz Ende Februar vor dem Bundestag von einer Zeitenwende sprach, da bezog er sich nicht nur auf die neue Sicherheitspolitik. Die Begrifflichkeit könnte auf so gut wie alle Formen von Infrastruktur ausgedehnt werden. Denn der Ukrainekrieg macht noch deutlicher, was bereits die Coronakrise offengelegt hat: Energie, Transportnetze und digitale sowie gesundheitliche Infrastruktur bedürfen andauernder Investitionen. Erfolgen diese nicht oder fallen sie zu gering aus, hat dies Konsequenzen für unseren Alltag, für das Wachstum und den Wohlstand einer Gesellschaft.
Das McKinsey Global Institute errechnete im Rahmen der Studie „Bridging Global Infrastructure Gaps“, dass weltweit rund 2,3 Billionen Euro pro Jahr in Transportnetze, Energie, Wasser und Telekommunikation investiert werden. Das entspricht rund 3,5 Prozent des weltweiten Bruttoinlandprodukts (BIP). Doch diese Summe reicht nicht aus, um Verkehrschaos, zu langsames Internet und Stromausfälle zu verhindern. Eigentlich müssten laut Studie jährlich knapp drei Billionen Euro (rund 3,8 Prozent des weltweiten BIP) für Infrastruktur verwendet werden.
Deutschland investiert im Vergleich der G20-Staaten laut dieser Berechnungen prozentual am wenigsten: Zwischen 2008 und 2013 waren es durchschnittlich nur zwei Prozent des BIP. Um den Bedarf bis zum Jahr 2030 zu decken, müsste Deutschland jährlich zusätzlich 0,4 Prozent des BIP, also rund 160 Milliarden Euro in Infrastruktur investieren.
Corona-Krise und Ukrainekrieg beschleunigen Umdenken
Die Dringlichkeit scheint mittlerweile bei den handelnden Parteien angekommen zu sein. Während der Pandemie zeigten sich deutlich die Lücken im chronisch unterfinanzierten Gesundheitssektor, in der zu langsam fortschreitenden Digitalisierung von essenziellen Dienstleistungen wie Bildung oder im Netzausbau mit leistungsfähigen Glasfaserkabeln. Auch anfällige Lieferketten bedürfen hoher Investitionen, um sie widerstandsfähiger zu machen. Das geschieht im Zuge der Deglobalisierung, indem relevante Produktionsprozesse in das eigene oder in „befreundete“ Länder zurückverlagert werden.
Die Pandemie und der Krieg in Europa beschleunigen als Katalysator bereits bestehende Trends. Nachhaltigkeitsaspekte spielen in dem Prozess eine wichtige Rolle. So ist der Auf- und Ausbau von nachhaltiger Infrastruktur ein Schwerpunkt der Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung (kurz UN SDGs). Diese Nachhaltigkeitsziele umfassen auch die Bereiche Gesundheit, Bildung, Wasser, Energie und Transport. Der Kapitalbedarf ist gerade in diesen Bereichen enorm und ohne Beteiligung des Privatsektors kaum zu stemmen.
Auch die weltweiten Anstrengungen für mehr Klimaschutz, auf die sich Staaten im Pariser Klimaschutzabkommen und mit dem European Green Deal geeinigt haben, zielen auf Infrastrukturthemen wie den Ausbau erneuerbarer Energien ab. Sie unterstützen den Umbau der Wirtschaft hin zu einer treibhausgasärmeren Energienutzung. Das Stichwort lautet hier Dekarbonisierung.
An diesen Trends ändert auch der russische Angriff auf die Ukraine nichts – im Gegenteil. Der Krieg beschleunigt die Entwicklung. Die westlichen Staaten wollen mit Hochdruck mehr Unabhängigkeit und Stabilität in der Energieversorgung erreichen, neue Bezugsquellen erschließen und die Produktion von erneuerbarer Energie weiter hochfahren sowie die Energieeffizienz der Wirtschaft steigern.
Die Europäische Union (EU) beispielsweise versucht mit ihrer Initiative „RePowerEU“, die Abhängigkeit von russischem Erdgas bis Ende des Jahres um zwei Drittel zu reduzieren. Deutlich vor dem Jahr 2030 will sie vollständig darauf verzichten. Dafür muss unter anderem mehr verflüssigtes Erdgas (LNG) eingeführt werden, das aus den USA und dem Nahen Osten stammt. Das erfordert neue LNG-Empfangsterminals und die Erweiterung des Pipeline-Netzes.
Auch alternative Energiequellen werden stärker angezapft: Die Produktion und Verwendung von Biomethan dürfte zunehmen, wobei Abfallunternehmen als Lieferanten eine wichtige Rolle spielen. Und eine Beschleunigung der Energiewende ist ohne den Ausbau von Wind- und Solarenergie gar nicht möglich – hier sind Projektentwickler und Zulieferer gefragt. Auch Investitionen in Stromnetze sind vonnöten, um die Wirtschaft weiter zu elektrifizieren. Der spanische Energieanbieter Iberdrola hat kürzlich geschätzt, dass jeder Euro, der in erneuerbare Kapazitäten investiert wird, durch Investitionen in Höhe von 70 Cent in die Stromnetzinfrastruktur unterstützt werden müsste. Damit sind etwa Netzbetreiber mit entsprechendem Know-how unentbehrlich.
Mit Investitionen in Infrastrukturaktien können Anleger an diesen sehr langfristigen Wachstumstrends teilhaben. Die Anlageklasse ist interessant, da sie vorhersehbare, stabile Mittelzuflüsse, sogenannte Cash-Flows, liefert und oft auch einen gewissen Inflationsschutz bietet.
Denn grundsätzlich gilt im aktuellen Zinsumfeld: Auch wenn die Europäische Zentralbank (EZB) den Zins anheben wird, bleiben die realen Zinsen – also die Zinsen unter Berücksichtigung der Inflation – negativ. Dies ist ein guter Nährboden für Infrastrukturanlagen. So sind beispielsweise bestimmte Einnahmen oder Gebühren im Infrastrukturgeschäft, wie im Fall von Mautstraßenbetreibern, an die Preisentwicklung gekoppelt.
„Investitionen in Infrastruktur eignen sich zur Streuung von Anlagerisiken.“ Benjardin Gärtner
Auch sind die Wechselbeziehungen zu anderen Anlagen vergleichsweise gering, so dass sich Investitionen in Infrastruktur zur Streuung von Anlagerisiken eignen.
Ganz risikolos sind die Papiere aber nicht. Politische oder geostrategischen Veränderungen beeinflussen sie stark. In einem diversifizierten Aktienfonds lässt sich auf solche Ereignisse flexibler reagieren. Zudem ist über ein breit gestreutes Portfolio auch eine Beteiligung an unterschiedlichen Bereichen wie Kommunikation, Energie, Versorgung, Transport, Digitale Infrastruktur, Immobilien sowieGesundheit möglich. Damit lässt sich eine Anlage auf verschiedene strukturelle Trends ausrichten, die unabhängig voneinander sind. Das sollte eine robustere Entwicklung ermöglichen.
Fazit
Die schnellen Veränderungen der ökonomischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen unterstützen die Anlage in Infrastrukturaktien. Die Coronakrise hat schonungslos die Überalterung der bestehenden Infrastruktur offengelegt. Der Ukrainekrieg beschleunigt deren Um- und Ausbau, da die Regierungen vor allem der westlichen Staaten die Dringlichkeit von Investitionen als Antwort auf die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umwälzungen erkannt haben. Die Anlage in Unternehmen der Infrastruktur ist für Investoren interessant, da sie so an den langfristigen Trends teilhaben können und sie zudem einen gewissen Inflationsschutz bietet.
Benjardin Gärtner, Leiter Portfoliomanagement Aktien und Mitglied des Union Investment Committee (UIC)