Gespannt hatten die Märkte auf die Juni-Inflationsdaten für Deutschland gewartet, und schon vor der Bekanntgabe keimte Hoffnung auf. Denn: Bereits für Nordrhein-Westfalen, als bevölkerungsreichstes Bundesland ein guter Indikator für die gesamte Republik, war die Teuerung niedriger als im Vormonat ausgefallen. Für Juni gab der zuständige Landesbetrieb Information und Technik Nordrhein-Westfalen am Donnerstag, dem 30. Juni, einen Anstieg um 7,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr bekannt. Im Mai hatte der Wert noch bei 8,1 Prozent gelegen.
Inflation in Deutschland fällt auch wegen staatlicher Hilfen
Wenig später gab rheinaufwärts das Statistische Bundesamt in Wiesbaden dann bekannt, dass sich auch in der Bundesrepublik die Preissteigerungen im Juni weniger stark fortsetzten als noch im Mai. Die Inflation gemäß nationaler Berechnungsgrundlage betrug demnach 7,6 Prozent im Juni nach 7,9 Prozent im Vormonat. Wirft man einen Blick in die Unterkomponenten, so legte der Teilindex für Waren um 14,0 Prozent zu nach 13,6 Prozent im Vormonat. Dieser Anstieg liegt unter anderem in den Preisen für Lebensmittel begründet, wo das Bundesamt eine Verteuerung um 12,7 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat (Mai: 11,1 Prozent) ermittelte. Die Energiekomponente blieb hingegen im Wesentlichen unverändert. Eine Verlangsamung des Preisanstiegs verzeichnete die Statistik hingegen für den Dienstleistungsbereich. Der Teilindex kletterte gegenüber dem Vorjahr um 2,1 Prozent (Mai: 2,9 Prozent).
Für das Ausrufen einer Trendwende ist es aber noch zu früh. Denn die preisdämpfende Wirkung des im Juni eingeführten Spritpreisrabatts und des 9-Euro-Tickets überkompensierte die Preissteigerungen in anderen Bereichen. Beide Maßnahmen laufen allerdings nur bis August und werden eine preistreibende Wirkung im September haben. Ein anhaltender Rückgang der Teuerung in den nächsten Monaten ist daher nicht zu erwarten. Vielmehr ist bis Spätsommer mit einem weiteren Anstieg zu rechnen.
Ein Grund dafür ist der in den vorgelagerten Wirtschaftsstufen aufgelaufene Inflationsdruck. Wie das Statistische Bundesamt bereits am 20. Juni berichtete, sind zum Beispiel die Erzeugerpreise in Deutschland im Mai um 33,6 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat geklettert – der höchste Anstieg seit Beginn der Erhebung im Jahr 1949. Als stärkste Treiber wurden neben Energie auch Vorleistungsgüter wie Metalle, Dünger oder Futtermittel identifiziert. Diese höheren Produzentenpreise werden sich perspektivisch noch weiter in den Konsumentenpreisen niederschlagen.
Gestiegene Inflation im Euroraum
Auch bei der Inflationsrate in der Europäischen Währungsunion (EWU) zeichnet sich noch keine Trendwende ab. Neben Deutschland hat zum Beispiel auch Spanien in der abgelaufenen Handelswoche Daten vorgelegt. In der viertgrößten Volkswirtschaft der EWU kletterte der (Harmonisierte) Verbraucherpreisindex im Juni um 10,0 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Im Mai hatte der Anstieg noch bei 8,5 Prozent gelegen. Neben den Treibern Energie und Nahrung spielt auch der wiederanspringende Tourismus auf der iberischen Halbinsel eine wichtige Rolle. Laut Angaben des nationalen Statistikamts legten die Preise für Hotels, Cafés und Restaurants besonders stark zu. Und auch im Euroraum als Ganzem ist die Inflation erneut gestiegen. Wie am Freitag, dem 1. Juli, bekannt wurde, stieg der Verbraucherpreisindex für die Währungsunion im Juni um 8,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr (Mai: 8,1 Prozent).
Keine Trendwende bei der Inflation im Euroraum
Vor allem Energie und Lebensmittel verteuern sich
Quelle: Eurostat, eigene Berechnung; *Schnellschätzung - Juni 2022; Stand 01. Juli 2022.
Erst im Schlussquartal 2022 sollte die Situation in der Eurozone beginnen, sich allmählich zu entspannen. Dann sollte eine Kombination aus verringerter Wachstumsdynamik (und daher abnehmender Gesamtnachfrage), Verschiebung der Nachfrage von Gütern zu Dienstleistungen, einer teilweisen Auflösung realwirtschaftlicher Verspannungen (Stichwort Angebotsengpässe und Lieferkettenproblematik) sowie einer Beruhigung bei den Rohstoffpreisen die Inflationsraten langsam, aber stetig in den Sinkflug drücken. Für die kommenden Monate sehen die Volkswirte von Union Investment also zunächst keine deutlichen Rückgänge und rechnen für 2022 mit einer Inflation von 7,6 Prozent im Euroraum und 8,2 Prozent in Deutschland. Eine deutliche Entspannung ist erst 2023 zu erwarten. Dann sollten sich Angebot und Nachfrage besser ausbalancieren, da die Angebotsengpässe weiter nachlassen und der post-pandemische Konsumschub an Fahrt verlieren wird. Die Inflation sollte dann laut den Prognosen von Union Investment bei 4,1 Prozent in der EWU und 4,5 Prozent in Deutschland liegen.
Klar ist aber auch: Die niedrigen Inflationsraten der „Vor-Corona“-Jahre gehören der Vergangenheit an. In den 2020er Jahren ist insgesamt mit einer höheren Teuerung zu rechnen als in der vergangenen Dekade. Strukturelle Gründe wie zum Beispiel eine abnehmende Globalisierung und damit einhergehend höhere Herstellungskosten für viele Güter oder die Demografie (weniger Erwerbspersonenpotenzial) sprechen perspektivisch für höhere Inflationsniveaus.
Sintra: Fokus Inflationsbekämpfung
Damit dieser absehbare Trend nicht ausufert und die Inflationserwartungen der Wirtschaftssubjekte so gut wie möglich verankert bleiben, sind die Notenbanken offenbar zu harten Schritten entschlossen. Das wurde auf dem Forum der Europäischen Zentralbank (EZB) im portugiesischen Sintra (27. bis 29. Juni) deutlich. Inhaltlich wurden zwar auf dem Treffen keine neuen Punkte präsentiert. Insbesondere die Worte der EZB-Präsidentin Lagarde, des US-Notenbank-Chefs Powell, des Gouverneurs der Bank of England Bailey und des Generaldirektors der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) Carstens unterstrichen aber: Rund um den Globus sind die Währungshüter besorgt – und ihr Fokus liegt sehr klar auf der Inflationsbekämpfung, wenn nötig mit harten Mitteln.
Stand aller Informationen, Erläuterungen und Darstellungen:
4. Juli 2022, soweit nicht anders angegeben.