Holpriger Auftakt für die Berichtssaison
Die Berichtssaison hat an Fahrt aufgenommen. Bislang zeigt sich ein uneinheitliches Bild – die am Markt gehegten Erwartungen wurden teilweise übertroffen, teilweise auch verfehlt. Angesichts der hohen Inflation und Wechselkursschwankungen dürften die Konsensschätzungen im Markt für die Gewinne 2023 aktuell noch zu optimistisch sein.
Die beiden US-Großbanken JP Morgan und Morgan Stanley haben mit der Vorlage ihrer Quartalsberichte die heiße Phase der Berichtssaison eröffnet. Wenn die Ergebnisse ein Test für das waren, was noch kommt, fiel er nicht überzeugend aus. JP Morgan verfehlte die am Markt gehegten Erwartungen beim Ergebnis unter anderem wegen einer Schwäche im Investmentbanking. Die Zinseinnahmen legen aber angesichts gestiegener Zinsen deutlich zu. Die Großbank stellt nun temporär ihre Aktienrückkäufe ein, um „ein Maximum an Flexibilität“ zu haben, wie sie sagte. JP Morgan-Vorstandschef Jamie Dimon sagte, zwar seien der Arbeitsmarkt und Konsum weiter robust, aber die geopolitischen Spannungen, hohe Inflation, Unsicherheit über die Höhe der Zinsanhebungen und die Auswirkungen der russischen Invasion in die Ukraine dürften sehr wahrscheinlich im weiteren Verlauf negative Konjunkturfolgen haben. Die Aktie verlor am 14. Juli 2022 zeitweise über fünf Prozent und schloss 3,5 Prozent tiefer. Auch Morgan Stanley verfehlte die Erwartungen, die Aktie ging aber nur 0,4 Prozent tiefer aus dem Handel. Demgegenüber übertraf Citigroup mit den am 15. Juli 2022 vorgelegten Quartalszahlen die Markterwartungen, und die Aktie und mit ihr der gesamte US-Bankensektor legten danach deutlich zu.
Die Spannung ist hoch: Die stark erhöhte Inflation, ungewisse Aussichten in der Energieversorgung sowie (geo-)politischen Risiken machen es vielen Unternehmen schwer, belastbare Prognosen zu geben. So hat etwa der Chemiekonzern BASF seinen Ausblick nach guten Zahlen bestätigt, aber das Unternehmen unterstrich die grassierende Unsicherheit und niedrige Visibilität. Angesichts der stark gestiegenen Preise für verschiedene Rohstoffe und andere Ausgangsmaterialien erhoffen sich die Anleger aus der Berichtssaison nun Aufschlüsse darüber, wie gut Unternehmen die höheren Input-Kosten auf ihre Kunden überwälzen können. Diese Hoffnung auf Transparenz dürfte schwer zu erfüllen sein.
Die bisher vorgelegten Unternehmensberichte zeigen ein gemischtes Bild. Aus der Halbleiterbranche haben Micron und Taiwan Semiconductor Manufacturing Co. (TSMC) berichtet. TSMC berichtete robuste Zahlen für das zurückliegende Quartal und erhöhte die Umsatzprognose für das laufende Jahr, kündigte zugleich aber an, aufgrund der unsicheren Nachfrageperspektiven im Elektronikgeschäft die Investitionen gegenüber der ursprünglichen Planung um neun Prozent zurückzufahren. Doch lassen die aktuellen Zahlen den Rückschluss zu, dass es etwa im Smartphone-Geschäft, wo der US-Anbieter Apple ein wichtiger Kunde ist, relativ robust läuft. Eine Woche zuvor hatte bereits Samsung Electronics besser als erwartete Umsatzzahlen vorgelegt.
Damit sind die Sorgen, dass die Chip-Branche in einer Rezession weiter unter Druck geraten könnte, aber noch nicht verflogen. Ende Juni hatte der US-Anbieter Micron die Prognose für den Umsatz für das laufende Quartal so stark gestutzt, dass er über ein Fünftel unter den Markterwartungen lag. Der Kapitalmarkt erwartet in der Branche insgesamt einen deutlichen Lagerabbau in den kommenden Quartalen, was zu einer Korrektur bei Wachstumsannahmen und zu Gewinnrevisionen führen dürfte. Halbleiteraktien nehmen aber bereits viel vorweg: Gemessen am Philadelphia Stock Exchange Semiconductor Index (SOX-Index) hat der Halbleitersektor seit seinem Höchststand Ende Dezember 2021 etwa 37 Prozent verloren und damit so viel wie seit der großen Finanzkrise 2007/08 nicht mehr. Nach den besser als erwarteten Zahlen von Samsung und TSMC haben die Kurse noch keine Trendwende gezeigt. Langfristig sind die Aussichten für den Sektor nach Einschätzung der Experten von Union Investment angesichts struktureller Wachstumstrends weiterhin interessant.
Im konsumnahen Bereich haben Hugo Boss und der Uhrenhersteller Swatch robuste Zahlen präsentiert. Weniger gut lief es für den Aufzughersteller Kone, dessen Geschäft vor allem unter den Lockdowns in China gelitten hat. Für das laufende Geschäftsjahr senkte das Unternehmen den Umsatz- und Ergebnisausblick. Und bei den Airlines enttäuschte in den USA Delta Air Lines mit den Quartalszahlen. Das Unternehmen verwies zur Begründung auf höhere Betriebskosten. Dazu trugen höhere Energie- und Lohnkosten bei.
Abgesehen von der Kosteninflation ist ein weiterer nicht zu vernachlässigender Faktor der Einfluss der Wechselkursentwicklung. Viele Unternehmens- und Analystenprognosen berücksichtigen bisher noch nicht die US-Dollar-Stärke. Der US-Dollar-Index, der die Veränderung des Greenback gegenüber einer Reihe an Industrieländerwährungen spiegelt, hat seit Anfang dieses Jahres über 13 Prozent aufgewertet – gegenüber dem Euro beträgt das Plus rund 12 Prozent (Stand 15. Juli 2022). Dies dürfte zu niedrigeren Gewinnerwartungen im mittleren einstelligen Prozentbereich bei US-Unternehmen führen. Der Softwareriese Microsoft hatte aus diesem Grund bereits den Ausblick senken müssen.
In Europa wird zudem in verschiedenen Ländern intensiver über die Abschöpfung von so genannten Zusatzgewinnen („windfall profits“) aus gestiegenen Energiepreisen oder in Erwartung steigender Zinsen diskutiert beziehungsweise bereits umgesetzt. Angestrebt wird eine Umverteilung: Mit den zusätzlichen Steuereinnahmen sollen private Haushalte bei steigenden Lebenshaltungskosten entlastet werden. Als Folge davon sind die europäischen Bank- und Energiewerte in der Breite am Aktienmarkt unter Druck geraten.
Aktueller Berichtssaison kommt besondere Aufmerksamkeit zu
Globale Gewinnrevisionen signalisieren Schwäche
Aktueller Berichtssaison kommt besondere Aufmerksamkeit zu
Gewinnerwartungen „noch“ stabil
Konsenserwartungen zu optimistisch
Laut dem Datenanbieter Refinitiv erwartet der Analystenkonsens für 2023 ein Gewinnwachstum im S&P 500-Index von rund neun Prozent. Für den MSCI Europe geht der Konsens von einem Plus von knapp vier Prozent aus. Die Strategen von Union Investment erachten diese Bottom-Up-Konsensschätzungen als zu optimistisch, insbesondere da in den USA noch ein Margenanstieg erwartet wird. Wahrscheinlicher ist eine „schwarze Null“, auch ein Rückgang ist nicht auszuschließen. Die ersten Berichte zeigen, dass die Unsicherheit bezüglich der Gewinnentwicklung groß ist. Es zeichnen sich weitere Gewinnrevisionen ab. Auch wenn die Bewertungen bereits zurückgekommen sind, sollten sich Anleger auf weiter schwankungsreiche Märkte einstellen.