Ziemlich beste Freunde: China und Russland

Union Investment | 18.08.2022 02:07 Uhr
© Photo by Serge Kutuzov on Unsplash
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Archiv-Beitrag: Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

  • China und Russland sehen gemeinsames Weltbild als klaren Gegenentwurf zum Westen 
  • Ukraine-Krieg beschleunigt Blockbildung, eine vollständige Trennung ist aber (noch) unwahrscheinlich 
  • Dennoch könnten ausländische Unternehmen in China bereits jetzt mit höheren Risikoprämien belegt werden

Die Blockbildung der Welt schreitet voran 

Vor drei Jahren waren es noch ein Kuchen, eine Vase und eine Kiste Speiseeis, die Russlands Präsident Vladimir Putin seinem chinesischen Amtskollegen Xi Jinping zum 66. Geburtstag überreichte – die beiden hatten sich bei sommerlichen Temperaturen auf einer Konferenz getroffen. In diesem Jahr telefonierten Putin und Xi am 15. Juni zwar nur, doch auch die Aussagen, die aus dem Gespräch überliefert wurden, hatten es in sich. Russland ließ verlauten, China habe mit Blick auf die Ukraine die „Legitimität der russischen Handlungen“ bestätigt, die „der nationalen Sicherheit in Anbetracht externer Gefahren“ dienen würden. Zudem wolle man die Zusammenarbeit in den Bereichen „Energie, Finanzen, Industrie, Transport und anderen“ ausbauen. China widersprach nicht – ein Geschenk für den „lieben Freund“ Putin? 

Einen Tag nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine hatte China noch seine Neutralität betont. Man unterstütze „die Souveränität und territoriale Integrität aller Länder“. Doch von dieser Haltung rückte Peking in den vergangenen Wochen mehr und mehr ab. Zwar gab es keine offensichtliche Unterwanderung der westlichen Sanktionen gegen Russland, auch wenn der russische Anteil an chinesischen Rohstoffimporten in den letzten Monaten merklich zunahm. Und dennoch: China kritisiert nun immer stärker die westlichen Sanktionen und warnt davor, dass sie Lebensmittel- und Energiepreise steigen ließen. Präsident Xi nannte sie zuletzt einen „Bumerang“ und ein „zweischneidiges Schwert“, denen man sich in ihrer Einseitigkeit entgegenstellen müsse. Gleichzeitig gab er indirekt der Ukraine selbst und der NATO-Osterweiterung die Schuld am Krieg. Klar ist: Russland und China rücken näher zusammen. Was bedeutet das für das geopolitische Gleichgewicht in der Welt – und für ausländische Unternehmen im Reich der Mitte? 

Chinesisch-russische Freundschaft im Wandel 

Die stärkere verbale Unterstützung Russlands ist die Fortführung einer langfristigen Entwicklung, wie eine textliche und semantische Analyse des Mercator Institute for China Studies (MERICS) zeigt1. Während sich gemeinsame Kommuniqués von Russland und China zu den Zeiten Jiang Zemins (1993-2003) noch auf gute Nachbarschaft beschränkten und unter Hu Jintao (2003-2013) wirtschaftliche Kooperation im Mittelpunkt stand, hat sich der Fokus unter Xi (seit 2013) klar auf die Geopolitik ausgerichtet. 

So tauchen die Worte „USA“ und „NATO“ inzwischen deutlich öfter in gemeinsam herausgegebenen Verlautbarungen auf – vor allem im Zusammenhang mit dem Wort „ablehnen“. Zudem zeigt die Analyse, dass sich gemeinsame Mittteilungen über die Jahre immer stärker von bilateralen Themen weg- und auf ein gemeinsames Weltbild hinbewegen. Dieses Weltbild sieht die USA und die NATO als Gefahr für den Frieden und lehnt (westliche) Menschenrechtsstandards und Demokratie sowie die Einmischung in interne Angelegenheiten ab. Gleichzeitig wurde ab 2017 immer häufiger auf eine Kooperation zwischen den beiden Staaten in strategischen Zukunftsfeldern wie dem Cyberspace, aber auch dem Weltraum und der Arktis abgezielt. 

Warum sich China nicht von Russland abwendet 

Russlands Krieg in der Ukraine stellt China nun vor ein Dilemma: Wirtschaftlich ist das Land immer noch stark vom Westen abhängig, aber gleichzeitig braucht Peking Russland zum Aufbau seiner neuen internationalen Ordnung. Die Überlegung Xi Jinpings ist deshalb klar: Nur wenn Putin den Krieg politisch überlebt, kann Russland ein wertvoller Partner für China bleiben. Das ist insofern wichtig, da eine politische Annäherung der Europäischen Union (EU) an China nun Geschichte sein dürfte. Hatte China in den vergangenen Jahren noch gehofft, die EU würde sich im Zuge einer „strategischen Selbstständigkeit“ stärker von den USA emanzipieren, hat der Ukraine-Krieg das genaue Gegenteil bewirkt. 

Somit sieht sich China einem erneut stärker geeinten transatlantischen Bündnis gegenüber, welches inklusive weiterer Partnerländer auf über 50 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts (BIP) kommt. China als alleiniges Schwergewicht außerhalb dieses Blocks (mit 19 Prozent am weltweiten BIP) ist daher auf Russland als Wirtschaftspartner angewiesen. Insbesondere weil Russland helfen kann, China als den Anführer des globalen Südens zu etablieren – mit Partnern in Asien, aber auch in Afrika, Lateinamerika und auf dem westlichen Balkan. 

Ukraine-Krieg beschleunigt Blockbildung 

So versucht China bereits jetzt, bestehende multinationale Institutionen zu nutzen, um seine politischen Ambitionen durchzusetzen. Immerhin besteht der oben genannte „Westen“ (vor allem die NATO-Staaten, aber etwa auch Japan und Australien) nur aus 35 der 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen und macht nur rund 14 Prozent der globalen Bevölkerung aus. Die Chancen Chinas durch dieses Ungleichgewicht zeigen sich etwa bei der Abstimmung über die UN-Resolution zur Aggression gegen die Ukraine. Zwar stimmten im Februar 141 Länder für die Resolution – allerdings repräsentieren diese nur rund 43 Prozent der Weltbevölkerung. 

Auch an anderen Maßnahmen lässt sich die Blockbildung ablesen: De facto haben lediglich die westlichen Industrienationen Sanktionen gegen Russland verhängt. Explizit nicht dabei sind neben China auch die anderen BRICS-Staaten (Brasilien, Indien und Südafrika) sowie Argentinien, Indonesien und die Türkei. Und China versucht gerade diese Länder enger in sein Wertegerüst einzubinden, etwa durch die geplante Erweiterung des BRICS-Bundes. Die Türkei, Ägypten und Saudi-Arabien, aber auch Argentinien und Indonesien wurden zuletzt als mögliche Kandidaten genannt. Das Ziel auch hier: Die Schaffung eines alternativen politischen und wirtschaftlichen Machtzentrums als Gegengewicht zum „Westen“. Die Unterstützung Russlands soll China bei diesem Unterfangen zusätzliche Stärke und Glaubwürdigkeit verleihen. Beispiel Rüstung: Russland hat in den vergangenen Jahrzehnten viele Länder mit Verteidigungsgütern versorgt. Eine Umstellung auf US-amerikanische oder europäische Systeme ist nicht ohne enormen Aufwand möglich. Ein gewichtiger Grund, warum sich etwa Indien so schwer mit einer Abkehr von Russland tut. 

Die Etablierung eines China-Blocks auf der einen und dem „Westen“ auf der anderen Seite schreitet damit weiter voran – und wird durch den Ukraine-Krieg noch beschleunigt. Zwar ist Peking nicht gewillt, den Westen öffentlich komplett zu brüskieren. Harte Sanktionen wären gewiss. Zu lange kann China seine strategische Partnerschaft mit Russland allerdings nicht im Ungefähren lassen. China hat daher bereits damit begonnen, indirekt Druck auf den Westen auszuüben, indem sich die politische Führung immer mehr zum Sprachrohr des globalen Südens macht, vor den negativen Auswirkungen der Sanktionen warnt und deren Legitimität in Frage stellt. 

Damit begibt sich China allerdings auch auf eine Gratwanderung: Je länger der Krieg dauert, desto wahrscheinlicher ist es, dass Russland Hilfe braucht oder bereits bestehende, bisher unbekannte Unterstützungsmaßnahmen ans Licht kommen. Das Risiko eines Fehltritts ist hoch und China könnte damit selbst ins Fadenkreuz für Sanktionen geraten. 

Chinas schleichende Grenzverschiebung 

Allerdings zeigt auch der Taiwan-Konflikt, dass China die Grenze des Machbaren aktuell immer weiter verschiebt. Die Militärmanöver, die China als Reaktion auf den Taiwan-Besuch von Nancy Pelosi (Sprecherin des US-Repräsentantenhauses und damit formal die Nummer drei in der Staatsführung) abhielt, hatten einen noch nie dagewesenen Umfang: Zahlreiche Flugzeuge und Kriegsschiffe übertraten die inoffizielle Seegrenze zwischen China und Taiwan. Zudem berichtete das chinesische Staatsfernsehen, eigene Raketen wären über Taiwans Hauptstadt Taipeh geflogen. 

Der Westen reagierte zunächst zurückhaltend, eine weitere Eskalation ist für den Moment unwahrscheinlich. Dennoch bleibt die Lage angespannt – nicht nur militärisch, sondern auch wirtschaftlich: Die Meerenge zwischen China und Taiwan ist eine der meistbefahrenen der Welt. Taiwan ist global der wichtigste Halbleiterproduzent. Eine Blockade des Landes hätte drastische Auswirkungen auf die ohnehin fragilen Lieferketten und damit auf die Weltwirtschaft. 

Das Beispiel Taiwan zeigt aber auch: Ein kurzfristiger Bruch zwischen China und dem Westen steht nicht unmittelbar bevor. Chinas wirtschaftliche Abhängigkeit ist (noch) zu groß, die militärische Stärke (noch) zu gering, um einen offenen Konflikt zu riskieren. Dafür spricht zusätzlich, dass in China zum Jahresende der alle fünf Jahre stattfindende Machtwechsel innerhalb der Partei und der Regierung beginnt, der erst mit der Parlamentssitzung im März 2023 sein Ende nimmt. In dieser Phase wird Präsident Xi, der eine dritte Amtszeit anstrebt, keine internationale Verwerfung provozieren wollen. Im Anschluss erhöht sich das Risiko allerdings deutlich, insbesondere, wenn sich der Westen zu diesem Zeitpunkt in einer wirtschaftlich schwachen Phase befindet. Eine militärische Eskalation scheint aktuell zwar ausgeschlossen, allerdings steigt beim anhaltenden „Säbelrasseln“ auch die Unfallgefahr. Und: Sobald China militärisch stark und wirtschaftlich unabhängig genug ist, nimmt auch die Wahrscheinlichkeit für eine noch aggressivere Gangart Pekings zu. Das dürfte allerdings nicht vor Ende der Dekade der Fall sein. 

Auswirkung der Blockbildung auf Sektoren und Unternehmen 

Die Richtung ist dennoch vorgezeichnet: China und der Westen werden sich in den kommenden Jahren weiter entkoppeln. Der Krieg in der Ukraine hat gezeigt, dass dies im Zweifel schneller passieren kann als allgemein angenommen. Für Investoren kann dies bedeutende Auswirkungen haben. Denn Unternehmen mit hohen Investitionen in China oder einem hohen Exportanteil laufen Gefahr, mit steigenden Risikoprämien belegt zu werden. 

Welche Sektoren könnten potenziell stärker oder schneller von der zunehmenden Entkopplung betroffen sein? Die USA arbeiten schon seit längerer Zeit mit Exportkontrollen, um in strategisch wichtigen Sektoren Chinas Versorgung mit westlicher Technologie einzuschränken. Das berühmteste Beispiel ist wohl der Smartphone- und Netzwerktechnik-Hersteller Huawei, der bereits seit längerem auf einer „schwarzen Exportliste“ steht. Seit August 2020 dürfen Firmen weltweit nicht mehr an Huawei liefern, wenn sie US-Technologie verwenden. Der Grund: Sicherheitsbedenken. Auf diese Art könnten in Zukunft noch weitere chinesische Firmen mit einem Bannstrahl belegt werden, nämlich genau dann, wenn ihre Technologie auch im militärischen oder anderen strategisch wichtigen Bereichen zum Einsatz kommen könnte – und das trifft im High Tech-Bereich auf viele Technologien zu. Der gerade in den USA verabschiedete Chips and Science Act gibt dabei einen Vorgeschmack. Darin werden etwa Investitionen in chinesische High End-Chips untersagt, falls US-Fördergelder in Anspruch genommen wurden. Der Fokus liegt damit klar auf der Stärkung der US-Industrie zulasten der Produktion in China. 

Doch auch Peking wird die Entkopplung vorantreiben. Zum einen, indem chinesische Regulatoren inländischen Unternehmen Börsengänge im Ausland erschweren, um Technologie und Kapital im Inland zu halten – so geschehen etwa beim Fahrdienstvermittler Didi. Zum anderem, indem Peking ausländischen Unternehmen die Geschäfte in China und den Marktzugang insgesamt verkompliziert. Im Falle einer Eskalation besonders gefährdet sind Konzerne, die gemeinsam mit chinesischen Joint Venture-Partnern große Industrie- und Produktionsanlagen im Reich der Mitte aufgebaut haben – etwa aus den Branchen Chemie, Automobile (vor allem Elektroautos), aber auch einzelne Teile des Maschinenbaus. Ein Ansatzpunkt ist auch hier die Digitalisierung: Da inzwischen in vielen Sektoren die digitale Vernetzung Einzug gehalten hat, könnte China versuchen, mit Datentransfer-Beschränkungen ausländische Wettbewerber aus Partnerschaften und damit auch aus dem Markt zu drängen. 

Auch durch die Regierung orchestrierte Boykotte westlicher Marken könnten ein Mittel der Wahl sein. Hier wären dann insbesondere Konsumgüterhersteller betroffen. Schon in der Vergangenheit wurde auf diese Strategie zurückgegriffen, um etwa westliche Firmenlenker für Aussagen mit Blick auf die Menschenrechtssituation in China zu „sanktionieren“. 

Unfairer Wettbewerb in China kann für ausländische Unternehmen zur Gefahr werden

Marktanteile chinesischer Unternehmen in China und im Rest der Welt (in Prozent)

Unfairer Wettbewerb in China kann für ausländische Unternehmen zur Gefahr werden​
Quelle: McKinsey Global Institute, Union Investment; Stand: Juli 2019

Im Fokus stehen zudem jene Sektoren, die zum einen strategisch wichtig für China sind und bei denen zum anderen die eigenen Fähigkeiten schon so weit fortgeschritten sind, dass das Land nicht mehr oder nur noch in geringem Maße vom ausländischen Technologietransfer abhängig ist. In einigen auf der obenstehenden Abbildung gezeigten Bereichen hat China die ausländische Konkurrenz schon aus dem Heimatmarkt verdrängt, bei anderen steht das noch bevor. Für Unternehmen, die in diesen Branchen tätig sind, bedeutet das in jedem Fall Anpassungsdruck. Auch der Kapitalmarkt wird hier genau hinschauen.

Autoren: Volkmar Baur, Janis Blaum und Sandra Ebner, Union Investment.

Stand aller Informationen, Erläuterungen und Darstellungen:
16. August 2022, soweit nicht anders angegeben.

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