Durch die vielen Belastungsfaktoren, wie den Russland-Ukraine-Krieg und die hohe Inflation, fiel die Wertentwicklung an den Kapitalmärkten im laufenden Jahr ausgesprochen schwach aus. Sowohl Aktien als auch Anleihen verzeichneten im ersten Halbjahr Verluste. So verlor beispielsweise der EURO STOXX 50-Index 20 Prozent an Wert, Euro-Staatsanleihen verloren 12 Prozent. Im Juli konnten die globalen Renten- und Aktienmärkte aber wieder Zugewinne verbuchen. Dies lag zum einen an der Suche nach „sicheren Häfen“. Zum anderen an der Berichtssaison zum zweiten Quartal. Viele Unternehmen sind offenbar noch in der Lage, die höheren Inputkosten (Kosten z. B. zur Beschaffung von Vorprodukten, Energie) an ihre Kunden weiterzugeben und damit sogar teilweise fallende Absatzmengen zu kompensieren.
Inflationsdruck verfestigt sich
Die höheren Inputkosten durch steigende Gaspreise und Lohnforderungen führen aber zu einem anhaltenden Inflationsdruck in der Eurozone. Im Juli legte die Teuerungsrate im Vergleich zum Vorjahr um 8,9 Prozent zu und markierte damit den höchsten Stand seit Bestehen der Währungsunion. Auch Deutschland kann sich diesem Inflationsdruck nicht entziehen. Bisher ist der Preisauftrieb überwiegend importiert bzw. angebotsgetrieben. Das Hauptaugenmerk liegt allerdings auf der Frage, wie stark der Preisdruck auch in die Breite ausstrahlt. Der Hochpunkt der Inflationsentwicklung dürfte weder im Euroraum noch in Deutschland erreicht sein. Die außerordentlichen preisdämpfenden Faktoren im Juni und Juli laufen mit dem Ende des Spritpreisrabatts und den 9-Euro-Tickets aus, was den Verbraucherpreisen wieder Auftrieb gibt. Zweistellige Inflationsraten sind laut den Volkswirten von Union Investment ab September in Reichweite. Mit nachlassendem Preisdruck rechnen sie erst im Laufe des kommenden Jahres.
Leicht anders gestaltet sich die Situation in den USA: Die Verbraucherpreise sind im Juli weniger stark gestiegen als erwartet und liegen nun bei 8,5 Prozent. Im Juni lag der Anstieg noch bei 9,1 Prozent im Jahresvergleich. Der Preisdruck lässt somit kurzfristig nach, jedoch bleibt die Inflationsrate weiter auf einem historisch hohen Niveau. Für das Gesamtjahr rechnen die Volkswirte von Union Investment mit einer Teuerungsrate von 8,3 Prozent. Bis Mitte 2023 dürfte sich die Inflationsrate aber auf unter 3,5 Prozent zurückbilden.
Inflation sorgt für Handlungsdruck
Inflationsdruck hält unvermindert an
Quelle: Bloomberg; Stand: 17. August 2022.
Inflationsbekämpfung an erster Stelle der Notenbanken
Durch die ersten Anzeichen eines rückläufigen Inflationsdrucks dürfte sich die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) in ihrem Handeln bestätigt fühlen. Um die Inflation zu bekämpfen, hob sie die Zinsen im laufenden Jahr bereits um 225 Basispunkte an. Union Investment erwartet weitere Zinsschritte in 2022 in Höhe von insgesamt 100 Basispunkten. 2023 dürften dann keine weiteren Zinsanhebungen mehr folgen. Zudem startete bereits der Bilanzabbau (Quantitative Tightening) der Fed. Dadurch soll die Bilanzsumme um circa 1.100 Milliarden US-Dollar pro Jahr reduziert werden. Die quantitative Straffung dürfte zusätzlich zu den Zinserhöhungen das Wirtschaftswachstum drosseln.
Die Europäische Zentralbank (EZB) agierte zögerlicher als ihr Pendant in den USA und begann erst auf der letzten Sitzung mit Zinserhöhungen. Im Juli hob sie die den Einlagenzins um 50 Basispunkte auf null Prozent an. Die verhaltene Reaktion ist vor allem den unterschiedlichen Charakteristika des Preisauftriebs geschuldet: Während die Inflation in den USA auch wesentlich von der Nachfrageseite getrieben ist, wird sie im Euroraum überwiegend importiert. Aufgrund der oben beschriebenen Gefahr einer persistenteren Inflation wird allerdings auch die EZB den Zinserhöhungszyklus weiter fortsetzen. Bis Ende des Jahres 2022 dürfte der Einlagensatz, laut Einschätzung der Volkswirte von Union Investment, bei 1,25 Prozent liegen – und zum Jahresende 2023 bei zwei Prozent.
Leitzinsanhebungen voraus: Zinsschritte werden aber kleiner
Fed: Erhöhungen um weitere 100 BP 2022 eingepreist
Quelle: Bloomberg, Union Investment; Stand: 2. August 2022.
Rezessionssorgen vergrößern sich
Besonders die aggressive Inflationsbekämpfung der Notenbanken nährt die Angst der Anleger vor einer nahenden Rezession, also einem substanziellen Schrumpfen der Wirtschaft auf breiter Basis. Technisch gesehen befindet sich die USA bereits in einer Rezession. Zwei Quartale in Folge sank dort das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Vergleich zum Vorjahresquartal. Qualitativ gesehen kann man aber noch von keiner Rezession sprechen, denn die Binnennachfrage war selbst im ersten Halbjahr noch sehr robust, genauso wie der Arbeitsmarkt. Der private Konsum bleibt durch einen anhaltenden Beschäftigungsaufbau und weiter steigende Löhne unterstützt. Das größte Risiko für einen maßgeblichen Rückgang der Wertschöpfung in den USA ist aktuell, dass die Fed mit ihren Zinserhöhungen überschießt und einen Einbruch der Binnennachfrage auslöst. Darunter würde dann die heimische Wirtschaft leiden. Die US-Notenbank befindet sich daher auf einem schmalen Grat zwischen einer „weichen Landung“ der Wirtschaft und einer Rezession.
Auch am Kapitalmarkt mehren sich die Rezessionssorgen: In den vergangenen Monaten hat sich die US-Zinsstrukturkurve merklich verflacht und zeigte sich zuletzt invers. Derzeit liegt die Rendite für 2-jährige US-Staatspapiere deutlich über jener der 10-jährigen US-Treasuries. Die Leitzinserhöhungen der Fed führten bereits zu steigenden Renditen am kurzen Laufzeitenende. Am langen Ende lasten dagegen Konjunktursorgen auf den Renditen. In der Vergangenheit signalisierte eine inverse Zinsstrukturkurve mitunter eine bevorstehende Rezession. Doch aktuell sprechen die stabile Verfassung des US-Arbeitsmarkts und der Binnennachfrage dagegen. Die Volkswirte von Union Investment rechnen damit, dass sich die Konjunkturdynamik in diesem Jahr zwar weiter abschwächt, aber die US-Wirtschaft nicht in eine ausgeprägte Rezession rutschen wird.
Im Euroraum sehen die Volkswirte den Konjunkturausblick hingegen deutlich kritischer. Über die nächsten Quartale erwarten sie eine stagnierende bis rückläufige Wirtschaftsleistung im Euroraum und eine leichte Rezession in Deutschland. Diese Einschätzung fußt auf der alles entscheidenden Annahme, dass Russland zumindest zum Teil die EU weiter mit Gas beliefert. Sollte dies nicht der Fall sein und bereits kurzfristig Gasknappheiten auftreten, wird eine tiefere Rezession nicht abzuwenden sein. In diesem Fall würde die EZB ihre Zinserhöhungen zunächst aussetzen.
Es lasten somit viele Unsicherheitsfaktoren auf der Wirtschaft und den Kapitalmärkten. Daher dürfte die Volatilität in den kommenden Monaten weiterhin hoch bleiben. In dieser Situation bleiben eine genaue fundamentale Analyse und relative Positionen wichtige Elemente einer erfolgreichen Anlagestrategie.
Stand aller Informationen, Erläuterungen und Darstellungen:
18. August 2022, soweit nicht anders angegeben.