Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gelang es der Partei des amtierenden Präsidenten nur ein einziges Mal nach seinen ersten zwei Amtsjahren, in den Zwischenwahlen Sitze im Repräsentantenhaus hinzuzugewinnen: Der Republikaner George W. Bush profitierte auch noch ein Jahr nach den Anschlägen vom 11. September 2001 von der Unterstützung der Bevölkerung. In allen anderen Fällen musste die Partei des Präsidenten teils herbe Verluste hinnehmen.
Wie sieht es dieses Jahr unter der Regierung des Demokraten Joe Biden aus? Die Kombination aus Bidens sehr schlechten Umfragewerten, den fehlenden Erfolgen bei der Umsetzung seiner überaus ambitionierten Agenda und vor allem einem Benzinpreis von über fünf US-Dollar pro Gallone, der die Stimmung der Wähler stark eintrübte, ließen im Repräsentantenhaus bis vor kurzem Verluste im oberen Bereich der historischen Spanne (zwischen 40 und 60 Sitze) erwarten. Das Umfeld hat sich zuletzt aber deutlich verbessert. Während eine demokratische Mehrheit im Repräsentantenhaus noch vor zwei Monaten vollkommen unrealistisch erschien, bestehe jetzt der Hauch einer Chance, so US-Expertin und Senior Economist Sandra Ebner, die bei Union Investment im Bereich Research & Investment Strategy arbeitet.
Demokraten dürften von aktuellen Entwicklungen profitieren
Zu dieser Einschätzung gelangt Ebner anhand der aktuellen Entwicklungen in der US-Politik. Durch Bidens jüngste Erfolge, wie die Unterzeichnung des Inflation Reduction Acts und des PACT Acts (Promise to Address Comprehensive Toxics), hat sich das Narrativ der Medien über den Präsidenten zum Positiven geändert. Zudem sollten die folgenden drei Punkte den Demokraten in die Karten spielen:
Die kontroverse Abtreibungsentscheidung des Obersten Gerichtshofs scheint ein guter Motivator für den Gang zur Wahlurne zu sein. Darauf deutet das Ergebnis einer Abstimmung über einen Verfassungszusatz in Kansas hin. Eine deutliche Mehrheit der Wähler in dem republikanisch dominierten Bundesstaat stimmte gegen eine Einschränkung des Abtreibungsrechts. Der Grund für diesen Erdrutschsieg: eine extrem hohe Wahlbeteiligung.
Die Benzinpreise sind zuletzt um mehr als einen US-Dollar pro Gallone gefallen. Die Preise notieren nun landesweit wieder unter vier Dollar – Tendenz weiter fallend. Der positive Effekt, den dies auf die Stimmung der Wähler hat, lässt sich an der Entwicklung des Verbrauchervertrauens ablesen. Die republikanische Wahlkampfstrategie war bisher nahezu ausschließlich darauf ausgelegt, Biden und die Demokraten für die hohe Inflation verantwortlich zu machen. Bei fallenden Benzinpreisen dürfte diese Strategie weniger erfolgreich sein.
USA: Verbrauchervertrauen* steigt langsam wieder an
Angaben von Februar 2014 bis Juli 2022
Quelle: Institute for Social Research (University of Michigan); Stand: 2. August 2022. * University of Michigan Consumer Sentiment Index (MCSI)
Die Hausdurchsuchung bei Donald Trump und die Nachwirkungen machen den republikanischen Ex-Präsidenten wieder zu einem relevanten Wahlkampfthema. Für die Demokraten eröffnet sich so erneut die Chance, die Wahl zum Referendum gegen Trump zu machen. Vor allem dann, wenn dieser noch vor den Zwischenwahlen seine neuerliche Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2024 bekannt geben würde. Wird Trump zum dominanten Wahlkampfthema, dürfte auch die Attraktivität republikanischer Kandidaten darunter leiden.
Diese - aus Sicht der Demokraten - positiven Entwicklungen zeigen sich auch in den Wahlumfragen. Beide Parteien sind mittlerweile gleichauf. Die Entwicklung reicht aber noch nicht aus, um das Basisszenario einer republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus zu ändern, so Expertin Sandra Ebner. Diese Einschätzung würde erst angepasst werden, wenn sich die jüngste Dynamik noch weiter verstärkt. Dies wäre beispielsweise möglich, wenn weitere belastende Details aus den laufenden Untersuchungen gegen Trump bekannt würden oder es zu weiteren Angriffen von Trump-Anhängern auf die US-Sicherheitsbehörden käme.
Anders stellt sich die Situation im Senat dar. Hier geht die Volkswirtin davon aus, dass die Demokraten gute Chancen haben, ihre knappe Mehrheit zu verteidigen. Hilfreich sind auch hier die bereits oben angeführten Punkte. Noch wichtiger ist jedoch die Schwäche einiger republikanischer Kandidaten, die dank Trumps Unterstützung zwar die innerparteilichen Vorwahlen für sich entscheiden konnten, die aber für die breite Wählerschaft weniger attraktiv sein dürften. Im Fokus stehen fünf Sitze, bei denen der jeweilige republikanische Kandidat dem Lager der sogenannten „election deniers“ (Kandidaten, die Joe Bidens Wahlsieg weiterhin nicht anerkennen) angehört. In Arizona, Georgia und Nevada haben sich dadurch die Aussichten auf eine Verteidigung der demokratischen Senatssitze verbessert. In Pennsylvania und Ohio stehen zudem die Chancen auf demokratische Zugewinne nicht allzu schlecht.
Welche Implikationen ergeben sich aus dem Wahlausgang?
Egal, ob die Demokraten beide Kammern verlieren oder nur eine – die Zeit des aktiven Regierens in Form von Gesetzesinitiativen wäre für Biden in beiden Fällen vorbei. Gelingt es den Demokraten, die Mehrheit im Senat zu behalten, hätte Biden zumindest noch Freiheiten bei der Besetzung von zustimmungspflichtigen Posten (Richter, Regulierungsbehörden). Der Schwerpunkt im Repräsentantenhaus wird indes auf Untersuchungen zu etwaigem Fehlverhalten der Biden-Regierung und seiner Familie liegen. Auch ein Impeachment-Verfahren (Amtsenthebungsverfahren) ist wahrscheinlich. Jedoch ohne Aussicht auf Erfolg im Senat.
Sollte es den Demokraten wider Erwarten gelingen, die Mehrheit in beiden Kammern zu verteidigen, hätte Biden möglicherweise doch noch die Chance, weitere Teile seiner Sozial- und Steueragenda umzusetzen. Hierfür wären aber mindestens zwei zusätzliche Sitze im Senat notwendig. Direkte Kapitalmarktauswirkungen erwartet Union Investment dabei von keinem der möglichen Wahlausgänge.
Der Wahlausgang könnte jedoch die Weichen für die Präsidentschaftswahlen 2024 stellen, betont Expertin Ebner. Denn in den Schlüsselstaaten der Präsidentschaftswahlen 2020 zeigt sich eine bemerkenswerte Entwicklung. Von 87 republikanischen Kandidaten in sechs Bundesstaaten sind 54 dem Lager der „election deniers“ zuzurechnen. Von den zehn Kandidaten für Ämter, die Einfluss auf die Zertifizierung der Wahlergebnisse haben (Governor und Secretary of State) sind sogar sieben „election deniers“, die zu Protokoll gegeben haben, dass sie Bidens Sieg im jeweiligen Bundesstaat nicht zertifiziert hätten. Wenig lässt darauf schließen, dass sie 2024 anders handeln würden. Sollten mehrere dieser Kandidaten im November gewinnen, birgt dies erhebliche politische Risiken für das Präsidentschaftswahljahr 2024.
Denn eines hat die vergangene Woche gezeigt: Trumps Rückhalt bei der republikanischen Basis ist stärker denn je. Auch die Vorwahl-Ergebnisse sprechen eine eindeutige Sprache: Von den zehn republikanischen Abgeordneten, die für das zweite Impeachment-Verfahren von Trump gestimmt haben, stehen nur noch zwei zur Wiederwahl im November. Der Rest hat entweder die Vorwahlen gegen einen von Trump unterstützen Kandidaten verloren oder hat seine politische Karriere frühzeitig beendet. Sollte Trump daher die Kandidatur anstreben, dürfte ihm diese sicher sein.
Stand aller Informationen, Erläuterungen und Darstellungen:
18. August 2022, soweit nicht anders angegeben.