Bei der italienischen Parlamentswahl ist eine Überraschung ausgeblieben. Das rechtsnationale Bündnis aus Fratelli d'Italia, Lega und Forza Italia hat die Abstimmung gewonnen. Auf den bei Investoren hochgeschätzten Wirtschaftsexperten Mario Draghi folgt eine europakritische, gesellschaftspolitisch konservative und ausgabenfreudige Giorgia Meloni als neue Ministerpräsidentin. Für die Kapitalmärkte heißt das: Perspektivisch nehmen die Unsicherheiten um die drittgrößte Volkswirtschaft im Euroraum zu. Italien wird wieder zum politischen Wackelkandidaten.
Geringe politische Risiken bis Ende 2022…
Kurzfristig, also für den Rest des Jahres 2022, sind die politischen Risiken aber zunächst noch gering. Das neue Parlament tritt am 13. Oktober erstmals zusammen. Vor Ende Oktober wird die Meloni-Administration die Regierungsgeschäfte in Rom kaum übernehmen können. Es bleibt also nur wenig Zeit für politische Initiativen vor der Weihnachtspause. Außerdem hat sich das Mitte-Rechts-Bündnis im Wahlkampf mit Spitzen gegen Brüssel auffallend zurückgehalten. Diesen Kurs der Selbst-Zügelung wird man zunächst fortsetzen, um die Überweisung der dritten „Next Generation EU“-Tranche über 19 Mrd. Euro nicht zu gefährden.
… aber wachsende Unsicherheit ab Frühjahr 2023
Aber: Im Jahr 2023 dürften die Unsicherheitsfaktoren zunehmen. Dann stehen verschiedene Termine an, die zum Lackmustest für die neue italienische Wirtschafts- und Europapolitik werden dürften. Insbesondere bei der Haushaltsplanung bzw. bei der Bewertung des italienischen Budgets durch die EU könnte es zum Streit kommen: ambitionierte fiskalpolitische Pläne in Rom gegen den (ab 2024 wieder geltenden) Stabilitäts- und Wachstumspakt aus Brüssel. Auch beim noch unter Draghi mit der EU abgestimmten Aufbau- und Resilienzplan fordert das Mitte-Rechts-Bündnis Anpassungen. Die Auszahlung der nächsten NGEU-Gelder könnte damit zum Zankapfel werden. Und schließlich entsprechen Melonis Vorstellungen bei Wettbewerbsrecht und Staatshilfen nicht den EU-Regeln.
Höhere Risikoaufschläge im Jahr 2023 möglich
Der Kapitalmarktwind für Italien wird damit rauer. Dies gilt umso mehr, als auch die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen sich verschlechtern. Wir rechnen für 2023 mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um 1,1 Prozent. Zudem wird die Europäische Zentralbank (EZB) restriktiver, sowohl über steigende Leitzinsen als auch über reduzierte Anleihekäufe. Schwächeres Wachstum, straffere Geldpolitik und höheres politisches Risiko sprechen daher für steigende Risikoaufschläge bei italienischen Staatsanleihen.
Schuldentragfähigkeit nicht gefährdet
Allerdings: Das bedeutet noch lange keine Rückkehr der Eurokrise. Die Schuldentragfähigkeit Italiens ist nämlich derzeit nicht gefährdet. Die italienischen Finanzminister haben die vergangenen Jahre genutzt und sich sehr günstig und zu langen Laufzeiten refinanziert. Nur ein Achtel der Gesamtschulden muss jährlich am Kapitalmarkt frisch aufgenommen werden. Es dauert eine ganze Weile, bis sich gestiegene Renditen in deutlich höheren Zinszahlungen niederschlagen. Auch die hohe Inflation – wir erwarten für 2023 eine Teuerung von 6,2 Prozent für Italien – wirkt sich positiv auf die reale Schuldenlast des Landes aus.
Ein politischer Wackelkandidat ist daher noch lange kein insolvenzgefährdeter Umfaller. Aber viele Investoren dürften sich die schlechtere Ausgangslage mit höheren Aufschlägen vergüten lassen. Wie hoch die Spreads schließlich ausfallen, hängt letztlich am Kurs der neuen Regierung und der Geldpolitik der EZB. Vor allem die Reinvestitionen des PEPP-Programms, mit dem die Notenbank in der Pandemie öffentlichen und privaten Schuldnern unter die Arme gegriffen hatte, spielen eine hier wichtige Rolle.
Dr. Jörg Zeuner, Chefvolkswirt und Leiter Research & Investment Strategy sowie Mitglied des Union Investment Committee