- Hohe Inflation und Turbo-Zinswende belasten Rentenmärkte extrem stark
- Aber: Trendwende zu strukturell höherer Inflation und Zinsen schafft Anlagechancen
- Gestiegene Kupons puffern mögliche Kursverluste im Euroraum ab
- Unternehmensanleihen guter Qualität bieten interessante Rendite
- Institutionelle Investoren kehren schrittweise als Käufer an den Markt zurück
Eine bekannte chinesische Verwünschung lautet: „Mögest du in interessanten Zeiten leben.“ Die letzten Jahre an den Rentenmärkten waren so gesehen in der Tat interessant, nämlich für die Anleger sehr herausfordernd. Nach über einem Jahrzehnt markiert das Jahr 2022 den Abschied von Null- und Negativzinsen. Ließ sich mit Euro-Staatsanleihen im Zeitraum von 2000 bis 2020 im Durchschnitt ein Ertrag von 4,8 Prozent erzielen, haben diese Wertpapiere in den ersten drei Quartalen des laufenden Jahres rund 16,5 Prozent an Wert verloren.
Kein Zweifel: Die Turbo-Zinswende hat nach der Turbo-Konjunkturerholung post Corona die Märkte durchgeschüttelt. Für die hohen Verluste am Rentenmarkt sind vor allem die gestiegenen Zinserwartungen verantwortlich, weniger etwaige Sorgen vor steigenden Ausfallraten bei den Emittenten. Immerhin stehen den kräftig reduzierten Kursen jetzt deutlich gestiegene Kupons entgegen. Der Rentenmarkt bietet Anlegern somit erstmals seit langem wieder eine Schutzfunktion gegen mögliche neuerliche Kursverluste. In den vergangenen zehn Jahren war dies kaum der Fall, da meist nur niedrige oder Null-Kupons bei überschaubaren Risiken erhältlich waren.
Strukturelle Trendwende zu höheren Renditen
Es handelt sich hierbei um eine strukturelle Trendwende, die in eine Welt von mittel- und längerfristig höheren Inflationsraten und damit höheren Zinsen und Renditen führt. Bei den zehnjährigen Bundesanleihen ist die Zeit der Negativrenditen seit dem Frühjahr Geschichte. Wie stark der Renditeanstieg ist, zeigen auch Unternehmensanleihen mit Investment-Grade-Einstufung. Warfen sie zu Beginn des Jahres 0,5 Prozent Rendite ab, so stehen sie heute bei rund 4 Prozent.
Die Rückkehr der Inflation und höherer Zinsen macht es wieder attraktiv, über eine aktive Auswahl gezielt und diversifiziert in Anleihen zu investieren – auch wenn die Märkte noch schwankungsanfällig bleiben. Dem zugrunde liegt die Annahme, dass der Inflationsdruck sich im Jahr 2023 deutlich abschwächen dürfte, nicht zuletzt aufgrund von Basiseffekten: Die Monate mit starken Preissteigerungen etwa im Energie- und Rohstoffbereich fallen nach und nach wieder aus der Inflationsstatistik heraus. Auch verzögert wirkende Effekte steigender Zinsen sowie die zu beobachtende Entspannung bei Lieferketten dürften die Teuerung dämpfen.
Dabei ist die wirtschaftliche Ausgangslage in den USA eine andere als in Europa. Die Inflation jenseits des Atlantiks wird stark durch eine Überschussnachfrage und hohes Lohnwachstum getrieben, während sie in Europa eine direkte Folge des Krieges in der Ukraine und des damit zusammenhängenden massiven Anstiegs der Energiepreise ist. Die US-Notenbank Fed hat die Inflationsbekämpfung zur obersten Priorität erhoben. Wir erwarten, dass der Leitzins – die Fed Funds Rate – bis Ende dieses Jahres auf 4,25 bis 4,50 Prozent steigt. Bei der EZB rechnen wir mit einem Einlagesatz von 2,25 Prozent und einem Spitzenrefinanzierungssatz von 2,75 Prozent per Ende 2022. Ausgehend vom Nullzins-Niveau sucht diese Zinswende in Bezug auf Geschwindigkeit und (derzeitiger) Entschiedenheit ihresgleichen.
Wir halten es für sehr unwahrscheinlich, dass die Zinsen wieder sinken. In Europa preist der Anleihemarkt aber bereits einen zu starken Anstieg der Leitzinsen ein. Dem zugrunde liegt eine unseres Erachtens zu optimistische Sicht der Notenbank auf die Wirtschaftsentwicklung im Euroraum. Wir sind da vorsichtiger und erwarten aufgrund der anhaltend hohen Energiekosten für 2023 eine Schrumpfung der Wirtschaft im Euroraum um 1,0 Prozent und in Deutschland um 1,4 Prozent. Darum bieten Euro-Kern-Staatsanleihen angesichts der gestiegenen Zinserwartung mit ihren höheren Kupons bereits einen guten Puffer gegen mögliche Kursverluste, falls die Inflation hartnäckig hoch bleiben sollte und die EZB die Zinsen doch stärker anheben müsste. Entscheidend wird der Energiemarkt sein. Falls es gelingt, ohne Mangellage durch den Winter zu kommen, dürfte der Inflationsdruck eher abnehmen, da die Wirtschaft konjunkturell bedingt weniger stark ausgelastet und der Preisdruck in der Breite nicht so stark ist wie in den USA.
Zugleich sollten sich die Kursverluste bei Euro-Kern-Staatsanleihen durch die schwierige Wirtschaftslage in Grenzen halten. Vorsichtig bleiben wir jedoch bei Euro-Peripherieanleihen wie Italien. Hier trifft die hohe Abhängigkeit vom Gas auf eine neue Regierungskoalition, die im nächsten Jahr in Haushalts- und Fiskalfragen mit Brüssel in die Auseinandersetzung gehen dürfte. Doch handelt es sich dabei vor allem um ein hausgemachtes Problem, von dem wir keine Ansteckungseffekte auf den ganzen Euroraum erwarten. Rentenanleger im Euroraum sollten trotzdem die Entwicklung der Fiskalpolitik im Auge behalten: Wenn eine Regierung zur Entlastung von Bevölkerung und Industrie von hohen Energiepreisen bereit ist, sich höher zu verschulden, gilt es genau hinzuschauen. Je nach Land bietet die Haushaltslage mehr oder weniger Spielraum. Im Falle von Großbritannien hat sich gezeigt, dass die Marktreaktion heftig ausfallen kann, wenn neue schuldenfinanzierte Energie- und Steuererleichterungen Zweifel an der Nachhaltigkeit des Staatshaushalts wecken. Deutschlands Kreditwürdigkeit wird am Markt nicht in Zweifel gezogen.
Beim US-Staatsanleihemarkt ist ein weiterer, weniger starker Renditeanstieg wahrscheinlich. Aktuell preist der Markt noch Zinssenkungen im Verlauf des Jahres 2023 ein, was nicht unserer Erwartung entspricht. Der Höhepunkt in der US-Inflationsentwicklung dürfte zwar hinter uns liegen. Aber für die weitere Entwicklung der Geldpolitik sind die Lage auf dem Arbeitsmarkt und die Entwicklung der Kern-Inflationsrate (ohne Nahrungsmittel und Energie) entscheidend. Hier rechnen wir mit einer langsameren Abschwächung.
Chancenreich sind im Rentenmarkt aus unserer Sicht Investment-Grade-Unternehmensanleihen mit kürzeren und mittleren Laufzeiten, da sie hohe Kupons bieten. Die Ausfallraten dürften hier trotz Rezession überschaubar bleiben. Extremrisiken aus einer möglichen Gas-Mangellage lassen sich durch eine aktive Auswahl vermeiden. Das Renten-Portfoliomanagement greift dabei auf die Ergebnisse der hauseigenen Gas-Task-Force zurück und meidet Unternehmen aus stark betroffenen Sektoren wie Chemie, Industrie und zyklischer Konsum. Insgesamt sind wir zuversichtlich, dass gerade große Emittenten die Kombination von steigenden Refinanzierungskosten und Konjunkturschwäche gut abfedern können.
Perspektivisch hilft dem Corporates-Bereich eine höhere Inflation, da der Verschuldungsgrad von Unternehmen mit funktionierendem Geschäftsmodell eher sinken dürfte. Der Finanzsektor profitiert ebenfalls von steigenden Zinsen und damit künftig höheren Zinserträgen. Andererseits bietet die zumeist gute Kapitalausstattung ausreichend Puffer, um steigende Ausfallraten bei Krediten gut zu überstehen. Vorsicht ist vor dem Hintergrund der rückläufigen Liquidität bei Nachrang- sowie Hochzinspapieren angezeigt. Wegen der Ungewissheit über die weitere Zinsentwicklung sind wir der Meinung, dass eine kürzere Zinsbindungsdauer im Portfolio bis auf Weiteres von Vorteil ist.
Rückkehr der institutionellen Investoren
Nach dem Kursrutsch bietet der Rentenmarkt erstmals seit langem die Aussicht auf mittelfristig auskömmliche Erträge. Institutionelle Investoren mit hohen Verpflichtungen gegenüber Kunden wie Versicherer und Pensionskassen kehren daher schrittweise als Käufer zurück. Die deutlich gestiegenen Kupons bieten wieder eine Schutzfunktion gegen Kursverluste. Das ebnet institutionellen Anlegern wieder verstärkt den Weg zurück in ihre traditionelle Kern-Anlageklasse. Aber auch für private Anleger ist aufgrund des gestiegenen Renditeniveaus und der Aussicht auf sinkende Inflationsraten eine breit gestreute Rentenanlage über Fonds wieder eine interessante Option.
Christian Kopf, Leiter Portfoliomanagement Renten und Mitglied des Union Investment Committee (UIC)