Chinas neuer Kurs: Mit Sicherheit weniger Wachstum

Union Investment | 01.12.2022 17:36 Uhr
© Photo by Li Yang on Unsplash
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Archiv-Beitrag: Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

  • China tritt in eine neue Ära ein: Sicherheit steht ab jetzt vor Wachstum, Autarkie vor globaler Vernetzung 
  • Dieser Kurs wird zu Ineffizienzen führen, chinesische Unternehmen werden bei Innovationen ausgebremst
  • Begeht China damit einen strategischen Fehler, der den Aufstieg zur größten Volkswirtschaft verhindert?

Eine neue Ära beginnt 

Es war ein Bild mit Symbolkraft: Als Chinas früherer Machthaber Hu Jintao aus dem Sitzungssaal des 20. Parteitags der Kommunistischen Partei eskortiert wurde, ging eine Ära zu Ende. Von 2002 bis 2012 war Hu erster Mann im Staat. „Reform und Öffnung“ war die Erfolgsformel, mit der China seit dem Ende der 1970er-Jahre ein beispielloses Wachstum hingelegt hatte. Diese Zeit scheint nun endgültig vorbei zu sein. Xi Jinping, der Hu als Staatspräsident ablöste, verschiebt den Fokus: weg von der Öffnung und dem (Waren-) Austausch mit dem Westen, hin zu Abschottung und eigener Stärke. Doch das wird aus unserer Sicht seinen Preis haben: China erkauft das Mehr an Sicherheit mit niedrigerer Produktivität und einem geringeren Wachstum. Begeht das Land damit einen strategischen Fehler? Und was bedeutet das für Chinas Wirtschaftspolitik, das Machtgefüge in der Welt und die Lieferketten westlicher Unternehmen?

Drei Aspekte der Sicherheit 

Xis Fokus auf die Sicherheit besteht aus einem Dreiklang: Erstens muss er als Staatsoberhaupt sicher im Sattel sitzen. Das schaffte Xi, indem er innerparteiliche Gegenspieler, häufig unter dem Deckmantel der Korruptionsbekämpfung, aus der Verantwortung drängte – und sie durch Gefolgsleute ersetzte. Besonders augenfällig ist dies bei der neuen Besetzung des Ständigen Ausschusses des Politbüros. Die hier versammelten sieben ranghöchsten chinesischen Politiker sind allesamt Xi-Vertraute. Er selbst ist nun (als erst dritter Parteiführer neben Staatsgründer Mao Tsetung und dem wirtschaftlichen Reformer Deng Xiaoping) als Kern der Partei in der Parteiverfassung verankert, seine Philosophie gibt die Richtung in Staat und Gesellschaft vor. 

Durch diese enge Verbindung von Person und Staat ist auch, zweitens, die Macht der Partei innerhalb des Landes gesichert. Wirtschaft und Wissenschaft haben ihren Maximen zu folgen. Und drittens muss sich Xis China in der Welt sicher fühlen können. Der globale Süden soll sich – unter chinesischer Führung – noch stärker vom Westen abgrenzen. Pekings Fernziel wäre dann die vollständige globale Ablösung der liberalen Weltordnung. Der Großmachtwettbewerb und damit auch die Blockbildung verschärfen sich weiter.

Risiken und Ineffizienzen nehmen zu 

Doch dieses Vorgehen ist für China und die Welt nicht ohne Risiko: So hat Xi mit seiner enormen Machtkonzentration nun zwar die Möglichkeit, durchzuregieren. Gleichzeitig ist ein Nachfolger für den 69-Jährigen nicht in Sicht. Auch weitere hochrangige Politiker sind bereits in fortgeschrittenem Alter und hätten in früheren Phasen keine wichtigen Ämter mehr besetzen dürfen. Im Falle schwerer gesundheitlicher Probleme, insbesondere bei Xi, ist deshalb fraglich, wer die Führungsrolle übernehmen würde – ein Machtvakuum droht. 

Für die Wirtschaft und damit auch den Wohlstand im Land birgt Xis Machtfülle ebenfalls Gefahren. Zum einen wird die politische Entscheidungsfindung erschwert. Widerworte gegen Xi durch Personen, die von ihm abhängig sind, werden unwahrscheinlicher. Zum anderen können Fehler, einmal gemacht, nur schwer korrigiert werden. Einerseits, weil sie vertuscht werden. Andererseits aber auch, weil eine Korrektur einem Fehlereingeständnis Xis gleichkäme – siehe etwa das lange Festhalten an der Zero-Covid-Politik. 

Zudem wird so die Implementierung neuer Maßnahmen erschwert. Größere politische Änderungen werden in China häufig zunächst in regionalen Experimenten getestet und analysiert. Auf diese Weise wird für die Lokalregierungen der beste Weg gefunden, eine grobe Richtungsvorgabe aus Peking in die Praxis umzusetzen. Der alleinige Fokus auf Xi macht solche Experimente schwieriger. Vielmehr sind die Anreize für einen vorauseilenden Gehorsam und eine Übererfüllung von Vorgaben ohne Rücksicht auf negative Nebeneffekte nun noch höher. Die Ergebnisse dürften damit am Ende weniger effiziente Umsetzungen und damit Wohlstandsverluste sein. 

Unsicherheit bremst Wirtschafts- und Innovationskraft 

Eine ähnliche Wirkung entfaltet die noch stärkere Verquickung von Staat und Gesellschaft. Die Partei will alle Aspekte des öffentlichen Lebens dominieren und kontrollieren – sei es in Bildungseinrichtungen, bei Sport und Kultur, aber auch in den Unternehmen. Die Ziele: die Bildung alternativer Machtzentren verhindern und Massenbewegungen und mögliche öffentliche Proteste – wie gegen die Zero-Covid-Politik – im Keim ersticken. Auch deshalb haben Überwachung und Zensur, insbesondere des Internets, zuletzt noch weiter zugenommen. 

Wie die Entwicklungen der vergangenen Jahre gezeigt haben, hat dieses Vorgehen drastische Auswirkungen auf den Unternehmenssektor. Zwar ging es etwa bei der Regulierung inländischer Software- und Plattformunternehmen, die den chinesischen Aktienmarkt erheblich durchgeschüttelt hat, vordergründig um die Starallüren mancher CEOs und die Ausbeutung der Arbeiter. Im Kern hatte Peking allerdings Bedenken, weil diese Unternehmen über eine Fülle an Daten verfügen, auf die die Partei keinen Zugriff hat. 

Ähnlich verhielt es sich bei der 2021 vorgenommenen Regulierung und damit Zerschlagung des in China zuvor sehr wichtigen Schulnachhilfe-Sektors. Laut offizieller Kommunikation wollte die Partei zwar Eltern entlasten – sicherlich auch ein konkretes Problem. Hauptsächlich ging es allerdings darum, dass Kindern im Nachhilfesektor Inhalte vermittelt wurden, über die die Partei keine Kontrolle hatte. Und auch bei der Einhegung des Immobiliensektors standen Pekings zentralistische Motive im Vordergrund. 

All diese Entwicklungen erzeugen für die Wirtschaft ein hohes Maß an Unsicherheit, die am Ende auch Innovationskraft und Wachstum kosten dürfte. Kein Unternehmen ist davor gefeit, dass im Namen der nationalen Sicherheit über Nacht sein Geschäftsmodell zerstört wird. Gleichzeitig legt die chinesische Regierung noch strikter als früher fest, in welchen Sektoren Innovationen stattzufinden haben. Die Partei will, dass die Wirtschaft „unabhängiger von fremden Technologien“ wird und die „Lieferketten, die Resilienz und die Sicherheit gestärkt“ werden. Unternehmen verlieren Freiräume, um Nachfrage zu bedienen oder zu kreieren. Stattdessen werden ihnen Checklisten auferlegt, mit denen politisch festgelegte Prioritäten abgearbeitet werden sollen. Effizienz und Produktivität bleiben dabei auf der Strecke

Auf Konfrontationskurs mit dem Westen 

Doch all das nimmt Xi Jinping in Kauf. Dabei dienen die eher nach innen gerichteten Maßnahmen klar dem eigenen Machterhalt. Daneben geht es der chinesischen Führung auch darum, extern die Position im Großmachtwettbewerb mit den USA zu verbessern. Der Fokus liegt dabei nicht mehr nur auf dem rein volkswirtschaftlichen Wettrennen und schnelleren und besseren Innovationen. Vielmehr dreht sich alles um Einflusssphären und damit: Macht. 

Um diese weiter auszubauen, versucht Peking, grundlegende internationale Regeln umzuschreiben. Grob lässt sich die liberale Weltordnung in drei Kategorien aufteilen: Sicherheit, Handel und Menschenrechte. Zwar hält sich China hier seit längerem nicht an die Regeln. Bis zuletzt gab man sich allerdings häufig noch entschuldigend – ab jetzt wohl nicht mehr. Grenzverschiebungen im südchinesischen Meer, die weitere Diskriminierung von ausländischen gegenüber Staatsunternehmen sowie die Verweigerung der Diskussion über Menschenrechtsverletzungen, unter anderem in Xinjiang. China arbeitet in allen Bereichen an einer Aushöhlung der liberalen Grundordnung. 

Und es zeigt sich, dass Peking mit seinem Auftreten durchaus Erfolg hat. Zwar ist laut einer Umfrage des US-Meinungsforschungsinstituts Pew, das Ansehen Chinas in der Welt auf ein neues Allzeittief gefallen. Die Liste der befragten Länder beinhaltet allerdings fast nur westliche Nationen. Das britische Bennett Institute for Public Policy aggregierte hingegen 30 Umfragen in 137 Ländern und kam auf ein anderes Ergebnis: 70 Prozent der Menschen, die nicht in einer liberalen Demokratie leben, haben ein positives Bild von China. Und während die liberalen Demokratien nur rund 1,2 Milliarden Menschen auf sich vereinen, sind es im Rest der Welt 6,3 Milliarden. China weiß die Mehrheit der Menschen hinter sich und geht daher in die Offensive – etwa in den Abstimmungen innerhalb der Vereinten Nationen. 

An diesem Vorgehen lässt sich ablesen, dass es sich bei dem Großmachtwettbewerb nicht um einen Disput über Zölle oder technische Standards handelt. Es geht um einen Wettstreit der Systeme. China befindet sich auf Konfrontationskurs mit dem Westen und das wird sich in den kommenden Jahren nicht ändern. 

Die Auswirkungen für die Wirtschaft sind eindeutig: Westliche Exportbeschränkungen, wie zuletzt aus Richtung der USA bei Halbleitern, werden zunehmen. China wird daher in den kommenden Jahren immer stärker darauf setzen, sich erstens von westlichen Technologien und Vorprodukten unabhängiger zu machen. Ein Unterfangen, das (selbst wenn es erfolgreich sein sollte) Ersatzinvestitionen erfordert, die per se nicht produktiv sind. Zweitens wird Peking darauf bedacht sein, Lieferketten mit Blick auf essenzielle Güter wie Energie und Lebensmittel zu sichern und so viel wie möglich über stabile Landwege zu beziehen. Dabei bleibt Russland ein wichtiger Partner. Und drittens wird China versuchen, stärker ohne die westlichen Absatzmärkte auszukommen. Ein weiterer Umbau der Industrie, der nicht ohne Reibung vonstattengehen wird. Damit setzt das Land im Namen der Sicherheit auf mehr Autarkie und auf den wirtschaftlich schwächeren globalen Süden. 

China vor strategischem Fehler 

Fazit: Jahrzehntelang schien klar, dass Wachstum in China vorgeht. Dieses Mantra hat sich in den vergangenen Jahren gewandelt. Offiziell heißt es nun, Sicherheit und Entwicklung gehen Hand in Hand. In der Theorie sind damit beide gleichgestellt. In der Praxis liegt der Fokus aber auf der Sicherheit. Die Absicherung von Xis Führungsanspruch steht über guten Entscheidungsprozessen, die Vormacht der Partei hat Vorrang vor Wissenschaft und Wirtschaft. Und gegenüber Chinas globalem Führungsanspruch muss die Kooperation mit dem Westen hintenanstehen. Sicherheit ist nicht mehr Mittel zum Zweck, sondern Hauptziel geworden. 

All das wird auf der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes lasten. Fehler werden nicht mehr oder nur sehr spät korrigiert, Investitionen werden nicht mehr da getätigt, wo sie am profitabelsten sind – und an die Stelle von internationaler Arbeitsteilung tritt Autarkie. Die Quintessenz: eine verringerte Produktivität, welche – gepaart mit der schrumpfenden Erwerbsbevölkerung in China und dem abnehmenden marginalen Nutzen von immer noch mehr Investitionen – ein langsameres Wachstum ergibt. 

Die Kapitalmarktreaktion auf den Parteitag war deshalb klar negativ.1 Auch in Zukunft werden sich sowohl Unternehmen als auch Investoren intensiver überlegen, ob sie ihr Geld in Xi Jinpings China anlegen. 

Damit geht China den umgekehrten Weg wie etwa Japan und Südkorea vor einigen Jahrzehnten. Als diese Nationen an einem ganz ähnlichen Punkt in ihrer Wirtschaftsentwicklung standen, entschieden sie sich für die weitere Öffnung und die vollständige Integration in das internationale Handels- und Gesellschaftssystem. Das Ergebnis war ein enormer Zugewinn an Wohlstand und Einfluss in der Welt. 

China dürfte somit auf einen erheblichen strategischen Fehler zusteuern: Denn am Ende werden es wohl genau der intensive Fokus auf Sicherheit und der globale Machtanspruch sein, der China daran hindert, die größte Volkswirtschaft der Welt zu werden.

1 Siehe unseren Text „China steht vor stürmischen Zeiten“ aus dem November 2022. (https://institutional.union-investment.de/startseite-de/Kapitalmarkt/Themen_China_steht_vor_stuermischen_Zeiten.html)

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