Herr Kopf, was sind derzeit die wichtigsten Treiber für die Rentenmärkte?
Erfreulicherweise liegt der Höhepunkt der Inflation – sowohl der Gesamtinflation wie der Kerninflation – in den USA wohl hinter uns. Im Euroraum dürften wir den Hochpunkt gerade durchlaufen – wobei die Unsicherheit hoch bleibt. Die Inflation entscheidet, ob die hohe Zinsvolatilität aus dem Markt verschwinden kann und die Kreditspreads begrenzt bleiben. An ihr liegt es, auf welchem Zinsniveau die Notenbanken den Zinserhöhungszyklus beenden. Für klar rückläufige Inflationsraten sprechen die Wachstumsabschwächung (wir erwarten in den USA und im Euroraum eine milde Winterrezession), Bremseffekte durch die weltweit gestraffte Geldpolitik und gesunkene Preise für Vor- und Zwischenprodukte aufgrund stabilerer Lieferketten.
Was erwarten Sie für Terminal Rates – also das Endniveau im aktuellen Zinszyklus?
Sinken die Inflationsraten wie erwartet, verringert dies den geldpolitischen Handlungsdruck, und die Zentralbanken können ihren Straffungskurs verlangsamen oder beenden. Über den genauen Zeitpunkt besteht Unsicherheit. Die Notenbanken werden den Fehler der 1970er Jahre vermeiden wollen, als etwa in den USA die Notenbank Federal Reserve (Fed) zugunsten der Wachstumsförderung zu früh ihre Straffung stoppte. Wir meinen, dass die Fed näher am Ende ihres Zinserhöhungszyklus steht und sehen die Fed Funds Rate bei 4,25 bis 4,5 Prozent zum Jahresende. Im nächsten Jahr könnte die Fed noch einmal nachlegen, aber nicht mehr viel. Anders als der Markt erwarten wir aber keine Zinssenkung bis Ende 2023. Im Euroraum prognostizieren wir eine Anhebung des Einlagensatzes der Europäische Zentralbank (EZB) im ersten Quartal 2023 bis auf 2,75 Prozent. Danach rückt ab Frühjahr der passive Abbau der Notenbankbilanz auf die Tagesordnung. Im Segment der Staatsanleihen erwarten wir bei US-Treasury-Renditen eine Seitwärtstendenz, während wir bei Bundesanleihen noch einen weiteren Renditeanstieg sehen.
Welche Effekte hat der Bilanzabbau? Ist der renditetreibend?
Der Bilanzabbau dürfte für einen zusätzlichen Aufwärtsdruck bei den Renditen sorgen. Durch den für Frühjahr erwarteten Beginn des Quantitative Tightening durch die EZB dürften insbesondere stark angekaufte Assetklassen wie Euro-Peripheriebonds und hier im Speziellen Italien besonders betroffen sein. Auf Italien kommt ein hoher Refinanzierungsbedarf zu. Daher rechnen wir hier insbesondere im ersten Quartal mit signifikanten Spread-Ausweitungen. Bei Covered Bonds und Supranationalen Institutionen (SSAs) sowie Unternehmensanleihen rechnen wir mit geringen Auswirkungen. Bei der US-Notenbank Fed erfolgt der Bilanzabbau regelbasiert. Dieser passive Abbau ist für die Marktakteure gut planbar und vergleichsweise marktschonend. Aufgrund der rückläufigen Nachfrage der Zentralbank nach Staatstiteln könnten andere Marktakteure als die Notenbank für die verbleibenden Anleihen eine höhere Rendite verlangen. Das würde zum Renditeanstieg und einer höheren Laufzeitenprämie bei US-Staatspapieren führen. Aktuell beobachten wir das aber nicht. Die Renditestrukturkurve ist stark invertiert und eine Laufzeitenprämie nicht beobachtbar.
Was leiten Sie eigentlich aus den inversen Renditestrukturkurven ab?
In den USA ist die Inversion so stark ausgeprägt wie seit rund 40 Jahren nicht mehr, im Bereich zweijähriger über zehnjährigen US-Staatsanleihen rund 82 Basispunkte. Auch die deutsche Renditestrukturkurve ist inzwischen invers, wenn auch nur teilweise schwach. Durch den wohl früher erreichten Hochpunkt der US-Inflation im Vergleich zur Teuerung im Euroraum dürfte der Aufwärtsdruck bei den US-Treasuries-Renditen in der Tendenz deutlich niedriger sein als bei Eurokern-Staatsanleihen. Die Inversion der Kurven signalisiert auch das schwierige wirtschaftliche Umfeld mit einer Winterrezession in den USA und im Euroraum korrekt. Sie ist aber kein Signal für einen starken wirtschaftlichen Einbruch. Die jüngsten Konjunkturdaten zeigen eine Stabilisierung der Wirtschaftsaktivität auf niedrigerem Niveau. Der bereits angesprochene Abbau der Fed-Bilanz könnte sich perspektivisch auch auf die Laufzeitenprämien auswirken, doch ist eine Rückkehr zu alten Niveaus vor dem Quantitative Easing aus unserer Sicht sehr unwahrscheinlich.
Die Volkswirte von Union Investment sehen für die nächsten Jahre eine neue Kapitalmarktära, geprägt von strukturell höheren Inflationsraten und Zinsen – sowie mehr Volatilität. Was bedeutet das für ein Rentenportfolio?
Die höhere Schwankungsintensität an den Kapitalmärkten ist auch mit einer guten Nachricht verbunden: Es wird wieder höhere Renditen an den Anleihemärkten geben – insbesondere bei bonitätsstarken Unternehmens- und Staatsanleihen. Wer eine auskömmliche Rendite erzielen will, muss also nicht mehr so weit wie früher die Risikoleiter hochklettern. Wichtig ist, dass die Anleger verstehen, von welcher Seite die Volatilität den Markt bestimmt. Prägt die Aktienvolatilität das Umfeld, so funktioniert eine Aktien-Renten-Korrelation gut. Anleihen sind dann in der Lage, Kursverluste von Aktien teilweise abzufedern. Prägt jedoch die Zinsvolatilität das Umfeld, so gilt die Aktien-Renten-Korrelation nicht mehr. Anleihen tragen nur noch geringfügig zur Stabilisierung von gemischten Portfolios bei. Um sich gegen möglicherweise überschießende Inflationsraten abzusichern, können inflationsindexierte Anleihen als Beimischung eingesetzt werden. Auch ist eine Internationalisierung in der Renten-Vermögensverteilung angezeigt, um eine Optimierung der Erträge zu erreichen.
Was erwarten Sie bei den Risikoaufschlägen? Ist auch eine Marktkrise denkbar?
Aktuell zeigen unsere Analysen keinen Anstieg des Marktstresses, im Gegenteil haben sich die entsprechenden Indikatoren zuletzt wieder nach unten bewegt. Das ist für uns kein allgemeines Entwarnungszeichen, zeigt aber, dass eine sehr defensive Positionierung derzeit nicht angezeigt ist. Die jüngste Markterholung ist jedoch keine Einbahnstraße, der Markt bleibt schwankungsanfällig. Wir erwarten aber nicht, dass bei Unternehmensanleihen die Risikoaufschläge (Asset Swap Spreads) wieder über 125 Basispunkte hinauslaufen. Auch bleibt uns wohl eine hohe Korrelation zwischen Zinsen und Spreads erhalten. Aus unserer Sicht sind die wirtschaftlichen Fundamentalrisiken derzeit in vielen Marktsegmenten ausreichend eingepreist. Im Corporates-Bereich zählt, dass die Winterrezession nicht allzu scharf ausfallen sollte. Es gibt aber Risikofaktoren, die Anleger im Auge behalten müssen, wie in Italien. Zudem besteht bei risikoreicheren Anlagen wie Hochzinsanleihen die Möglichkeit einer stärkeren Spreadausweitung. Falls die Rezession stärker ausfällt, werden fundamentale Themen stärker eine Rolle spielen. Insofern sind Unternehmen mit hohen Schulden oder nicht tragfähigen Geschäftsmodellen sowie aus Branchen, die von der Energiekrise besonders getroffen sind, wie dem Chemie- oder Industriesektor, besonders hohen Risiken ausgesetzt.
Abgesehen davon – welche Sektoren sind sonst von Interesse, welche nicht?
Aktuell profitiert der Finanzsektor von steigenden Zinsen und künftig höheren Nettozinserträgen. Auch bei der Immobilienbranche, die aufgrund der stark gestiegenen Zinsen in den vergangenen Monaten von Anlegern gemieden wurde, könnte der Boden erreicht sein – vorausgesetzt, es kommt zu keiner tiefen Rezession. Der Fokus liegt hier eher auf Wohn- und Logistik- als auf Einzelhandelsimmobilien. Vorsicht ist bei konjunktursensiblen Sektoren geboten wie dem zyklischen Konsumgüterbereich (Bekleidung, Unterhaltung) und Automobilwerten.
Und welche Sub-Assetklassen sind am aussichtsreichsten?
Wir favorisieren weiter Unternehmensanleihen mit Investment Grade-Qualität (IG), die immer noch rund 3,7 Prozent Rendite abwerfen. Große Emittenten können Effekte höherer Kosten besser abfedern. Eine höhere Inflation wirkt sich bei diesen Unternehmen günstig aus, da ein höheres Nominalwachstum der Erlöse in der Regel zu einem stabilen oder gar leicht sinkenden Verschuldungsgrad führen dürfte. Da ist aber eine sorgfältige Auswahl entscheidend, um Ausfallrisiken zu vermeiden. Der Hochzinsbereich bietet derzeit die attraktivsten Ertragsaussichten, doch können sich hier auch Zinsänderungs- und Konjunkturrisiken überproportional negativ auswirken. Verbriefte Kredite – CLOs – wiederum bieten in einem Umfeld erhöhter Inflation und hoher Schwankungsintensität an den Zinsmärkten ein reizvolles Risiko-Rendite-Profil. Durch ihren variablen Zinssatz sind CLOs für Zinsänderungsrisiken gewappnet. Bei einer abnehmenden Zinsdynamik verringert sich dieser Effekt aber. Aktuell gibt es noch kaum Ausfälle bei IG-Produkten. Wir erwarten aber, dass die Kreditausfälle im Rezessionsumfeld ansteigen dürften. Der Gesamtmarkt sollte dies dennoch gut verkraften. Falls die Rezession doch stärker ausfällt, dürften sich die Risikoaufschläge für CLOs mehr ausweiten als bei anderen Anlageklassen. Daher ist in einem rezessiven Umfeld Vorsicht angesagt. Eine aktive Selektion sowie stringentes Risikomanagement sind hier entscheidend.
Noch ein Wort zu Emerging Markets-Anlagen – gibt es hier neue Chancen?
Die Schwellenländermärkte bleiben stark vom Sentiment der Rentenkernmärkte in den USA und der Eurozone bestimmt. Die jüngste Beruhigung bei der US-Inflation sorgte dort für etwas Entspannung. Bezüglich Spreads und Zinsbindungsdauer sind wir zuversichtlicher geworden. Zudem hat die stark divergente Entwicklung zwischen Ländern mit IG-Rating und Ländern im High Yield-Bereich ein Ende gefunden. Dennoch bleiben wir hier vorsichtig – die Länder- und Emittenten-Selektion bleibt entscheidend. Mit Blick auf China zeichnen sich deutlichere Anzeichen einer Lockerung der Corona-Politik ab. Das erwartete niedrigere strukturelle Wachstum in China wirkt sich tendenziell stützend auf die lokalen chinesischen Staatsanleihen aus. Andererseits bezweifeln wir, dass die Inflation in China niedrig bleibt, wenn es zur Öffnung der Wirtschaft kommt. Dann dürfte auch China inflationäre Nachholeffekte vergleichbar mit dem Westen beobachten können. Die zyklischen Argumente sprechen eher für eine vorsichtige Positionierung auf der Zinsseite in China.
Und mit Blick auf die Kapitalbindungsdauer – was kann ein Euro-Anleger hier beachten
Viele Investoren nutzen jetzt Neuemissionen, um wieder in den Bereich längerer Laufzeiten einzusteigen. Galt es bislang, die Zinssensitivität des Portfolios zu reduzieren, zeichnet sich nun ab, dass auch wieder Anleihen mit längerer Laufzeit gesucht sind. Wir bevorzugen vorerst vor allem IG-Anleihen mit kürzeren und mittleren Laufzeiten, da die Renditen in Verbindung mit einem begrenzten Zinsrisiko einen gewissen Puffer gegen mögliche weitere Zinsanhebungen und Kursverluste bieten. Auch bei Staatsanleihen favorisieren wir aufgrund der Inversion der Zinskurve derzeit vor allem kürzere und mittlere Laufzeiten.