Die UN-Weltnaturkonferenz im kanadischen Montreal (CBD COP 15) hat ein Zeichen für den weltweiten Artenschutz gesetzt. Die Staatengemeinschaft konnte sich auf ambitionierte Ziele zum Erhalt der Biodiversität einigen. Die Entscheidung hat vielfältige Konsequenzen, auch für Anleger. Denn wer bei Biodiversität nur an Umweltschutz denkt, liegt falsch. Das Artensterben wird ebenso wie der Klimawandel zu einem wachsenden wirtschaftlichen Risiko. Trotzdem sind bei Unternehmen effektive Maßnahmen zum Erhalt der Artenvielfalt bislang selten, wie eine Befragung von 56 Konzernen durch Union Investment zeigt. Schon deshalb wird das Thema bei Investoren in Zukunft häufiger auf der Agenda stehen: Biodiversität wird aufgrund ihrer ökonomischen Bedeutung auch im Risikomanagement relevant.
Bei Unternehmen und Investoren ist das Thema Dekarbonisierung zur Zeit noch deutlich präsenter als die wirtschaftlichen Risiken einer abnehmenden Artenvielfalt. Das liegt auch daran, dass es in Bezug auf Biodiversität bislang sehr viel weniger gesetzliche Vorgaben gibt. Erst seit etwa einem Jahr existiert in der EU der Entwurf einer Verordnung über „abholzungsfreie Produkte“ („deforestation-free products“), der ursprünglich von der EU-Kommission eingebracht und jüngst vom EU-Parlament nochmals verschärft wurde.
Konkret geht es bei der noch nicht rechtskräftigen Regelung um Soja, Palmöl, Rindfleisch, Holz, Kakao und Kaffee. Unternehmen sollen unter anderem nachweisen, dass Lieferanten Produkte oder deren Inhaltsstoffe nicht auf frisch abgeholzten Flächen gewonnen haben. Denn die Rodung von Wäldern zur Gewinnung neuer landwirtschaftlicher Flächen, aber auch die geänderte Nutzung von zuvor schon bewirtschafteten Böden – Stichwort Monokulturen – sind der Hauptgrund für den Verlust an Biodiversität. In den Tropen stehen nach einer Analyse des WWF etwa 80 Prozent der Abholzungen mit der Erzeugung der sechs oben genannten Agrarrohstoffe in Zusammenhang.
Union Investment wollte daher wissen, wie gut Unternehmen der Agrar- und Lebensmittelindustrie sowie Hersteller von Körper- und Haushaltspflegeprodukten auf die geplanten regulatorischen Maßnahmen gegen Entwaldung vorbereitet sind und was die Unternehmen bereits freiwillig dagegen tun. Denn abgesehen von Reputationsrisiken steigt die Wahrscheinlichkeit, dass durch Biodiversitätsverluste bestimmte Rohstoffe knapper werden und damit Geschäftsmodelle gefährdet sind. Beispielsweise könnten mittel- bis langfristig Agrarerträge sinken, weil es immer weniger bestäubende Insekten gibt.
Dazu wurden im Sommer 2022 erstmals rund 56 Firmen angeschrieben, in die Union Investment zu diesem Zeitpunkt mit jeweils mindestens drei Millionen Euro investiert war. Darunter waren nahezu alle relevanten Namen des Lebensmittelbereichs wie etwa Nestle, Kraft Heinz, Danone, JBS, Kellogg sowie Pepsico und Coca-Cola. Bei Haushalts- und Körperpflegeprodukten wurden Firmen wie Beiersdorf, Henkel, Unilever, Essity (Tempo, Zewa) sowie Procter & Gamble kontaktiert. In einem detaillierten Fragebogen wurde um Auskunft zu den genannten Agrarprodukten gebeten. Der Fokus lag dabei auf einem möglichen Zusammenhang mit der Abholzung von tropischen Wäldern.
Die ersten Erkenntnisse aus der Engagement-Initiative, die jährlich wiederholt werden soll, sind ernüchternd. Etwa die Hälfte der angeschriebenen Unternehmen hat trotz Erinnerung bislang nicht reagiert, darunter Kraft Heinz, Kellogg, Pepsico und Coca-Cola, ferner Henkel und Essity. Die Antworten der übrigen Unternehmen zeigen, dass der Status Quo meist unzureichend ist. Einer der wichtigsten Punkte des Fragenbogens war: Hat das jeweilige Unternehmen eine so genannte „No-Deforestation-Policy“ – ein Regelwerk, um zumindest perspektivisch nur Produkte ohne möglichen Zusammenhang mit Rodungen anzubieten? Ergebnis: Von den Unternehmen, die geantwortet haben, verfügen nur etwa zwei Drittel über ein solches Regelwerk. Und nur etwa bei der Hälfte ist dieses umfassend (alle Regionen, alle Rohstoffe, gesamte Lieferkette). Ob das jeweilige Regelwerk in der betrieblichen Praxis relevant ist und ob formulierte Ziele auch erfüllt werden, bleibt mangels eines detaillierten Reportings allerdings häufig offen.
Unser Fazit der Befragung lautet: Die meisten Unternehmen des Agrar- und Lebensmittelbereichs sowie Produzenten von Pflegeprodukten sind auf Regulierungsmaßnahmen im Bereich Biodiversität und Abholzung schlecht vorbereitet. Denn das zentrale Problem ist, dass die Lieferketten nicht ausreichend kontrolliert werden.
Mehr Chance als Risiko ist für Investoren hingegen die Suche nach Unternehmen, die einen direkten Beitrag zum Artenschutz leisten könnten. Häufig sind das weniger bekannte Firmen wie das US-Unternehmen Trimble, das satellitengestützte Monitoringsysteme sowohl für Regenwälder als auch für Agrarflächen anbietet. Vereinzelt stößt man aber auch auf größere Unternehmen wie den Landmaschinenhersteller Deere, der mit „Smart Farming“-Lösungen unter Einsatz digitaler Technik versucht, bestehende Agrarflächen effizienter zu nutzen.
Die Ergebnisse der 15. Weltnaturkonferenz dürften dazu beigetragen, solche Geschäftsmodelle für Investoren attraktiver zu machen.
Von Dr. Henrik Pontzen, Leiter ESG im Portfoliomanagement von Union Investment