Die Nachhaltigkeitsprobleme der Lebensmittelbranche und des vorgelagerten Agrarsektors sind breit gestreut. Im Vordergrund stehen Umweltthemen: Die Emission von CO2 und anderen Klimagasen, Waldrodung, Verschmutzung von Wasser und Böden durch Düngemittel und Pestizide, Biodiversitätsverluste sowie Verpackungsmüll gehören zu den wichtigsten ökologischen Aspekten. Hinzu kommen soziale Aspekte wie die Verletzung von Arbeitsnormen in der Lieferkette (etwa bei Bauern), gesundheitliche Fragen der Ernährung und die Verschwendung von Lebensmitteln. Die lange Liste zeigt, vor welchen Herausforderungen gerade große, breit aufgestellte Nahrungshersteller stehen.
Druck auf Unternehmen steigt
Gleichzeitig steigt der Druck von Öffentlichkeit und Investoren auf die Unternehmen. Die Lebensmittelkonzerne können dies immer weniger ignorieren und gehen zumindest kommunikativ in die Offensive. „Snacking made right“ – unter diesem Slogan präsentiert etwa das US-Unternehmen Mondelez, das überwiegend Snacks und Süßwaren (u.a. Milka) herstellt, seine Nachhaltigkeitsstrategie. Gleichwohl landet der Konzern in unserer ESG-Analyse, wie der Wettbewerber Lindt & Sprüngli, in der Gruppe der „Schlusslichter“. Ein typisches Muster dieser Firmen ist, dass ihre Initiativen etwa in den Bereichen kritische Lieferketten (unter anderem bei Kakao) und Verpackungsmüll bisher nicht ausreichen, um eine grundlegende Verbesserung des Nachhaltigkeitsstatus zu erreichen.
Hinzu kommt, dass die Herausforderungen für Unternehmen, die stark auf eine bestimmte Produktgruppe spezialisiert sind, einer Quadratur des Kreises gleichkommen: Um wirklich nachhaltig zu werden, müssten sie ihr Geschäftsmodell fundamental neu ausrichten. Denn unter den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen findet sich auch der Bereich „Gesundheit“ und damit Themen wie Übergewicht und Diabetes – eine große Herausforderung für Süßwarenhersteller wie Mondelez oder Lindt & Sprüngli. Aus ESG-Perspektive ist deshalb das Fazit für diese Unternehmen vorerst eher bitter als süß.
Einseitige Produktausrichtung erschwert Wandel
Auch für andere Unternehmen mit einseitiger Produktausrichtung gilt, dass aus einer Ente schwerlich ein Schwan wird, beispielsweise bei großen Fleischkonzernen. Gerade die Rindfleischproduktion gehört zu den größten Umwelt- und Klimasündern überhaupt. Natürlich ist es prinzipiell möglich, die schädlichen Wirkungen durch gezielte Initiativen abzuschwächen. Aber wirklich nachhaltig ist aus heutiger Sicht nur die massive Reduktion tierischer Proteine und die Umstellung auf pflanzliche Alternativen. Das heißt unter anderem: weniger Fleischkonsum. Auch deshalb gehören Tyson Foods (USA) und JBS (Brasilien) eindeutig zu den Schlusslichtern bei unserer Analyse.
Auf der anderen Seite des Analysespektrums haben wir „Vorreiter“ identifiziert, etwa das Unternehmen Danone, ebenfalls ein Teilnehmer der Grünen Woche. Die Nachhaltigkeitsstrategie des Lebensmittelkonzerns ist ambitioniert. Beispielsweise liegt ein klarer Fokus auf dem Angebot pflanzlicher Milchalternativen. Zudem sollen bis 2025 nur noch Verpackungen aus recyceltem Material eingesetzt werden. Generell gilt für die Unternehmen, denen unsere Analyse Vorreiter-Status bescheinigt: Produkte, Dienstleistungen und Herstellungsverfahren besitzen einen klaren ESG-Fokus und bieten Lösungen für bestehende Probleme und ökologische Herausforderungen an. Diese Diagnose trifft für „klassische“ Lebensmittelkonzerne wie Danone, Kerry und General Mills zu, aber auch für einen Spezialisten wie Darling Ingredients, der für das Recycling von Speisefetten bekannt ist.
Kontinuierliche Neubewertung erforderlich
Die Unternehmen im Mittelfeld haben wir in „Nachzügler“ (unteres Mittelfeld) und „Transformer“ (oberes Mittelfeld) gruppiert. Nachzügler haben mit Verzögerung den Einstieg in die nachhaltige Transformation gefunden, stehen hier aber meist noch ganz am Anfang. Häufig ist auch noch nicht transparent, ob der Weg zu einem besseren ESG-Status wirklich konsequent beschritten wird. Bei den Transformern sind die Konturen der Transformation schon deutlich klarer und die Initiativen verbindlicher. Gleichzeitig ist ein deutlicher Rückstand auf die Vorreiter erkennbar, häufig sind schlicht die „Altlasten“ der weniger nachhaltigen Vergangenheit zu groß.
Nestlé, der umsatzstärkste Lebensmittelhersteller der Welt, hat sich in den letzten zwölf Monaten in unserer Analyse vom Nachzügler zum Transformer „vorgearbeitet“. Grund dafür sind eher kleine Verbesserungen in der Breite als umfassende Veränderungen. Nichtsdestotrotz ist etwa der Fokus auf der Erschließung pflanzlicher Nahrungsalternativen klar erkennbar. Trotzdem investieren nachhaltige Fonds von Union Investment bislang nicht in den Marktführer aus der Schweiz. Der Grund: Zu viele öffentliche Kontroversen und Rechtstreitigkeiten. Kontroverse Themen sind ökologische und soziale Probleme in der Lieferkette (zum Beispiel Arbeitsbedingungen auf Kakaoplantagen in Afrika), aber auch andere Nachhaltigkeitsthemen. Aus Investorenperspektive ist Nestlé ein gutes Beispiel dafür, dass bestehende Nachhaltigkeitsrisiken einerseits und Transformationsfortschritte andererseits kontinuierlich neu bewertet werden müssen.
Von Dr. Henrik Pontzen, Leiter ESG im Portfoliomanagement von Union Investment