Re-Opening Chinas trotz bedeutender Schwachstellen in der Spur
Die Wiedereröffnung der chinesischen Wirtschaft nach der Abkehr von den strikten Anti-Corona-Maßnahmen kommt spürbar voran. Doch nicht alles ist gut: Selbst Chinas Führungsriege ist bescheidener geworden und erwartet für das Jahr 2023 fünf Prozent Wachstum – das niedrigste Wachstumsziel, das seit Jahrzehnten auf dem Nationalen Volkskongress verkündet wurde. Große Wachstumstreiber aus den vergangenen Jahren wie Infrastrukturprojekte oder der Immobilienmarkt rücken immer weiter in den Hintergrund. Die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt weist mittlerweile unverkennbare langfristige Schwachstellen auf.
Dazu zählt aus westlicher Sicht die teilweise Abkehr von der früher diszipliniert umgesetzten, schrittweisen Öffnung der Wirtschaft für ausländische Unternehmen. Das Land will stattdessen seine Abhängigkeit vom Westen in strategischen Technologien verringern. Gleichzeitig läuft der Abbau von Unwuchten in der bislang stark auf Montanindustrie und Immobilien konzentrierten Wirtschaftsstruktur recht holprig. Auch die rasche Alterung der Gesellschaft und eine rekordhohe Jugendarbeitslosigkeit belasten. Mehr Bescheidenheit ist mit Blick auf die Wachstumserwartungen angebracht.
Skepsis ist auch bei der Außenpolitik angezeigt: China will seine Interessen auf der Weltbühne vehementer durchsetzen und modernisiert sein Militär in einem dreistufigen Plan. Das erste Etappenziel liegt im Jahr 2027, dem hundertsten Jahr des Bestehens der Roten Armee (Volksarmee). Treibende Kraft dahinter ist Xi Jinping. Er ist der erste Präsident seit Mao Tse-Tung, der das Land nun in der dritten Amtszeit führt. Xi, der zugleich Generalsekretär der kommunistischen Partei Chinas ist, setzt auf eine stärkere Machtzentralisierung. Im Zuge seiner Regierungsumbildung hat er weitere Vertraute um sich geschart. Unerwünschte Kritik lässt sich so einfacher ausschalten. Aber es steigt dadurch die Gefahr, dass in Peking womöglich strategische Fehlentscheidungen getroffen und umgesetzt werden.
China bleibt wichtigster Handelspartner Deutschlands
All dies müssen deutsche Unternehmen und Anleger im Blick behalten. China war 2022 das siebte Mal in Folge der wichtigste Handelspartner mit einem Volumen von fast 300 Milliarden Euro. Die über Jahrzehnte gewachsene enge wirtschaftliche Beziehung zwischen Deutschland und China ist durch die strategische Entkoppelung Chinas mit vielen Fragezeichen behaftet. Alle Branchen, die vom Export nach China profitieren – oder umgekehrt von chinesischen Importen abhängig sind – sind davon potenziell betroffen. Seit Jahren arbeitet China daran, vom Image der „Werkbank der Welt“ wegzukommen, also von massenweise gefertigten günstigen Produkten aus riesigen Fabriken. Stattdessen soll der Konsum gestärkt und auf der Technologieleiter nach oben geklettert werden. Mit der Umorganisation des Ministeriums für Wissenschaft und Technologie wurden zuletzt alle Kräfte gebündelt, um in den nächsten Jahren Innovationen voranzubringen und Fortschritte in genau jenen Bereichen zu erzielen, in denen China bisher vom Ausland abhängig ist.
Ein Wirtschaftszweig, in dem das bereits sehr gut gelungen ist, sind Elektro-Autos. Im Jahr 2022 war jeder vierte verkaufte Personenwagen in China ein E-Auto. Inzwischen exportieren chinesische E-Autobauer zunehmend Fahrzeuge: China könnte demnächst Deutschland als Autoexporteur Nummer zwei in der Welt hinter Japan ablösen.
Exporte nach China wachsen – aber Importüberschuss
Was bedeutet das für deutsche Konzerne? Der Export von Gütern ist nur eine Möglichkeit, wie sie von Chinas Wirtschaftsumbau, einer dadurch angestrebten stabileren Wachstumsentwicklung und von steigendem chinesischen Knowhow profitieren können. Andere Möglichkeiten sind auch Dienstleistungsexporte, oder Investitionen vor Ort, um direkt dort für den chinesischen Markt zu produzieren oder von dort aus zu exportieren.
Dafür sind stabile und berechenbare Rahmenbedingungen nötig. Als Ganzes betrachtet ist China für Deutschland trotz Corona-Pandemie ein wichtiger und wachsender Absatzmarkt geblieben. Seit dem Jahr 2014 sind die jährlichen Exporte um nominal 4,6 Prozent gewachsen und damit schneller als das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP). Die Autobranche macht (in Euro gerechnet) inklusive Autoteilen und Zubehör fast ein Viertel aller China-Exporte aus. Der Anteil ist damit über die letzte Dekade hinaus stabil geblieben. Den Hauptanteil haben weiterhin Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren. Der Anteil E-Autos hat sich aber vom niedrigen Niveau im Jahr 2017 verzwanzigfacht.
Danach folgen Maschinen, Apparate und mechanische Geräte, deren Bedeutung aber seit einigen Jahren deutlich abnimmt. Hohe Wachstumsraten verzeichnete dagegen die Medizintechnik und Pharmaindustrie. Umgekehrt haben auch Importe aus China nach Deutschland in einigen Bereichen stark zugelegt. Deutschland weist insgesamt einen Importüberschuss von rund 84,5 Milliarden Euro (2022) aus. In einigen Bereichen ist der Anteil beachtlich: Drei Fünftel der Elektromagnete kommen aus China, ein wichtiges Vorprodukt in der Herstellung von E-Motoren. Und bei Produkten für die Erzeugung Erneuerbarer Energien wie Fotovoltaikanlagen liegt der Anteil sogar bei 76 Prozent. Lithium-Ionen-Akkus kommen immerhin noch auf 41 Prozent.
Geopolitische Spannungen überlagern den Wettbewerbsdruck
Aber: Ein berechenbarer Marktzugang ist die Grundlage für eine beidseitig gedeihliche Wirtschaftsbeziehung. Die sich verschärfenden geopolitischen Spannungen im Großmachtwettbewerb zwischen den USA und China wirken sich hier belastend aus. Durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine hat sich die Europäische Union – und Deutschland – klar auf der US-Seite positioniert. Das ist China nicht entgangen, weshalb Peking nun für bessere Beziehungen zu Europa wirbt. Man sei bereit, den Austausch mit Deutschland und Europa in verschiedenen Bereichen wieder voll aufzunehmen, sagte Chinas oberster Außenpolitiker Wang Yi Mitte Februar in München.
Doch die Hürden sind seit der im Jahr 2021 eingefrorenen Ratifizierung des gemeinsamen Investitionsabkommens CAI (Comprehensive Agreement on Investment) nicht kleiner geworden. Die Eingriffe Pekings etwa in den Technologiesektor oder Sanktionen gegen westliche Anbieter haben das Vertrauen in die Berechenbarkeit der Regierung Xi erschüttert. Und sollte China sich tatsächlich mit militärischen Mitteln Taiwan einverleiben wollen und die USA dagegen vorgehen, dürfte dies mit weitreichenden ökonomischen Konsequenzen verbunden sein. Die EU und Deutschland dürften sich in diesem Falle nicht als unparteiische Dritte verhalten können – das beinhaltet auch die Möglichkeit gegenseitiger Sanktionen.
Eine weitere Quelle der Unsicherheit sind die Beziehungen Chinas zu Russland. Verschlechtert sich die Position Moskaus im Krieg gegen die Ukraine drastisch, könnte China enger an Moskau rücken, was der Westen nicht tatenlos hinnehmen würde. Gegenseitige Sanktionen und unterbrochene Lieferketten würden gerade Deutschland als gewichtigen Handelspartner überdurchschnittlich treffen. Anleger sollten dieses Risiko bei ihren Anlageentscheidungen insbesondere in der Auto- oder Chemiebranche sowie im Maschinenbau berücksichtigen. Bei einer Zunahme der Spannungen dürften höhere Risikoaufschläge für Unternehmen mit einem bedeutenden Geschäftsanteil mit China fällig sein. Bei Medizintechnikprodukten besteht dagegen die Chance, dass Exporte aus humanitären Gründen nicht oder weniger stark von Sanktionen betroffen wären.
„Die über Jahrzehnte gewachsene enge wirtschaftliche Beziehung zwischen Deutschland und China ist mit vielen Fragezeichen behaftet.“ - Dr. Jörg Zeuner
Für Anleger gilt mit Blick auf China Heraklits Fazit: „Nichts ist so beständig wie der Wandel“. Denn der Umbau der chinesischen Wirtschaft wird zu Verschiebungen im Absatzpotenzial führen und neue Produktstrategien, aber auch Kooperationen etwa bei Dienstleistungen erforderlich machen. Rein produktbezogen brauchen die deutschen Unternehmen die Konkurrenz, die ihnen zunehmend aus chinesischen Anbietern erwächst, nicht zu fürchten. Der deutschen Exportindustrie gelang es schon früher erfolgreich, mit anderen hoch technologisierten Ländern umzugehen, abgesehen von den USA und Japan etwa auch mit Taiwan oder Südkorea. Deutschlands Exportwirtschaft muss sich aber auch künftig die passenden Branchen und Nischen suchen, in denen sie ihre Stärken ausspielen kann.
Dr. Jörg Zeuner, Chefvolkswirt und Leiter Research & Investment Strategy sowie Mitglied des Union Investment Committee