Eine gute Nachricht: Die Inflation in Deutschland sinkt weiter. Nach 7,2 Prozent im April fiel sie im Mai deutlich auf 6,1 Prozent im Vorjahresvergleich. Aus Verbrauchersicht besonders erfreulich ist, dass vor allem Energie und Lebensmittel im Monatsvergleich günstiger geworden sind. Das zeigt sich etwa am starken Preisverfall bei Gas.
Der Preisdruck lässt aber auch in vielen anderen Posten des Warenkorbes nach und die Kerninflation dürfte ihren Höhepunkt überschritten haben. Angebot und Nachfrage kommen grundsätzlich in ein besseres Gleichgewicht. Es gibt zwar Ausreißer nach oben im Dienstleistungsbereich wie bei Flugtickets oder Pauschalreisen. Mehr als kompensiert wurden diese Preissteigerungen im Mai aber durch den preisdämpfenden Effekt des 49-Euro-Deutschlandtickets.
Die nun wieder intakten globalen Lieferketten sowie die schwache Konjunktur dämpfen auch mit Blick nach vorn den Inflationsdruck. Für die Europäische Zentralbank (EZB) bedeutet das aber trotzdem keine echte Entspannung. Der Weg zurück auf die alte Inflations-Zielmarke von rund zwei Prozent ist lang. Ein schnellere Rückkehr verhindert einerseits der immer noch ziemlich robuste Arbeitsmarkt mit entsprechenden Lohnsteigerungen. Andererseits aber auch, weil die Unternehmen ihre Gewinnmargen besser als erwartet verteidigen können.
Hinzu kommt, dass zwischen Juni und August der im Vorjahr preisdämpfende Effekt des Neun-Euro-Tickets wegfällt und dadurch die Kerninflation vorübergehend sogar wieder steigen könnte. Deswegen besteht das Risiko, dass die EZB nicht nur bis Juli, sondern darüber hinaus an der Zinsschraube drehen wird.
Von Dr. Jörg Zeuner, Chefvolkswirt und Leiter Research & Investment Strategy sowie Mitglied des Union Investment Committee