Strategische Rohstoffe im Fokus des Großmachtwettbewerbs

Am Kapitalmarkt wächst die Sorge, dass China für die Wirtschaft unentbehrliche Rohstoffe als strategische Waffe im Großmachtwettbewerb einsetzen könnte. Dies ist eine Reaktion auf striktere Exportbeschränkungen der USA im Bereich Künstliche Intelligenz. Gerade in diesem Bereich könnte es vom De-Risking zum De-Coupling kommen. Anlegerinnen und Anleger sollten das Thema daher im Blick behalten. Union Investment | 15.07.2023 11:31 Uhr
© Foto von Sam Moghadam Khamseh auf Unsplash
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Der Großmachtwettbewerb zwischen den USA und dem Reich der Mitte hat eine neue Phase erreicht. So hat China angekündigt, dass ab 1. August eine Lizenz nötig ist, um Gallium und Germanium zu exportieren, zwei unter anderem für die Chipindustrie, die Digitalisierung sowie für die grüne Transformation der Wirtschaft wichtige Metalle. Zuvor hatte China zahlreichen chinesischen Kunden die Verwendung von Speicherchips (v.a. DRAM) des US-Herstellers Micron aufgrund von "Sicherheitsbedenken" untersagt. Dies als Reaktion auf kürzlich beschlossene weitere Verschärfungen des Exportverbots für Leading-Edge-Halbleiter (die u.a. für Künstliche-Intelligenz-Anwendungen genutzt werden) sowie für die dazu notwendige Produktionsausrüstung durch die USA, Japan und die Niederlande.

Mit dem Schritt Pekings wächst die Sorge, dass das Land strategisch wichtige Rohstoffe als Hebel einsetzen könnte. Am Aktienmarkt sind die Auswirkungen der Lizenzeinführung auf die Halbleitermetalle Gallium und Germanium bislang begrenzt geblieben. Halbleiterwerte wie Infineon oder STMicroelectronics, die bedeutende Abnehmer der beiden Rohstoffe sind, verzeichneten nur leichte Kursschwankungen. Nach Einschätzung der Experten von Union Investment haben derzeit alle Halbleiterproduzenten ausreichend Lagerbestände für Gallium und Germanium. Es wird aber mit deutlichen Preisanstiegen für diese Edelmetalle gerechnet, die dann an Endkunden weitergegeben werden dürften.

Gallium ist in den Lieferketten von größerer Bedeutung und wird nicht nur in der Chipherstellung, wie in Chips für Künstliche-Intelligenz-Anwendungen (KI) oder Quantenrechner, sondern etwa auch in der Autobranche oder in Mobilfunknetzen der fünften und sechsten Generation (5G/6G) eingesetzt. Die EU-Kommission hat Gallium daher als strategischen Rohstoff eingestuft.

China hat sich unentbehrlich gemacht

Laut US Geological Survey produziert China 98 Prozent des globalen Galliums und laut World Mining Data 93 Prozent des globalen Germaniums. Andere Quellen nennen etwas geringere Zahlen. China hat in den vergangenen Jahrzehnten gezielt die Produktion von für die Wirtschaft entscheidenden, also kritischen Mineralien hochgefahren und sich damit in diesem Bereich zum wichtigsten Exporteur hochgeschwungen. Diese Metalle kommen zwar etwa auch in den USA, Brasilien, Russland und Vietnam vor. Allerdings ist die – für die Halbleiterbranche notwendige hochreine – Herstellung nur mit viel Energieaufwand möglich. Viele der Unternehmen, die dazu in der Lage sind, sitzen in China. Der Aufbau alternativer Produktionsanlagen oder die Erschließung neuer Vorkommen ist kapital- und zeitaufwändig.

Die direkten Auswirkungen der Ankündigung aus China sind sehr überschaubar, zumal zunächst nur Lizenzen notwendig sind, und es sich nicht um sofortige Exportkontrollen bzw. -verbote handelt. In der Vergangenheit hat die chinesische Regierung Exportbeschränkungen ohne Ankündigung verhängt, wie bei Kohle.

Womöglich wird in Einzelfällen nun westlichen Unternehmen eine Lizenz verweigert, um ein Exempel zu statuieren, aber kaum in der Breite. Insofern dürfte der Schritt vor allem dazu dienen, zu zeigen, dass China einen gewissen Hebel hat, um auf Handelsbeschränkungen seitens der USA zu reagieren. Diesen Hebel dürfte China zurückhaltend einsetzen, da das Risiko besteht, dass die Großmacht ihren Status als zuverlässiger Lieferant und attraktiver Investitionsstandort für westliche Handelspartner – insbesondere auch Europa – verliert. Angesichts des Versuchs, Europa, und hier vor allem Deutschland, auf die eigene Seite zu ziehen und ausländische Unternehmen ins Land zu locken, erwarten die Expertinnen und Experten von Union Investment keine allzu harte Vorgehensweise.

De-Risking und nicht De-Coupling – oder doch?

Wie bei anderen hochrangigen Kontakten ist es auch beim viertägigen Besuch von US-Finanzministerin Janet Yellen in der ersten Juli-Woche in Peking darum gegangen, einen „Boden“ in die angespannten chinesisch-amerikanischen Beziehungen einzuziehen und klarzustellen, dass ein Risikoabbau (De-Risking) und keine generelle Abkopplung (De-Coupling) angestrebt wird.

Dieses De-Risking wird aber in einigen Bereichen wie KI oder Quantencomputing einem De-Coupling gleichkommen. So ist bei den Exportbeschränkungen im Chipsektor derzeit ein Katz- und Maus-Spiel zwischen der US-Regierung und US-Technologie-Konzernen im Gange. Für Washington ist klar, dass alles, was mit KI zusammenhängt, nicht nach China geliefert werden darf. Da die Leistung von KI-Chips über US-Anbieter wie Alphabet, Amazon oder Microsoft vollständig automatisiert über das Internet (Cloud) genutzt werden kann, ist absehbar, dass die US-Regierung auch hier die Kontrollen verschärfen und chinesischen Firmen den Zugang verbieten oder erschweren wird. Auch im Bereich Wagniskapital und Private Equity werden die Daumenschrauben perspektivisch angezogen. So hat das US-Venture-Capital-Unternehmen Sequoia das China-Geschäft bereits abgespalten, um etwaigen Einschränkungen zuvorzukommen.

Allerdings werden aus Anlegerperspektive die langfristigen Wachstumstrends etwa im Bereich KI viel dominanter bleiben als der China-Faktor. Dies trifft vor allem auf Unternehmen zu, die in ihren Bereichen Quasi-Monopolisten sind oder eine sehr dominante Marktstellung haben. Bedeutender sind die Auswirkungen in der zweiten Reihe. Da China den Zugang zu High-End-Produkten verliert, dürfte die Volksrepublik womöglich ihre Anstrengungen im bestehenden Geschäft verstärken und dadurch mittel- bis längerfristig den Wettbewerbsdruck für westliche Unternehmen erhöhen.

Gefahr eines aggressiveren Vorgehens

Zum anderen beschleunigt sich dadurch die Diversifikation der Lieferketten, die ohnehin schon im Gange ist. Der Westen wird weiter auf eine Strategie des De-Risking setzen und die Abhängigkeiten verringern wollen. In diesem Prozess dürften gegenseitige Beschränkungen weiter zunehmen, da die US-Seite nicht nachgeben wird. Tendenziell besteht die Gefahr eines zunehmend aggressiveren Vorgehens. China muss dabei kurzfristige Erfolgswirkung gegenüber längerfristigen Nachteilen intensiver als die USA abwägen.

Als Folge dürfte das Geschäftsumfeld für ausländische (Technologie-)Unternehmen in China, die nicht unersetzlich sind, künftig deutlich unangenehmer werden. Die großen Abhängigkeiten in gewissen Sektoren (wie Rohstoffe oder Solarmodule) dürften in Form von Nadelstichen als Machtmittel genutzt werden. Die Neuordnung von Lieferketten, der Aufbau neuer Produktionsanlagen oder die Erschließung neuer Rohstoff-Vorkommen dürfte dabei für ausgewählte Unternehmen in die Karten spielen, die im Bereich Automatisierung oder Bergbau sowie Aufarbeitung und Veredelung von Rohstoffen aktiv sind.

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