Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat seine Wachstumsprognose für die USA deutlich angehoben und gleichzeitig die Prognose für den Euroraum nach unten revidiert. Diese auseinanderlaufende wirtschaftliche Entwicklung der Vereinigten Staaten und Europas hat Auswirkungen auf die Dynamik der Inflation und der Geldpolitik. Das Risiko einer hartnäckig hohen Inflation ist in den USA höher als im Euroraum. Daher wird die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) bei ihren bevorstehenden Zinssenkungen besonders vorsichtig vorgehen. Anleger sollten vor diesem Hintergrund europäische Anleihen gegenüber US-Titeln bevorzugen.
"Wir raten zu größerer Vorsicht bei der Anlage in US-amerikanische Staatsanleihen." - Christian Kopf, Leiter Portfoliomanagement Renten
Mit einer realen Wachstumsrate von 2,7 Prozent sollte die US-amerikanische Wirtschaft im Jahr 2024 um 1,2 Prozent stärker zulegen als es Experten des IWF noch im vergangenen Herbst vorhersagten. Gleichzeitig hat der Währungsfonds seine Konjunkturaussichten für den Euroraum auf 0,8 Prozent zurückgenommen – am stärksten für die deutsche Volkswirtschaft, die dieses Jahr nur noch um 0,2 Prozent wachsen sollte.
Wie der IWF zeigt, ist das robuste Wachstum in den USA auch auf eine starke Binnennachfrage in einer nach wie vor überhitzten Wirtschaft zurückzuführen. Dies erschwert die Rückkehr der Inflation auf die Zielmarke der Fed, die bei rund zwei Prozent liegt. Dagegen gibt es im Euroraum kaum Anzeichen für eine Überhitzung der Wirtschaft. Nach Einschätzung des IWF besteht hierzulande sogar das Risiko einer Unterschreitung des Inflationsziels der Europäischen Zentralbank.
Vor diesem Hintergrund fordert der Währungsfonds die US-amerikanische Notenbank zu einem vorsichtigen und schrittweisen Vorgehen bei der Lockerung der Geldpolitik auf. Im Euroraum hingegen spricht vieles für eine etwas raschere geldpolitische Lockerung.
Die Einschätzungen des IWF erscheinen plausibel – doch was bedeutet dieser Wirtschaftsausblick für die Kapitalmärkte? Wir raten zu größerer Vorsicht bei der Anlage in US-amerikanischen Staatsanleihen. Wenn die Kombination aus robuster Konjunktur und hartnäckiger Inflation in den USA weiter anhalten sollte, dann würde die Fed ihre Leitzinsen kaum absenken können, was zu steigenden Renditen und fallenden Kursen bei US-Anleihen führen würde.
Hinzu kommt ein besorgniserregend hohes Defizit von 6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes im US-amerikanischen Staatshaushalt, trotz Vollbeschäftigung und guter Konjunktur. Der Chefvolkswirt des IWF, Pierre-Olivier Gourinchas, wies zu Beginn der diesjährigen Frühjahrstagung der Washingtoner Institutionen in bemerkenswerter Offenheit darauf hin, welche Stabilitätsrisiken dieser finanzpolitische Kurs mit sich bringt: Kurzfristig bedrohe das hohe Haushaltsdefizit das Einhegen der Inflation in den USA und langfristig sei diese Fiskalpolitik nicht tragfähig. Unseres Erachtens nach könnte die stetig steigende Staatsverschuldung in den USA zu einem Anstieg der langlaufenden Renditen beitragen.
Das schwächere Wirtschaftswachstum und die geringeren Inflationsrisiken sollten dagegen den europäischen Anleihemarkt in ruhigeres Fahrwasser bringen. Deshalb bevorzugen wir derzeit Staats- und Unternehmensanleihen aus dem Euroraum gegenüber der Anlage in den USA. Denn ein geringerer Konjunkturaufwind bedeutet auch geringere Verlustrisiken für die Kapitalanlage am europäischen Anleihemarkt, der nach wie vor attraktive Renditen aufweist.
Von Christian Kopf, Leiter Portfoliomanagement Renten Union Investment