- Kapitalmarktumfeld im zweiten Halbjahr 2024 weiter aussichtsreich, aber herausfordernder
- US-Inflation erreicht bald ihr zyklisches Tief
- Notenbanken kalibrieren Geldpolitik mit moderaten Zinssenkungen
- Aktien bleiben favorisierte Anlageklasse, Rohstoffe strategisch unterstützt
- Zinsniveau weiter hoch, Unternehmensanleihen gesucht
Globale Wachstumsschere schließt sich etwas
Das Wachstum der Weltwirtschaft stellt nach wie vor einen wichtigen Unterstützungsfaktor für die Kapitalmärkte dar. „Vor allem die US-Konjunktur läuft wie eine gut geölte Maschine. Daran dürfte sich in den nächsten Quartalen wenig ändern“, urteilt Engels. Die Volkswirte bei Union Investment gehen von einer Zunahme der realen Wirtschaftsleistung um 2,7 Prozent im Gesamtjahr 2024 aus. Anders als in den zurückliegenden Monaten erwartet Engels auch eine Verbesserung der konjunkturellen Aussichten in anderen Regionen, allen voran im Euroraum. Hier wird ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 0,6 Prozent auf Jahressicht erwartet. Deutschland bildet dabei das Schlusslicht mit einem prognostizierten BIP-Wachstum nur leicht über der Nulllinie. Da sich gleichzeitig in China und Japan die Konjunktur stabilisiert, dürfte die Weltwirtschaft 2024 um 2,9 Prozent und damit leicht stärker als im Vorjahr wachsen. „Die Wachstumsschere zwischen den wichtigsten Regionen schließt sich etwas“, fasst der Kapitalmarktstratege zusammen.
US-Inflation erreicht bald ihr zyklisches Tief
Differenziert fällt sein Urteil zur Inflation aus. Der globale Trend einer sinkenden Teuerung setzt sich zwar fort, aber er verlangsamt sich. „In den USA dürfte im Sommer das zyklische Tief bei der Kerninflation, also der Preisentwicklung ohne Energie und Nahrungsmittel, erreicht werden. Die Teuerung bleibt aber oberhalb des Inflationsziels der US-Notenbank“, prognostiziert Engels. „Geht die Inflation in den Vereinigten Staaten nicht weiter zurück, wirkt sich das grundsätzlich zinsunterstützend am Rentenmarkt aus. Wir erwarten daher speziell für Anleihen mit längeren Laufzeiten keinen Renditerückgang am Rentenmarkt.“ Der Euroraum befindet sich hingegen später im Konjunkturzyklus und ist strukturell nicht so wachstumsstark wie die USA, weshalb die Europäische Zentralbank (EZB) von einem weiteren Rückgang der Preissteigerungen ausgehen darf. „Mitte 2025 dürfte die Inflation dem EZB-Ziel von zwei Prozent nahekommen.“
Notenbanken kalibrieren Geldpolitik mit moderaten Zinssenkungen
Aus Sicht der Notenbanken dürfte damit der Boden für eine Geldpolitik mit moderaten Zinssenkungen bereitet sein. „Die EZB hat vergangene Woche den Anfang gemacht, die Fed wird im zweiten Halbjahr folgen – auch wenn die US-Notenbanker gestern die Leitzinsen zunächst nicht gesenkt haben. Weltweit werden die Zinsen jetzt eher nach unten angepasst“, meint Engels. Den Grund dafür sieht er in einer notwendigen Rekalibrierung der Geldpolitik. Denn: Durch die gefallenen Inflationsraten sind die realen Zinsen – also der Nominalzins abzüglich der Teuerung – deutlich angestiegen. „Höhere Realzinsen belasten Unternehmen und Haushalte. Diesem Trend wollen die Zentralbanken entgegenwirken, indem sie ihre Geldpolitik weniger restriktiv aussteuern.“ Konkret rechnet er mit zwei weiteren Leitzinssenkungen der EZB bis Jahresende. Auch die US-Notenbank Fed dürfte im zweiten Halbjahr zwei Mal die Leitzinsen um jeweils 25 Basispunkte senken. „Mit Zinserhöhungen, wie von manchen Beobachtern erwartet, rechnen wir nicht. Die Anpassung erfolgt nach unten.“
Zinsniveau weiter hoch, Unternehmensanleihen gesucht
Da die erwarteten Zinsschritte keine echte Lockerung, sondern lediglich eine weniger restriktive Geldpolitik bedeuten, dürfte die Wirkung auf das Zinsniveau nach Ansicht von Engels überschaubar bleiben. „Die Zinsen dürften nicht auf breiter Front sinken“, erklärt er. „Wir rechnen mit einer Seitwärtsbewegung bei den Renditen sicherer Staatsanleihen mit mittleren und längeren Laufzeiten.“ Zum Jahresende dürften US-Papiere mit zehnjähriger Laufzeit mit rund 4,5 Prozent rentieren, während deutsche Bundesanleihen gleicher Laufzeit eine Rendite von etwa 2,5 Prozent aufweisen sollten. „Bei den kürzeren Laufzeiten rechnen wir mit einem stärkeren Renditerückgang. Die US-Zinsstrukturkurve wird folglich weniger invers, die deutsche Zinsstrukturkurve sollte zum Jahresende wieder positiv geneigt sein.“ Gleichzeitig geht der Kapitalmarktstratege von einer hohen Schwankungsanfälligkeit aus. „Vor allem rund um die US-Präsidentschaftswahl kann es an den Anleihemärkten auch mal turbulent werden.“
In Summe hält Engels sichere Staatsanleihen nur für bedingt aussichtsreich, auch weil die Staatsverschuldung in den letzten Jahren deutlich gestiegen ist. Mehr Potenzial sieht er bei Unternehmensanleihen guter Bonität, auch wenn die Risikoaufschläge sich schon deutlich verringert haben. „Eine weitere Einengung der Spreads ist eher unwahrscheinlich. Das absolute Renditeniveau bleibt aber für viele Investoren attraktiv, sodass Unternehmensanleihen weiter solide Erträge versprechen“, meint er.
Aktien bleiben favorisierte Anlageklasse
Noch mehr Potenzial sieht Engels bei Aktien, trotz der Kursanstiege der vergangenen Monate. „Aktien sind auf den ersten Blick teuer. Aber die Kursniveaus werden durch höhere Gewinne unterfüttert“, analysiert er. War die Rallye 2023 vor allem von den US-Technologiewerten getrieben, so gewinnt die Aufwärtsbewegung mittlerweile an Breite. „An der Wall Street ist lange alles gelaufen, was mit Künstlicher Intelligenz zu tun hatte. Jetzt werden zunehmend auch andere Sektoren interessant, da die Unternehmensgewinne auf breiter Front steigen. Das verleiht dem Aufschwung am Aktienmarkt mehr Stabilität.“ Auch in regionaler Hinsicht erkennt Engels eine Verbreiterung. Neben den USA sieht er auch in Japan strukturell Chancen. Hinzu kommt die zyklische Erholung in Europa, welche europäischen Aktien zusätzlichen Rückenwind bescheren sollte. „Bis Jahresende dürfte der DAX 40-Index daher die Marke von 19.000 erreicht haben“, prognostiziert er mit Blick auf den deutschen Aktienmarkt.
Rohstoffe strategisch unterstützt
Neben Aktien ist Engels auch für Rohstoffe sehr optimistisch. „Außer der Konjunkturerholung spricht auch das nahende Inflationstief und vor allem der Bedarf aus der grünen Transformation für Rohstoffe. Ohne Kupfer keine Energiewende“, analysiert er. Bei vielen Rohstoffen sind außerdem die Fundamentaldaten gut und es herrschen bzw. drohen Knappheiten. Besonders attraktiv ist nach Einschätzung von Engels der Ölkomplex, wo sich zudem aufgrund der Terminkurve am Derivatemarkt Rollrenditen von über fünf Prozent erwirtschaften lassen. Bei Edelmetallen ist das kurzfristige Potenzial nach den Anstiegen im ersten Halbjahr hingegen eher begrenzt. Den Goldpreis erwartet Engels am Jahresende bei rund 2.400 US-Dollar je Feinunze. Im Kern gilt dieser Befund auch für Industriemetalle, die allerdings stärker von der zyklischen Erholung und strategischen Trends profitieren sollten. „Rohstoffe sind meist eine gute Versicherung im Depot gegen geopolitische Risiken“, ergänzt er.
Mehr Chancen als Risiken an den Kapitalmärkten
Auch im zweiten Halbjahr bleiben politische Faktoren ein wesentlicher Unsicherheitsfaktor. Insbesondere der Großmachtwettbewerb zwischen China und den Vereinigten Staaten sowie die bevorstehende US-Präsidentschaftswahl haben das Potenzial, die Kapitalmärkte negativ zu beeinflussen. Insgesamt überwiegen nach Einschätzung von Engels aber die Chancen. „Das Umfeld wird im zweiten Halbjahr etwas schwieriger, bleibt aber insgesamt aussichtsreich. Zentral bleibt eine sorgfältige Titelselektion, und zwar nicht nur auf der Aktienseite. Wer die falschen Anleihen oder Rohstoffe wählt, ist vermutlich in der richtigen Anlageklasse – verdient aber womöglich trotzdem kein Geld“, warnt er.