Asset Allocation Standpunkt: Europa am Scheideweg

Union Investment | 19.03.2025 07:54 Uhr
Dr. Frank Engels, CIO, Union Investment / © e-fundresearch.com / Union Investment
Dr. Frank Engels, CIO, Union Investment / © e-fundresearch.com / Union Investment

Die Bundesregierung bringt aktuell ein Sondervermögen auf den Weg. Dieser Schritt ist eine Folge dessen, dass Europa und die Europäische Union durch die Außen- und Handelspolitik der USA vor neue Herausforderungen gestellt werden. Klar ist: Der Kontinent muss wirtschaftlich und verteidigungspolitisch selbstständiger werden. Die Weichen dafür sind gestellt – daraus resultieren neue Anforderungen an die Asset Allocation in einem gemischten Portfolio.

Es sind Zeiten historischer Zäsuren. Die USA entfernen sich schrittweise aus der westlichen Staatengemeinschaft und machen dabei, ob auf der Münchener Sicherheitskonferenz oder im Oval Office, immer wieder deutlich: Europa kann im Ernstfall nicht mehr auf die Hilfe aus den USA hoffen. Dieser Schockmoment könnte sich im Nachhinein als Erfolgsfaktor für Europa herausstellen.

Das Gros der EU-Staaten ist seither zusammengerückt, auch die aus der EU ausgestiegenen Briten haben sich in die Verhandlungen um die europäische Sicherheit, militärisch wie wirtschaftlich, eingeschaltet. Das Ergebnis könnte eine neue Phase einläuten, in der sich auch die wirtschaftliche Dynamik in Europa auf Jahre grundlegend ändert.

Infrastruktur-, Rüstungs- und Technologieausgaben als Wachstumstreiber

Die vorgesehenen und bitter nötigen Investitionen in Infrastruktur, Rüstung und modernste Technologien dürften zum Wachstumstreiber für den gesamten Kontinent werden. Damit dürfte sich auch der qualitative Abstand zwischen den Kapitalmärkten in den USA und in Europa, etwa hinsichtlich der Vielfalt der Unternehmen, der Liquidität und der Internationalität der vertretenen Investoren, deutlich verringern. Dass die Bundesregierung aktuell ein Sondervermögen auf den Weg bringt, ist in diesem Zusammenhang wegweisend. Es ist aber nur ein wichtiges Puzzleteil im europäischen Kontext, denn schließlich werden die relevanten Entscheidungen auf europäischer Ebene für die 27 Mitgliedsländer gefällt.

Und die haben es in sich. Beim Vergleich der wirtschaftlichen Entwicklung in den USA und Europa zeigt sich eines deutlich: Nach der Corona-Pandemie haben es die Vereinigten Staaten nicht nur geschafft, schnell den vorherigen Wachstums- und Produktivitätspfad wieder aufzunehmen. Inzwischen liegen sie sogar darüber. Europa hingegen leidet noch immer unter den Folgen der Corona-Delle. Den Unterschied hatten seinerzeit die großvolumigen Infrastrukturprogramme der Biden-Administration gemacht. So brachte etwa der Inflation Reduction Act als massiver Fiskalstimulus mit rund einer Billion US-Dollar die US-Konjunktur auf Vordermann. Im Vergleich dazu sind die Initiativen in Europa, wie das Programm „Next Generation EU“, weniger schlagkräftig ausgefallen. Ein Grund, warum es kein flächendeckender Erfolg war: Die bürokratischen Hürden in Europa waren und sind zu hoch. Es war ein Erfolgsrezept des US-Stimulus, dass die Maßnahmen für die Unternehmen relativ leicht umsetzbar und deshalb schnell konjunkturwirksam waren. Das soll künftig auch bei Programmenin Europa möglich sein.

Als womöglich langfristig entscheidender Punkt sind die Rüstungsausgaben zu sehen. Zum einen steigt in Europa die Sorge, dass amerikanische Waffensysteme scheinbar per „Knopfdruck“ aus Washington unbrauchbar gemacht werden können. Zum anderen hat die EU-Kommission einen recht üppigen finanziellen Spielraum in Aussicht gestellt, um gemeinsame Abwehr- und Raketensysteme zu beschaffen und zu entwickeln. Darüber hinaus sind noch weiterreichende Investitionen der Mitgliedsstaaten möglich. Es sollte aus diesen Gründen nicht überraschen, dass zukünftige Rüstungsaufträge vornehmlich europäischen Anbietern zufließen dürften. Auch wenn die Hoffnung, modernste Waffensysteme niemals einsetzen zu müssen, an erster Stelle steht, zeigen statistische Analysen, dass Investitionen in den Rüstungssektor sich mittel- bis langfristig positiv auf das Wachstumspotenzial einer Volkswirtschaft auswirken. Dafür gibt es gleich mehrere Gründe: Erstens so genannte Spillover-Effekte, die in Form von Innovationen von der militärischen Forschung in die zivile Nutzung übergehen und dort teils enorme Auswirkungen auf die Produktivität haben. Künstliche Intelligenz und modernste Sensorik sind zwei Felder, in denen besonders große Spillover-Effekte zu erwarten sind. Das zweite sind Spin-offs, also von den Verteidigungskonzernen ausgegliederte Unternehmen und Technologien, die dem Wachstum auf anderen Feldern zugutekommen. Hinzu kommt ein Import von Technologien, der es den hiesigen Herstellern ermöglicht, einen Blick über den Tellerrand zu werfen und womöglich vom Vorsprung aus anderen Ländern zu profitieren. Und schließlich erfolgt der Aufbau einer qualifizierten Mitarbeiterschaft, die in einem technologisch anspruchsvollen, hochsensiblen Bereich arbeitet.

Europäische Aktien können Bewertungsabschlag aufholen

Die geopolitische Zeitenwende sorgt also für Rückenwind auf den europäischen Aktienmärkten. Das klingt für viele fast schon zu schön, um wahr zu sein. Richtig ist: Die Chancen sind da, aber auch die damit einhergehenden Risiken sollten in der Anlagestrategie berücksichtigt werden.

„Die Chancen, durch Fiskalstimuli das europäische Wachstumspotenzial nachhaltig zu stärken, sind heute so groß wie lange nicht.“ - Dr. Frank Engels

So wie in den USA die Lage der Unternehmen nicht so schlecht ist, wie sie an den Märkten zuletzt gepreist wurde, stehen wir in Europa sicherlich nicht vor einer Ära ungebremst steigender Kurse. Die Chancen, durch Fiskalstimuli das europäische Wachstumspotenzial nachhaltig zu stärken, sind heute so groß wie lange nicht. Die sicherheitspolitische Notwendigkeit ist da – und der politische Wille, zumindest in den europäischen Kernstaaten, so ausgeprägt wie selten zuvor.

Was bedeutet das für die Märkte? Nachdem die Stimmung an den europäischen Aktienmärkten im Herbst vergangenen Jahres durch die politischen Querelen mit zerbrochener Ampel in Deutschland und Regierungskrise in Frankreich einen neuerlichen Tiefpunkt erreichte, feierten die Börsen in den USA ein vermeintlich goldenes Zeitalter der Steuersenkungen und der Deregulierung unter Donald Trump. Doch der Wind hat sich spätestens seit dem Jahreswechsel gedreht. Die europäischen Aktienmärkte haben in den vergangenen drei Monaten eine beachtliche Aufholjagd hingelegt und begonnen, sich ihren US-Pendants anzunähern. Jedoch zeigt der Blick auf die Marktbewegungen, dass noch Luft nach oben ist. Aktien aus den USA sind nach wie vor mit einer deutlichen KGV-Prämie versehen. Vieles davon mag strukturell begründet sein und auch bleiben – einiges davon dürfte sich aber in den kommenden Monaten noch weiter bewegen. Die Investitionen sollten mittel- bis langfristig vor allem zyklische Branchen, die derzeit noch unter einer zu geringen Auslastung leiden, unterstützen. Beispiele sind etwa im Grundstoffsektor Chemie, Bau- und Stahlunternehmen, aber natürlich auch Luftfahrtunternehmen. Banken könnten zudem vom strukturell erhöhten Zins und dem höheren Kreditbedarf profitieren. Im Sinne der strategischen Asset Allocation sollte im Aktienbereich aber nicht einseitig auf die zyklische Karte gesetzt werden. Kurzfristige Rücksetzer lassen sich beispielsweise mit Basiskonsumgütern wie etwa Nahrungsmittelherstellern und Aktien aus dem Gesundheitsbereich abfedern.

Mit Blick auf die Investmentstile dürfte der Unterschied zwischen Value- und Wachstumstiteln künftig kleiner ausfallen, als wir das historisch gewohnt sind. Die größere konjunkturelle Dynamik sowie ein strukturell erhöhtes Zinsniveau schmälern den Unterschied zwischen den Stilen. Dass das in den USA in der Phase seit dem Jahr 2020 und seit dem IRA nicht so deutlich zutage trat, lag an der Sonderkonjunktur der Growth-Titel aus dem Bereich der Halbleiterproduzenten, Hyperscaler und Künstlichen Intelligenz. Diese Sonderkonjunktur hat aber spätestens mit dem Auftauchen der chinesischen KI-Plattform DeepSeek ihr vorläufiges Ende gefunden. Dementsprechend ist in Zukunft mit einer stärkeren Marktbreite zu rechnen – und der europäische, eher von Value-Titeln geprägte Markt kann davon profitieren.

Strukturell höhere Zinsen und Renditen

Am Rentenmarkt sollten wir uns an ein strukturell etwas erhöhtes Zinsniveau gewöhnen. Einiges davon wurde bereits vorweggenommen. Die zehnjährige Bundeanleihe handelt im internationalen Vergleich nach unserer Einschätzung mit einer Rendite von 2,85 Prozent immer noch knapp 70 Basispunkte zu günstig, relativ zum langfristig „fairen“ Renditeniveau. Eine zusätzliche Belastung ergibt sich aus dem zusätzlichen Finanzierungsbedarf aufgrund der höheren Fiskaldefizite, was mittel- und längerfristig auch zu höheren Laufzeitprämien am langen Ende führen wird. Für das Rentensegment bedeutet das: Investment-Grade-Unternehmensanleihen bleiben aufgrund des fundamental besseren Umfelds gut unterstützt, und für risikoaffine Anleger sind Hochzinsanleihen selektiv auch weiterhin attraktiv. Dagegen sollten die Renditen von Staatspapieren zunächst tendenziell weiter steigen, bevor das höhere Renditeniveau zusätzliche Käufer anzieht.

Flexibilität im Multi Asset-Ansatz unerlässlich

Multi Asset Investoren müssen daher im aktuellen Umfeld die nötige Flexibilität mitbringen, die höhere Volatilität auf Aktien- und Rentenmärkten mit ruhiger Hand auszusteuern und die Implikationen der geopolitischen Zeitenwende richtig einzuschätzen. So wichtig der strategische Weitblick in einer Situation des Umbruchs auch ist: Die Kapitalmarktvolatilität wird in den kommenden Monaten aufgrund der Wachstums- und Inflationszyklik tendenziell hoch bleiben oder gar noch zunehmen. Zudem dürfte das Umfeld aufgrund der geopolitischen und wirtschaftlichen Verschiebungen, dem partiellen Auseinanderdriften der westlichen Staatengemeinschaft und den sich abzeichnenden Handelskonflikten zunehmend komplexer werden.

Ein aktiver Ansatz in der Anlage ermöglicht es dabei, nicht nur die Risiken im Auge zu behalten und nach individuellen Gesichtspunkten angepasst zu managen, sondern auch Chancen zu erkennen. So führt eine aktive Titelselektion vor dem Hintergrund einer Welt im Umbruch dazu, Risiken etwa im Zusammenhang mit dem Handelskonflikt, die sich vor allem sektoral niederschlagen, frühzeitig zu identifizieren und in den Anlageentscheidungen vorwegzunehmen. Umgekehrt lassen sich daraus auch Anlagechancen nutzen, die etwa aus einer Verlagerung von Wertschöpfungsketten oder dem Einsatz technologischer Innovationen entstehen.

Von Dr. Frank Engels, Kapitalmarktvorstand bei Union Investment

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