"Minsky-Momente": Die Ruhe vor dem Sturm?

"Offensichtlich haben sich die Märkte an ein konstantes Umfeld gewöhnt, das sich durch ein schwaches, aber anhaltendes Wachstum sowie niedrige Zinsen kennzeichnet und sich durch nichts stören lässt", warnt Didier Saint Georges, Mitglied des Investmentkomitees bei Carmignac. Carmignac | 12.10.2016 13:09 Uhr
Didier Saint Georges, Mitglied des Investmentkomitees, Carmignac
Didier Saint Georges, Mitglied des Investmentkomitees, Carmignac
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"Die Tatsache, dass der Schock des Brexit-Votums im Juni schnell verdaut wurde, hat sie in ihrer Sorglosigkeit sogar noch bestärkt. Dank der Unterstützung durch die Zentralbanken konnten sich die Märkte in den letzten Jahren sogar recht beachtlich entwickeln.  

Die Anleger scheinen sich recht wenig darum zu scheren, dass die Zeit bis zum Jahresende mit wichtigen Terminen gespickt ist: Die US-Präsidentschaftswahlen am 8. November, kurz darauf am 4. Dezember das Verfassungsreferendum in Italien und am 14. Dezember eine Sitzung des geldpolitischen Ausschusses der Fed. Hier bietet sich das letzte Mal die Gelegenheit, im aktuellen Jahr zumindest einmal die Leitzinsen anzuheben - unter der Voraussetzung, dass dies nicht bereits am 2. November, also eine Woche vor dem Wahltermin, geschieht. Angesichts der vielen Termine bis zum Jahresende erscheint es aus unserer Sicht angebracht, unsere Wachsamkeit gegenüber Marktrisiken weiter zu erhöhen.

Der 1996 verstorbene Volkswirtschaftler Hyman Minsky ist bekannt für den Nachweis, dass lange Stabilitätsphasen selbst wieder Instabilität generieren können, indem sie zu übermäßiger Risikobereitschaft verleiten. Viele sahen in der großen Finanzkrise von 2008 einen dieser "Minsky-Momente". Man braucht nicht unbedingt Parallelen zu dieser Zeit zu ziehen, um festzustellen, dass der seit 2009 erfolgte Rückgriff auf unkonventionelle Geldpolitiken in nie dagewesenem Ausmaß eine bemerkenswerte Entwicklung der Anleihe- und Aktienmärkte ermöglichte. Wohlgemerkt wurde hierbei souverän darüber hinweggesehen, dass es weder gelang, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, noch die Verschuldung zu senken

Diese Periode, in der die Märkte stiegen, obwohl die Realwirtschaft stagnierte, begünstigte wiederum einen Anstieg gesellschaftlicher Unzufriedenheit, die die Position vieler Regierungen schwächte. Die Auswirkungen der quantitativen Lockerung verstärkten die Kluft zwischen den Nutznießern des Anstiegs der Finanzmärkte und denjenigen, die wegen des schwachen Wachstums auf der Strecke bleiben. Statt die Krisen zu bewältigen, trug dies zu einer Polarisierung der politischen Diskussion bei. Was das Vertrauen in die politischen Institutionen anbelangt, war laut der amerikanischen PR-Agentur Edelman die Diskrepanz zwischen den Eliten (die wohlhabendsten 15% der Bevölkerung) und dem Rest noch nie so groß: Er beträgt 12 Punkte im weltweiten Durchschnitt. Am größten ist der Abstand in den Vereinigten Staaten (rund 20 Punkte), gefolgt von Großbritannien (17 Punkte) und Frankreich (15 Punkte). Folglich wurden protektionistische oder sogar isolationistische Stimmen laut. Die Wahl eines Kandidaten wie Donald Trump zum US-Präsidenten war vor einem Jahr noch unwahrscheinlich, heute erschiene sie in gewisser Hinsicht plausibel. Eine Mehrheit der britischen Bevölkerung entschied sich für den Austritt aus der Europäischen Union, und in Europa legen populistische Parteien zu. Hinter der Ruhe an den Märkten verbirgt sich nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine politische Schwäche.

Die Zuversicht der Anleger bezüglich der US-Wahlen ist zum Großteil damit begründet, dass Hillary Clinton in den Umfragen immer noch weit vorne liegt. Was die Zuverlässigkeit von Umfragen betrifft, haben viele aus dem Brexit scheinbar nichts gelernt. Sie beruht aber auch auf einem prinzipiellen Vertrauenspostulat: Demnach würde Donald Trump seine derzeitige Haltung ablegen, sobald er gewählt ist, und viel vernünftiger werden. Und sollte er dennoch unvernünftig werden, könnte der Kongress ihn stoppen. Zum einen erhöht diese Argumentation, wenn sie sich weiter verbreitet, die Wahrscheinlichkeit eines Wahlsiegs von Donald Trump, denn das wahrgenommene Risiko sinkt. Zum anderen ist diese Argumentation falsch. Nach Berechnungen des CRFB (Committee for a Responsible Federal Budget) würde sich die Staatsverschuldung innerhalb von zehn Jahren um 5.300 Mrd. USD erhöhen, wenn Donald Trumps Wahlprogramm eins zu eins umgesetzt würde. Selbst wenn nur ein Teil seines Wirtschaftsprogramms Realität würde, wären die Folgen für die US-Staatsfinanzen drastisch. 

Im Übrigen sei daran erinnert, dass die US-Institutionen dem Präsidenten viel Spielraum lassen, um internationale Handelsvereinbarungen in Frage zu stellen, wenn es um "die Verteidigung amerikanischer Interessen gegen unlautere Wettbewerbspraktiken" geht. Die Einführung von Zollbarrieren und die Infragestellung wichtiger Handelsvereinbarungen wie das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA), was durchaus zu den Prärogativen des Präsidenten gehört, wären ein schwerer Schlag für den Welthandel. Die unabhängigen Wirtschaftsanalysten vom Peterson Institute gehen davon aus, dass Donald Trumps Programm einem Handelskrieg gleichkäme, der sehr negativ für die US-Wirtschaft enden könnte. Eine Antwort auf die Unzufriedenheit in der Bevölkerung zu finden, gehört auch zu den Zielen von Hillary Clintons Programm, denn sie wird vom linken Flügel ihrer Partei unter Druck gesetzt. Wie bei Trump sieht auch ihr Programm insbesondere die Erhöhung des Mindeststundenlohns vor; dies würde die Margen der US-Unternehmen weiter schrumpfen lassen. Mit anderen Worten: Die US-Präsidentschaftswahl ist ein Beispiel für ein ungünstiges asymmetrisches Risiko, auch wenn der nach jetzigem Stand wahrscheinlichste Fall – ein Sieg Hillary Clintons - bisher kein Anlass zur Unruhe ist. De facto würde die Wahl der Kandidatin bedeuten, dass eine unpopuläre Präsidentin ins Amt kommt. Sie hätte ihre Wahl vor allem der Tatsache zu verdanken, dass ihr republikanischer Konkurrent unbeliebt ist. Im Grunde würde der Status quo bestehen bleiben, wahrscheinlich garniert mit mehr Regulierung. Schlimmstenfalls führen die US-Wahlen zu viel Ungewissheit, die unmittelbare Gefahren für den Welthandel und die US-Staatsfinanzen oder sogar geopolitische Spannungen mit sich bringt.

In Italien stellt das Verfassungsreferendum, das von Matteo Renzi auf den Weg gebracht wurde, weil seine Mehrheit im Parlament nicht ausreicht, ebenfalls ein asymmetrisches Risiko dar. Wenn Matteo Renzi eine Mehrheit hinter sich bringt, kann er seine Reformen fortsetzen, denn der Senat würde sein Vetorecht verlieren. Aber ein solcher Erfolg wäre dennoch kein Allheilmittel gegen die Flaute der italienischen Wirtschaft (das Wachstum lag im zweiten Quartal erneut bei 0%). Sie leidet erheblich unter einer schwachen Produktivität, hohen Schulden und einem anfälligen Bankensystem. Eine Ablehnung jedoch würde de facto ein Misstrauensvotum gegen Matteo Renzi darstellen. Dies würde nicht nur die Reformdynamik stoppen, sondern könnte bedeuten, dass einer der europafreundlichsten Politiker des Kontinents sich aus der Politik zurückzieht und für Italien erneut unsichere politische Zeiten beginnen. 

Ferner hat Janet Yellen am 14. Dezember zum letzten Mal in diesem Jahr die Gelegenheit, auf die Verbesserung der Arbeitsmarkt- und Inflationszahlen in den USA mit einer Anhebung der Leitzinsen zu reagieren. Falls zu diesem Zeitpunkt an den Märkten sehr starke Turbulenzen herrschen sollten - z.B. nach einem überraschenden Ausgang der Präsidentschaftswahlen - wird sich die Fed wahrscheinlich davor hüten, Öl ins Feuer zu gießen. Es müssten schon außergewöhnliche Umstände vorherrschen, damit die Fed kaum der Versuchung widersteht, die Zinsen um 0,25% zu erhöhen. Werden die Wirtschaft und die Märkte daraus gestärkt hervorgehen? Daran lässt sich zweifeln. Auch hier besteht ein asymmetrisches Risiko.

Es ist anzunehmen, dass die Märkte sich weiterhin mit einer schwachen, mit Liquidität gefluteten Wirtschaft zufrieden geben. Außerdem könnte die im Frühjahr 2016 begonnene Erholung noch ein paar Monate andauern, obwohl unsere eigenen Analysen etwas anderes besagen. Risikomanagement bedeutet jedoch, auf Schwächephasen zu achten. Ihre komfortable Lage, die sie der jahrelangen außergewöhnlichen Unterstützung durch die Zentralbanken zu verdanken haben, ließ die Anleihe- und Aktienmärkte auf im Sinne Minskys "instabile" Niveaus steigen. 

Beide Anlageklassen sind inzwischen anfällig gegenüber externen Schocks, wie die "Mini-Minsky-Momente" von 2013, im Sommer 2015 und schließlich Anfang 2016 gezeigt haben. Bis zum Jahresende könnte es erneut zu drei Schocks kommen, und unsere makroökonomischen Erwartungen legen darüber hinaus nahe, dass die Märkte möglicherweise enttäuscht über das globale Wachstum sein werden. Daher erscheint es erneut angebracht, in taktischer Hinsicht vorsichtigere Positionierungen sowohl in Aktien als auch in Anleihen einzugehen, um solchen Anfälligkeiten entsprechend vorzubeugen."

Didier Saint Georges, Mitglied des Investmentkomitees, Carmignac


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