Wenn man sich dem Ende eines Zyklus nähert, wie es momentan der Fall zu sein scheint, wird es immer sehr schwierig, an starken Überzeugungen festzuhalten. In der letzten Expansionsphase zeigen sich an den Märkten die größten Extreme. Das äußert sich in einer allgemeinen Begeisterung, in schwindelerregend ansteigenden Aktienmärkten oder einer wieder anziehenden Inflation. All dies produziert aber automatisch sein eigenes Gegengift: Die Zentralbanken straffen nämlich ihre Geldpolitik, um die Lage zu entschärfen. Und da die Inflation – von jeher das Schreckgespenst jedes Zentralbankers – normalerweise träger als das Wachstum ist, begehen die Zentralbanken üblicherweise den großen Fehler, die Zinssätze weiter anzuheben, wenn sich das Wirtschaftswachstum bereits verlangsamt. Dadurch tragen die Zentralbanken sehr häufig zur wirtschaftlichen Abkühlung und zum Kippen des Markts bei.
Marktbeobachter erinnern sich bestimmt an Jean-Claude Trichet, den ehemaligen Präsidenten der Europäischen Zentralbank. Er beschloss im August 2008, den Leitzins anzuheben, weil die Inflationsindikatoren zulegten, obwohl der wirtschaftliche Umschwung bereits begonnen hatte. Dieser Fehler ist im Gedächtnis geblieben, auch wenn man zu seiner Verteidigung sagen muss, dass daran nichts Besonderes war. Die Zentralbanker glauben nur, was sie sehen.
Für die Anleger hingegen ist es von größter Bedeutung, Trendwenden vorherzusehen. Schließlich wollen sie nicht alles verlieren, wie es vielen in den Jahren 2000-2001 oder 2008 erging. Sollte man also schon jetzt aufhören, bei der Euphorie des US-Markts mitzumachen? Hat die US-Börse sein letztes „Hurra!“ gerufen, ist auf seinen höchsten Stand gestiegen und steht nun vor einer Trendwende?
Grundsätzlich ist das eine klassische Frage für Wirtschaftswissenschaftler. Sie sind derzeit aufgrund der sehr unterstützenden Haushaltspolitik, die die monetäre Drosselung ausgleicht, verhältnismäßig optimistisch was das US-Wachstum angeht. Doch diese Erklärung reicht nicht aus, um die bemerkenswerte Outperformance des US-Markts zu erklären.
Um die Ausnahmesituation in den USA zu begreifen, müssen zwei exogenen Störfaktoren betrachtet werden, die absolut ungewöhnlich sind und das Wirtschaftswachstum beeinflussen.
Da wäre zunächst einmal der geldpolitische Zyklus. Die Zentralbanken können diesmal nicht einfach nur ihre Zinsen anheben, und sei es auch nur auf vorsichtige Art und Weise. Sie müssen auch die Luft aus der geldpolitischen Blase lassen, die sich im Laufe der Jahre durch das berühmte „Quantitative Easing“ aufgebaut hat. Erste Schritte in diese Richtung sind bisher nur in den Vereinigten Staaten zu beobachten. Die US-Notenbank hat damit angefangen, jene 4.500 Milliarden Dollar zu vernichten, die sie zwischen 2008 und 2014 gedruckt hatte. Das ist ein deutlich mächtigeres Instrument als eine Leitzinsanhebung um ein paar Dutzend Basispunkte.
Der springende Punkt ist jedoch, dass dies für den Rest der Welt viel wichtiger als für die Vereinigten Staaten ist, da der Dollar die Hauptfinanzierungswährung der Weltwirtschaft darstellt. Länder, die sehr stark von ausländischen Finanzierungen in Dollar abhängig sind, erleben das Schließen des Dollar-Geldhahns als äußerst schmerzhaften Vorgang. Extreme Beispiele sind zurzeit Argentinien oder die Türkei. Folglich schwächt der amerikanische geldpolitische Zyklus in erster Linie den Rest der Welt.
Der zweite Störfaktor ist der politische Zyklus. Die Globalisierung der letzten 20 Jahre, die den internationalen Unternehmen dicke Margen beschert und deren Aktionäre reich gemacht hatte, ist heute starken Fliehkräften ausgesetzt. Der wirtschaftliche Nationalismus ist auf dem Vormarsch und mit ihm die Versuchung des Protektionismus und Widerstände gegen die bestehende Ordnung und den Freihandel. In diesem Kontext, wo der Welthandel als Nullsummenspiel angesehen wird und bei dem auf jeden Gewinner ein Verlierer kommen muss, ist es logisch, dass das Recht des Stärkeren gilt.
Das ist derzeit das Recht der US-Wirtschaft. Außerdem macht Donald Trump kein Geheimnis daraus, dass er seine Machtposition nutzen möchte, um seinen „Geschäftspartnern“ Konditionen aufzuerlegen, die viel günstiger für die US-Wirtschaft sind. Der Rest der Welt wird dadurch geschwächt, dass die USA freihandelsfeindlich agiert. Somit „saugen“ die US-Geld- und -Wirtschaftspolitik zugleich die Liquidität und das Wachstum der restlichen Welt ab. Fügt man nun eine Prise politisches Risiko in Europa und in Lateinamerika hinzu, so erhält man eine perfekte Erklärung für die sonderbare Diskrepanz zwischen allen Börsen weltweit auf der einen Seite und dem US-Markt auf der anderen Seite.
Wir müssen uns bewusst sein, dass es an drei wichtigen Zyklen (geldpolitisch, wirtschaftlich und politisch) liegt, die unmittelbar auf eine Kollision zusteuern, dass allmählich seltsame Dinge auf den Finanzmärkten vorgehen. Und dieser Zusammenstoß bahnt sich gerade erst an.
Didier Saint-Georges, Mitglied des Investmentkomitees, Carmignac