Carmignac’s Note: Finanzmärkte im Spannungsfeld zwischen übermäßigem Vertrauen und Misstrauen

Auf der einen Seite zeigen sich die Anleger nachsichtig gegenüber den Zentralbanken und deren möglichen Entscheidungen angesichts eines komplexen Umfelds; auf der anderen Seite sind sie übertrieben besorgt in Bezug auf China. Dieser Ansicht ist zumindest Gergely Majoros, Mitglied des Investment Committee von Carmignac. Carmignac | 23.09.2021 18:00 Uhr
Gergely Majoros, Mitglied des Investment Committee von Carmignac / © Carmignac / e-fundresearch
Gergely Majoros, Mitglied des Investment Committee von Carmignac / © Carmignac / e-fundresearch
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Wie ist die aktuelle Lage an den Finanzmärkten?

Gergely Majoros: Während der Sommer zu Ende geht, hält die positive Entwicklung der Aktienmärkte an. Allerdings gibt es zwei Angelegenheiten, denen man besondere Aufmerksamkeit widmen sollte. Die erste ist die jüngste Verschärfung der Regulierungen in China. Die zweite, ebenso wichtig für die Börsen weltweit, betrifft die künftige Zinsentwicklung.

Zurzeit scheint es mit Blick auf China viele Befürchtungen zu geben. Was ist aus Ihrer Sicht der Grund dafür?

G.M. : Die chinesischen Behörden haben eine Verschärfung der Regulierung bestimmter Bereiche der sogenannten New Economy beschlossen. Darunter fallen Konsumgüter, technologische Innovationen, das Gesundheitswesen und auch die „grüne Revolution“. Die jüngsten Schritte waren deutlich restriktiver als die beiden Male zuvor, in den Jahren 2015 und 2018, weil sie darauf abzielen, das Ausufern bestimmter Aspekte (marktbeherrschende Stellungen, Ungleichheit, unsichere Lebensverhältnisse) auf Dauer zu korrigieren.

War das der Grund dafür, dass die Kurse einiger chinesischer Aktien fielen?

G.M.: Die chinesischen Aktienmärkte wurden dadurch stark belastet. Trotzdem kann man sich fragen, warum diese Gesetzesverschärfung solche Sorgen hervorruft. Sollten wir, wie einige Anleger, damit rechnen, dass Peking die großen Internetfirmen im Namen des angestrebten gemeinsamen Wohlstands oder im Namen der strategischen Rivalität zwischen den USA und China im Bereich Technologie auf Dauer schwächt? Müssen wir uns darauf einstellen, dass die chinesischen Behörden Privateigentum beschneiden und die Strukturen verändern, die eingeführt wurden, um Börsengänge chinesischer Firmen im Ausland zu ermöglichen? Nach unserer Überzeugung lautet die Antwort in beiden Fällen: Nein.

Warum?

G.M.: Diese Sorgen stehen in starkem Widerspruch zu den Plänen der chinesischen Behörden, deren Wunsch nach einer schrittweisen Öffnung der Finanzmärkte sowohl strategisch bedingt als auch notwendig ist.

Was bedeutet das?

G.M.: China hat es vor ein paar Jahren geschafft, die Börsen in Festlandchina und in Hongkong miteinander zu verbinden. Dank dieser Verbindung können Ausländer direkt in chinesischen Unternehmen anlegen. Diesem entscheidenden Schritt im Hinblick auf die Öffnung der chinesischen Märkte verdankt China einen kontinuierlichen Investitionsfluss. Sollten die Sorgen sich bewahrheiten, so würde dies zudem dem langfristigen Ziel der chinesischen Behörden zuwiderlaufen, den Yuan zu einer internationalen Reservewährung zu machen, wie es der Dollar und der Euro sind.

Allerdings bemühen sich die chinesischen Behörden seither darum, Klarheit zu schaffen ...

G.M.: In der Tat! Die zentrale Kommission für Finanz- und Wirtschaftsangelegenheiten (Central Financial and Economic Affairs Commission) hat die gesellschaftspolitischen Ziele der Kommunistischen Partei Chinas vor kurzem näher erläutert. Dabei hat sie betont, dass es sich bei den Veränderungen um einen allmählichen Prozess handelt und sie dafür sorgen will, dass das Umfeld für den privaten Sektor in China günstig bleibt. Außerdem bestätigen verschiedene Aussagen der chinesischen Behörden in den letzten Tagen, dass der Finanzplatz Hongkong für China wichtig ist und Peking nicht vorhat, den Notierungen an US-Börsen ein Ende zu setzen.

Wäre es nicht angebracht, angesichts der strengeren Regulierung von einem möglichen politischen Risiko für Anleger in China auszugehen?

G.M.: Aus unserer Sicht nicht. Die meisten angekündigten Schritte decken sich mit den langfristigen politischen Zielen und Ambitionen der chinesischen KP: gemeinsamer Wohlstand und die Bekämpfung von marktbeherrschenden Stellungen, Ungleichheit und unsicheren Lebensverhältnissen. Das Misstrauen gegenüber China zog Kursverluste an der Börse nach sich, die viele chinesische Unternehmen betrafen, darunter auch solche aus Branchen wie beispielsweise Cloud-Computing und Rechenzentren, die nicht unmittelbar im Visier der neuen Maßnahmen stehen. Ihre Bewertungsniveaus sind derzeit im Vergleich zum historischen Durchschnitt oder zu denjenigen ihrer US-Konkurrenten sehr vielversprechend.

Ist China also nach wie vor attraktiv?

G.M.: Nach unserem Dafürhalten ist China ein Markt, in den man auf jeden Fall weiter investieren kann – natürlich unter der Voraussetzung, dass man sich selektiv positioniert. Angesichts des Tempos, mit dem zuletzt Ankündigungen aufeinander folgten und der Richtung, in die diese gehen, dürfte das neue regulatorische Umfeld mit der Zeit klarer werden. Dies wird es Anlegern ermöglichen, all diese neuen Informationen nach und nach aufzunehmen und selbst zu beurteilen, wie hoch die Attraktivität bestimmter chinesischer Unternehmen tatsächlich ist.

Wie sieht es mit der Zinsproblematik aus?

G.M.: Es könnte schwieriger werden als erwartet. Erstens dürften insbesondere die deutlich höheren Löhne von gering qualifizierten Arbeitnehmern und der Mietanstieg zu einer dauerhafteren Steigerung der Inflation führen. Gleichzeitig könnte sich die US-Konjunktur verlangsamen, da die Aussichten auf eine Unterstützung durch die Biden-Regierung weiterhin ungewiss sind. Zwar wurden zuletzt offenbar erhebliche Fortschritte bei der Ausgestaltung der nächsten Konjunkturprogramme erzielt, doch das Vorhaben der US-Regierung, noch vor den US-Zwischenwahlen 2022 innerhalb weniger Monate zwei wichtige Programme durchzubringen, ist sehr gewagt.

Könnte dies die Arbeit der US-Notenbank erschweren?

G.M.: Auf jeden Fall! Die US-Notenbank (Fed) könnte mit einer Art „Stagflation 2.0“ konfrontiert werden, d. h. sowohl mit einer Konjunkturverlangsamung als auch einem Anstieg der Inflationserwartungen. Aufgrund dessen könnte ihr Spielraum kleiner werden, und das zu einem Zeitpunkt, an dem sie eine Normalisierung ihrer Geldpolitik einzuleiten scheint – also der Art und Weise, wie sie auf die Wirtschaftstätigkeit einwirkt.

Und wie sieht es in Europa aus?

G.M.: In Europa ist die Lage weniger angespannt als in den USA. Verglichen mit dem Ziel der Europäischen Zentralbank sind die Erwartungen an die Preissteigerungsrate zu niedrig. Daher wird die Preisentwicklung weiter im Mittelpunkt ihrer Überlegungen stehen.

Wie stellen Sie sich diesen beiden Problematiken – China und den Zinsen?

G.M.: Was die Zinsen anbelangt, so sind Vorsicht und Flexibilität geboten. Bei den Aktien bevorzugen wir im aktuellen Umfeld Wertpapiere von Unternehmen, die sich auch im Fall eines enttäuschenden Wirtschaftswachstums halten können. In Bezug auf China halten wir an chinesischen Titeln fest, die aus unserer Sicht sehr viel Potenzial besitzen und deren Kurse zuletzt wieder sehr attraktiv geworden sind.

Lesen Sie hier den vollständigen Text von Carmignac‘s Note von Gergely Majoros

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