Innerhalb nur eines Quartals haben sich die Erwartungen der Anleger grundlegend geändert: Von starkem Wachstum und der Erwartung, dass die Preissteigerungen vorübergehend sind, ist keine Spur geblieben. Stattdessen stellen sich Marktteilnehmer auf eine schwache Konjunktur und eine mögliche Stagflation ein. Ist tatsächlich eine anhaltende Inflation zu erwarten? Zwar dürften die pandemiebedingten Teuerungen vorübergehender Natur sein; andere Faktoren, wie etwa wachsende Energiepreise oder steigende Löhne, könnten jedoch tatsächlich zu nachhaltigen Preissteigerungen führen. Wie die Lage einzuschätzen ist, lesen Sie im nachfolgenden Kommentar von Edouard Carmignac, Vorsitzender und Chief Investment Officer (CIO) bei Carmignac:
Brief von Carmignac: Unterinvestitionen in Ölförderung treiben Energiepreise – und die Inflation
Die Erwartungen der Anleger haben sich innerhalb nur eines Quartals grundlegend geändert. Wurde zuvor noch mit einem starken Wachstum und vorübergehendem Inflationsdruck gerechnet, herrscht nun Angst vor Stagflation, also vor einem schwachen Wachstum bei anhaltendem Inflationsdruck.
Wie ist die Situation einzuschätzen? Der Rückgang der Wachstumserwartungen ist für uns keine Überraschung, denn wir haben mit einer Wachstumsverlangsamung gerechnet. Besorgniserregender ist aus unserer Sicht die Zunahme des Inflationsdrucks und die Frage nach dessen Nachhaltigkeit. Der Preisdruck infolge der durch die Corona-Krise verursachten Störungen in den Produktionsketten ist vorübergehender Natur. So dürfte etwa der Mangel an Halbleitern, der die Produktion bei einer Vielzahl von Automobilherstellern zumindest teilweise lahmgelegt hat, bald durch die Wiedereröffnung der Testzentren in Malaysia behoben werden. Diese verfügen über große Bestände, welche nur noch zertifiziert werden müssen. Ähnliches gilt für die Überlastung der Häfen, die angesichts des Mangels an Komponenten in vielen Branchen zu Lieferengpässen führt.
Der Aufwärtsdruck auf die Energiepreise dürfte dagegen langfristig bestehen bleiben. Zwar sind die in den letzten Wochen verzeichneten Preissteigerungen das Resultat eines außergewöhnlichen Zusammentreffens von Trockenheit, schwachen Winden in Europa und der saisonalen Abschaltung von Gasproduktionsanlagen. Die Investitionen in die Förderung fossiler Brennstoffe waren in den vergangenen Jahren jedoch zu gering. In Verbindung mit der Bevorzugung grüner Energien wird das zwangsläufig dazu führen, dass die Energiepreise steigen. Ein positiver Effekt des Anstiegs der Preise traditioneller Energien ist zumindest, dass erneuerbare Energien wettbewerbsfähiger werden. Ob es zu anhaltendem Lohndruck kommen wird, ist schwieriger vorherzusagen. Einerseits bemühen sich Regierungen in vielen Ländern (von den USA bis China), die Ungleichheiten zu verringern, was Aufwärtsdruck bei den Löhnen von Geringverdienern zur Folge hat. Andererseits halten die Corona-Hilfen einige Menschen vom Arbeitsmarkt fern. Wird das Auslaufen dieser Hilfszahlungen ausreichen, um den Trend umzukehren?
Man sollte jedenfalls zur Kenntnis nehmen, dass sich die Inflation nach der Corona-Krise wahrscheinlich als hartnäckig erweisen wird. Dennoch gehen wir weiterhin davon aus, dass strukturelle (demografische, technologische) deflationäre Faktoren den Inflationsdruck mindern werden. Müssen wir die Aussichten auf eine moderate Inflation (von etwa 2%) fürchten? Sie würde die reale Schuldenlast verringern, die Verbraucher zum Konsum und die Unternehmen zu mehr Investitionen anregen und wäre zudem positiv für Aktienanlagen.
Edouard Carmignac, Vorsitzender und Chief Investment Officer (CIO) bei Carmignac