Die nächste EZB-Sitzung könnte ein Test für die EU-Institution werden
Zu einer Zeit, in der der Rücktritt des Bundesbankpräsidenten Jens Weidmann – eines unerbittlichen Kritikers der ultralockeren Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) – für Schlagzeilen sorgt, wird die EZB am 28. Oktober eine Sitzung abhalten, die aus einem anderen Grund entscheidend sein könnte.
In den letzten Wochen sind die Renditen von Staatsanleihen in Europa und den USA deutlich gestiegen, was die Erwartung der Märkte widerspiegelt, dass die Zentralbanken auf beiden Seiten des Atlantiks zunehmend aggressiver werden. In Europa deuten die Märkte für festverzinsliche Wertpapiere auf den Beginn des Zinserhöhungszyklus bereits Ende 2022 hin. Dies steht in klarem Widerspruch zur neuen Forward Guidance der EZB, da die Bedingungen dafür zu diesem Zeitpunkt noch nicht erfüllt sein werden. Mit anderen Worten: Die EZB muss auf ihrer nächsten Sitzung die Glaubwürdigkeit ihrer eigenen Zusagen verteidigen.
Man kann wohl davon ausgehen, dass die Notenbank versuchen wird, zu verhindern, dass sich die finanziellen Bedingungen in den kommenden Monaten und insbesondere unmittelbar nach dem derzeit geplanten Ende des Pandemie-Kaufprogramms der EZB (PEPP) im März 2022 abrupt verschlechtern. Ein realistisches Szenario, mit dem die Europäische Zentralbank dieses Ziel erreichen könnte, wäre die Ersetzung des PEPP durch ein kleineres und zeitlich begrenztes „Post-Pandemie“-Programm. In diesem Szenario würde der Übergang für die Zinsmärkte vom PEPP zum älteren Programm zum Ankauf von Vermögenswerten (APP) wesentlich reibungsloser verlaufen. Gleichzeitig würde ein neues, zeitlich befristetes Programm der EZB im Vergleich zum APP mehr Flexibilität bieten, um ihre Ziele zu erreichen. Die Europäische Zentralbank hat auch mehrfach angedeutet, dass sie beabsichtigt, zunächst ihre Anleihenkaufprogramme zu beenden, bevor sie die Zinssätze anhebt. Die Marktpreise zeigen jedoch: Auch diese Schrittfolge scheinen die Marktteilnehmer anzuzweifeln.
Aus diesen Gründen könnte die kommende EZB-Sitzung eine wichtige sein. Die Europäische Zentralbank könnte nicht nur ihre Prognosen bekräftigen, sondern auch im Vorfeld der entscheidenden Dezember-Sitzung mehr Klarheit über die Aussichten für Anleihekäufe in Europa schaffen.
Fixed-Income-Anleger stehen also vor einem kurzfristigen Dilemma. Weitere Vorsicht an den Zinsmärkten ist sicherlich angebracht, da der Inflationszyklus insbesondere in den USA immer noch unterschätzt werden könnte. Das würde wiederum zu einer härteren geldpolitischen Haltung führen. Gleichzeitig könnte sich die Europäische Zentralbank auf ihrer nächsten Sitzung für eine eher lockere Haltung entscheiden. Sie könnte andeuten, dass sie mit dem derzeitigen Pfad zu höheren Zinsen einverstanden ist, aber beschließen, den Beginn der Zinserhöhungen auf mindestens Anfang 2023 zu verschieben. Dies würde die europäischen Anleiherenditen wahrscheinlich zumindest vorübergehend wieder nach unten treiben.
Gergely Majoros, Mitglied des Anlageausschusses bei Carmignac