„Die Fed ist mit einer Situation konfrontiert, in der erheblicher Handlungsbedarf besteht! Die Inflationserwartungen steigen weiter an und die Wirtschaftsdaten, insbesondere auf der Nachfrageseite, kühlen sich nicht merklich ab.
Die wichtigste Frage für die Anleger vor der Sitzung in dieser Woche lautet daher: Wie sehr wird sich die Fed um Rezessionsrisiken und die Volatilität der Märkte kümmern, wenn ihre Priorität die Bekämpfung der Inflation zu sein scheint?
Nach den überraschend hohen Inflationsdaten für Mai sind die Chancen für eine Zinserhöhung um 0,75 Prozent deutlich gestiegen. Der Markt hat allein für die nächsten drei Sitzungen fast 2 Prozent an erwarteten Zinserhöhungen eingepreist, nämlich zwei Erhöhungen um 0,75 Prozent und eine weitere um 0,5 Prozent. Unserer Ansicht nach spricht jedoch nach wie vor viel für eine Anhebung um 0,5 Prozent in dieser Woche, da eine Anhebung um 0,75 Prozent die derzeitige Unsicherheit und Volatilität an den Zinsmärkten wahrscheinlich verstärken und nicht verringern würde. Dies hindert die Fed natürlich nicht, die Zinsen dann zu einem späteren Zeitpunkt um 0,75 Prozent zu erhöhen.
Gleichzeitig wird erwartet, dass die Fed ihre Inflationspolitik in den restriktiven Bereich verlagert. Bislang geht man davon aus, dass die Fed die Leitzinsen zügig auf den ‘neutralen‘ Wert (2,5 Prozent laut Survey of Economic Projections) zurückführen will, wohingegen sich der Endwert am Markt weiter nach oben bewegt hat und heute bei fast 4 Prozent liegt.
Die Fed hat also im Wesentlichen zwei Strategien. Sie kann entweder beschließen, in dieser Woche stärker zu werden, das heißt die Märkte zunächst zu erschrecken und den Schaden danach gegebenenfalls zu beheben, oder sie kann beschließen, heute weicher zu werden, aber alle verfügbaren Optionen für die absehbare Zukunft auf den Tisch zu legen, ähnlich wie bei der Sitzung im Februar.
In diesem Zusammenhang stehen die Anleger vor einem zunehmenden Dilemma: Einerseits haben die bereits erwarteten umfangreichen Straffungen dazu geführt, dass die Anleiherenditen in attraktive Bereiche gestiegen sind. So hat beispielsweise die Rendite 10-jähriger Staatsanleihen 3,3 Prozent erreicht. Zieht man die Inflationserwartungen von etwa 2,7 Prozent (10-jähriger Break-even) ab, so ergibt sich eine positive Realrendite von etwa 0,6 Prozent. Andererseits ist die Sichtbarkeit der künftigen Inflationsdynamik und damit der künftigen geldpolitischen Ausrichtung der Fed nach wie vor sehr gering.
Die derzeitige extreme Volatilität an den Zinsmärkten könnte viele Anleger davon abhalten, ein Long-Engagement an den US-Treasury-Märkten einzugehen. In Anbetracht der bereits eingepreisten erheblichen Straffung, die wiederum die Wahrscheinlichkeit einer US-Rezession im Jahr 2023 weiter erhöhen dürfte, sind die Zinsmärkte unserer Ansicht nach ihrem Wendepunkt deutlich näher gekommen.
Angesichts dieser Ungewissheit sind sich alle einig, dass die bemerkenswerte Rückkehr der Inflation die Arbeit der Fed und ihrer Beobachter sehr viel schwieriger machen wird als in den letzten zehn Jahren.“
Gergely Majoros, Mitglied des Investment Committees bei Carmignac