In vielen Industrieländern mangelt es an Arbeitskräften, während die Prognosen auf ein geringes oder sogar negatives Wirtschaftswachstum hindeuten. Dieser Mangel hat seinen Ursprung in den äußerst vielfältigen und bisher noch nicht vollständig erfassten Auswirkungen der Covid-19-Pandemie in Verbindung mit der Bevölkerungsalterung und dem neuen inflationären Umfeld.
Wie beispielsweise die von der US-Notenbank erarbeitete Grafik zeigt, hat die Pandemie die Zahl der Pensionierungen in den USA in die Höhe getrieben. Dies zeugt von einer stärkeren Bereitschaft der Menschen, ihren Lebensstil zu ändern, was wiederum durch zusätzliche Ersparnisse infolge der staatlichen Unterstützung der Haushalte und die zwangsweise Einschränkung des Konsums während der zwei Pandemiejahre möglich wurde. Die frühen Renteneintritte tragen zu einem deutlichen Rückgang der Erwerbsquote bei, der durch die Verringerung der Zahl der Doppelverdienerhaushalte und durch die Zunahme der Teilzeitarbeit noch verstärkt wird. Dies zeigt auch, dass der Arbeit heute weniger Wert beigemessen wird.
Die Pandemie hat außerdem die Telearbeit normalisiert. Nach der anfänglichen Begeisterung muss sich allerdings erst noch erweisen, wie hoch die Produktivität bei dieser Arbeitsform ist. Jeder Produktivitätsverlust würde einen erhöhten Bedarf an Arbeitskräften bedeuten. Doch die Lage ist bereits jetzt angespannt, da offenbar viele Arbeitnehmer aufgrund von Long-Covid-Symptomen nicht verfügbar sind.
Abgesehen von diesem soziologischen Aspekt hat Covid-19 auch die Zuwanderung deutlich verringert. Wie lässt sich die Migrationspolitik in Anbetracht der Relokalisierung strategisch wichtiger Produktionskapazitäten und einer gleichzeitigen Alterung der Gesellschaft, die das Arbeitskräfteangebot schmälert, optimieren? Wie lange sollten Menschen vor dem Hintergrund des demografischen Wandels berufstätig sein? Der Fall Japans, in dem Demografie, Vollbeschäftigung und eine schleppende Konjunktur aufeinandertrafen, sollte uns nachdenklich stimmen.
Tatsächlich scheint der Arbeitsmarkt in Zeiten der Inflation recht lange robust zu bleiben, wenn es zu einem Wirtschaftsabschwung – oder sogar einer Rezession – kommt. Denn das durch Preiserhöhungen ermöglichte Umsatzwachstum der Unternehmen verschleiert zunächst die Realität des schwächeren Verkaufsvolumens, wodurch die Entscheidung zu Einsparungen auf Angebotsseite, insbesondere mittels Entlassungen, hinausgezögert wird. Bei einer inflationären Rezession findet die Anpassung des Arbeitsmarkts mit Verzögerung statt und fällt dann umso drastischer aus.
Die unvermeidliche Rückkehr der schwierigen Monatsenden und die Berücksichtigung der bevorstehenden Verlangsamung werden zu einer teilweisen Normalisierung des Arbeitsmarktes beitragen. Dadurch wird sich allerdings weder an der neuen Einstellung zur Arbeit noch an der Überalterung der Bevölkerung etwas ändern. Der Arbeitskräftemangel wird somit aus strukturellen Gründen bestehen bleiben.