Der Index „MOVE“ ermöglicht es, das Maß an Ungewissheit auf den Märkten für US-Staatsanleihen einzuschätzen. Er basiert auf den Markterwartungen hinsichtlich der erwarteten Bewegungen der US-Zinskurve in den kommenden Wochen. Der Index „MOVE“ ist für Anleihen, was der „VIX“ für Aktien ist.
Die Volatilität der US-Zinsen war in den in den letzten zwölf Monaten ausgesprochen hoch. Der MOVE-Index erreichte ein Niveau, das mit historischen Krisenzeiten in Verbindung gebracht wird wie beispielsweise die Asien-Krise, das Platzen der Internetblase, die Weltfinanzkrise 2008 und die COVID-Pandemie (Siehe: Grafik).
Warum war die Volatilität an den Anleihenmärkten so hoch?
Der stärkste Inflationsanstieg seit 40 Jahren und das Zögern der Fed1 führten zu hoher Unsicherheit in Bezug auf den Umfang und die Dauer der Zinserhöhungen sowie auf den Zeitpunkt, zu dem die Zinssätze wieder ein restriktives Niveau2 erreichen. Aufgrund dieser Ungewissheit verzeichnete der MOVE-Index eine atypische Entwicklung. Denn gewöhnlich geht die Anleihenvolatilität umso stärker zurück (schwarze Pfeile), je weiter der geldpolitische Straffungszyklus3 fortschreitet: Zum einen nähern sich die Leitzinsen ihrem Endniveau an und zum anderen tendieren die längerfristigen Zinsen dazu, angesichts des fortschreitenden Konjunkturzyklus und der damit einhergehenden schwächeren Wachstumsaussichten ihren Höchststand zu erreichen.
Das war in diesem Straffungszyklus nicht der Fall (roter Pfeil) beziehungsweise erst dann, als einige US-Regionalbanken in Schieflage gerieten und die Aussicht bestand, dass die Fed diesen in vielerlei Hinsicht außergewöhnlichen geldpolitischen Straffungszyklus3 beendet. Seitdem war die Unsicherheit an den Anleihenmärkten tendenziell rückläufig, und diese Dynamik wurde durch den Rückgang der Volatilität noch verstärkt.
Außerdem ist zu erwarten, dass das durch außergewöhnlich hohe Volatilität geprägte Umfeld wieder ins Gleichgewicht kommt: Die ungebremsten Leitzinserhöhungen neigen sich ihrem Ende zu, die Disinflation ist in vollem Gange (zumal die Konjunktur langsam, aber sicher abflaut) und Diversifizierung ist wieder so wirksam wie früher. In der kommenden Marktphase könnte es sich anbieten, Staatsanleihen der Kernländer zu kaufen.
Dennoch erscheint es illusorisch, dass der MOVE-Index wieder auf die durchschnittlichen Niveaus der letzten zehn Jahre (bei rund 75, graue Linie) zurückgeht. Denn zum einen wurden die beispiellosen Unterstützungsmaßnahmen (insbesondere die quantitative Lockerung4), die die Volatilität ausgebremst hatten, beendet, und zum anderen ist das kommende Inflationsumfeld weit weniger günstig – aufgrund der Art der Inflation und des Risikos, dass es sowohl an der Geld- als auch an der Haushaltsfront zu einem Umschwung kommen könnte, bevor die Inflation wieder voll im Griff ist.
Das bedeutet, dass der Gleichgewichtswert in den kommenden Jahren wohl näher an dem Niveau von vor der Weltfinanzkrise liegen wird – also bei rund 100 (schwarze Linie) – was täglichen Zinsschwankungen von üblicherweise +/- 6 Bp. entspricht.
Das Konjunkturumfeld ist somit günstig für Staatsanleihen, insbesondere bei mittleren und langen Laufzeiten, erfordert aber strukturell ein aktives Management – die bestmögliche Methode, um Volatilität mit Anlagechancen zu verbinden.
Der MOVE-Index wird auf der Grundlage der impliziten Volatilität der Märkte für einmonatige Optionen an verschiedenen Punkten der US-Zinskurve berechnet. Er fasst die Volatilität an den verschiedenen Kurvenpunkten zusammen und gewichtet sie mit 20% für 2-jährige US-Zinsen, 20% für 5-jährige Zinsen, 40% für 10-jährige Zinsen und 20% für 30-jährige Zinsen.
Je höher der Indexstand, desto größer ist die Schwankungsbreite der erwarteten Zinsen und damit auch die Ungewissheit. Das bedeutet, dass der Anstieg des MOVE-Index von 50 im Juni 2021 auf 130 heute eine deutlich höhere Ungewissheit in Bezug auf die Bandbreite der Zinsschwankungen impliziert.
Der Indexstand ermöglicht Rückschlüsse auf den Umfang der von den Märkten erwarteten Zinsschwankungen; ein Niveau von 130 entspricht erwarteten täglichen Schwankungen von + oder – 8 Basispunkten (ohne Extremrisiken). Im Gegensatz dazu lagen die täglichen Schwankungen in den letzten 20 Jahren bei durchschnittlich +/- 3 Basispunkten. Dies spiegelt also die Phase der Unsicherheit, in der wir uns gerade befinden, gut wider!
1FED: Federal Reserve Board (US-Notenbank)
2Restriktive Zinsen entsprechen positiven Realzinsen.
3Geldpolitische Straffung: Maßnahme der Zentralbanken, um eine sich überhitzende Konjunktur, die einen Inflationsschub befürchten lässt, abzukühlen. Bei der geldpolitischen Straffung werden die Leitzinsen angehoben und den Märkten wird weniger Liquidität zur Verfügung gestellt.
4Quantitative Lockerung: „Quantitative Easing“ (QE) (auf Deutsch: „Quantitative Lockerung“) bezeichnet eine Geldpolitik, bei der eine Zentralbank umfangreiche Käufe von Staatsanleihen oder anderen Finanzinstrumenten tätigt, um Geld in die Wirtschaft zu pumpen und das Wachstum anzukurbeln.