„Die prekäre Lage der US-Wirtschaft wird in Jackson Hole, dem jährlichen Treffen der Zentralbanken in Wyoming, deutlich sichtbar. Die Augen der Anleger werden fest auf US-Notenbankchef Jerome Powell gerichtet sein, wenn er am Freitag das Wort ergreift.
Die US-Wirtschaft schwächelt. Die Verbraucher ziehen sich zurück, aber sie sind nicht von einer Klippe gestürzt, und es ist noch nicht klar, ob sich der Arbeitsmarkt nur abkühlt oder ob es sich um eine bedeutendere Entwicklung handelt. Und da die Erzeuger- und Verbraucherinflation das Ziel der Federal Reserve erreicht hat oder sich diesem annähert, ist es wahrscheinlich, dass die US-Notenbank das Ende ihrer abwartenden Haltung einläuten und den Weg für die Aufhebung einiger geldpolitischer Beschränkungen ebnen wird.
Nachdem Powell die Leitzinsen mehr als ein Jahr lang auf einem 20-Jahres-Hoch gehalten hat, wird er voraussichtlich auf der Sitzung am 18. September 2024 grünes Licht für eine Zinssenkung geben. Dies wird den Beginn eines geldpolitischen Lockerungszyklus einleiten, für den wir eine Zinssenkung um 25 Basispunkte pro Sitzung für den Rest des Jahres erwarten. Er hat sich Zeit gelassen, wohl aus dem Wunsch heraus, angesichts der negativen Auswirkungen auf das Vertrauen der Verbraucher und die Wirtschaft und damit auf die Risikoprämien von Vermögenswerten mehrere Richtungsänderungen zu vermeiden. Nun, da alle Kriterien erfüllt sind, wird die Fed hoffen, dass sie eine ‚Feinabstimmung‘ oder einen ‚One-and-done‘-Ansatz vermeiden und stattdessen einen echten Lockerungszyklus einleiten kann.
Was eine Rezession in den USA angeht, so glauben wir immer noch, dass sie abgewendet werden kann. Durch die Lockerung der Kreditvergabestandards und die Senkung der Hypothekenzinsen kommen die Banken dem Kurs der Fed bereits zuvor, was wiederum der Wirtschaft helfen dürfte. Aber der Wettlauf zwischen der rezessiven Dynamik (weniger Arbeitsplätze werden geschaffen, die Wirtschaftsdaten überraschen nach unten) und der politischen Lockerung hat begonnen. Und das eine wird das andere überholen und bestimmen, wo die Wirtschaft landen wird. Vorerst bedeuten die innenpolitische Unsicherheit und die zunehmende Wahrscheinlichkeit einer gespaltenen Regierung nach den Wahlen im November, dass die meiste Arbeit auf die Geldpolitik zukommen wird.
Die Fed hat die Vielzahl der Risikofaktoren erkannt und ist bereits zu einem ‚ausgewogeneren Ansatz‘ bei der Erfüllung ihres Doppelmandats bezüglich Beschäftigung und Preisstabilität übergegangen. Angesichts des aktuellen wirtschaftlichen Hintergrunds erwarten wir, dass die Institution nach den anfänglichen schrittweisen Zinssenkungen um 25 Basispunkte (bps) sowohl von der Haushaltsentwicklung als auch von der Entwicklung des Arbeitsmarktes abhängig sein wird.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt liegt das Hauptrisiko in der offensichtlichen Divergenz zwischen dem, was Powell in Bezug auf das Tempo signalisieren soll (eine Senkung zu Beginn und dann eine Reihe von Senkungen um 25 Basispunkte) und dem, was einige Marktteilnehmer erwarten (50 Basispunkte für die September-Sitzung – was wir angesichts der Wirtschaftslage für optimistisch halten). Jerome Powell, der sich dieses Zwiespalts – und der sensiblen Lage der Märkte – bewusst ist, wird seine Worte zweifellos mit Bedacht wählen.
Insgesamt dürften die Aktienmärkte positiv auf jeden Hinweis und jede Bestätigung reagieren, dass die geldpolitische Lockerung in den USA bald beginnen wird – insbesondere die so genannten Anleihen-Proxys, die typischerweise in den Bereichen Gesundheitswesen, Basiskonsumgüter oder Immobilien zu finden sind. Die Märkte für Staatsanleihen könnten sich hingegen abkühlen, da sie relativ große Hoffnungen in eine mögliche Zinssenkung durch die Fed bereits im September setzen.“
Von Kevin Thozet, Mitglied des Investment-Komitees bei Carmignac