Die EZB scheint auf Autopilot zu laufen.
Christine Lagarde wird wahrscheinlich eine ‚datenabhängige‘, ‚sitzungsbezogene‘ Rhetorik beibehalten. Und es wird allgemein erwartet, dass sie ihre sechste Zinssenkung um 25 Basispunkte in fast ebenso vielen Sitzungen vornimmt und die Leitzinsen auf 2,5 Prozent bringt.
Doch der Schein kann trügen. Es steht viel auf dem Spiel und die Frankfurter Institution steht vor einem Dilemma: Soll sie auf die Bremse treten und ihren Lockerungszyklus im Vorfeld einer möglichen großen Wende unterbrechen? Sollte sie ihren Weg in Richtung des neutralen Zinsniveaus beschleunigen, da die Wachstumsaussichten besorgniserregend sind? Oder hält er an dem derzeitigen Tempo fest und hofft, dass es nur wenige Hindernisse geben wird?
In den letzten Wochen haben die Mitglieder des EZB-Rates unterschiedliche Ansichten vertreten.
Einige argumentieren, dass die Geldpolitik nicht mehr restriktiv ist und dass der optimale neutrale Zinssatz höher ist als in der Vergangenheit. Der Anstieg der Hypotheken- und Unternehmenskredite sowie die positiven Realeinkommen stützen diese Wachstumsaussichten für 2025. Natürlich plädieren diese ‚Falken‘ für eine Pause bei den Zinssenkungen.
Die ‚Tauben‘ hingegen argumentieren, dass sich Inflation und Lohnwachstum auf das Ziel zubewegen und dass weiterhin Risiken für das Wirtschaftswachstum bestehen. Sie plädieren für eine schnelle Annäherung an einen Leitzins von 2 Prozent (oder weniger).
Die von Christine Lagarde oft vertretene Richtung ist nicht mehr klar.
Die Wahlen in Deutschland könnten zu einer stärkeren Lockerung der Finanzpolitik führen, die Verteidigung der Ukraine wird sich stärker auf Europa stützen und Trumps Politik sorgt für Unsicherheit.
Die EZB wird auch ihre vierteljährlichen Wachstums- und Inflationsprognosen vorlegen. In Anbetracht der hohen Öl- und Gaspreise, des schwachen Euro und der Tatsache, dass zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Prognosen weniger Zinssenkungen eingepreist waren, werden sie wahrscheinlich ein Aufwärtsrisiko für die Inflation und ein Abwärtsrisiko für das Wachstum aufzeigen.
In dieser prekären Situation kommt es auf das Tempo an. Wer zu schnell handelt, riskiert eine Überhitzung der Wirtschaft und Inflation. Wer zu langsam vorgeht, riskiert eine Rezession.
Die Angleichung der Leitzinsen an den neutralen Zinssatz ist daher gleichbedeutend mit der Suche nach einer stabilen Reisegeschwindigkeit. Aber auch das ist Gegenstand vieler Diskussionen (der neutrale Zinssatz liegt derzeit irgendwo zwischen 1,75 Prozent und 2,25 Prozent).
Die Marktteilnehmer interessieren sich daher vor allem für das künftige Tempo der Zinssenkungen. Die Zentralbank muss jedoch vorsichtig vorgehen, sonst riskiert sie eine Umkehrung des Konjunkturzyklus.
Was bedeutet das für uns?
Die Märkte erwarten, dass die Leitzinsen in diesem Sommer ein neutrales Niveau von 2 Prozent erreichen werden. Und wenn wir uns dem neutralen Satz nähern, wird sich das Tempo der Zinssenkungen wahrscheinlich verlangsamen.
Mit anderen Worten: Die Frage ist, ob die 2-Prozent-Marke rasch erreicht wird – das heißt: bis Juli – oder ob es länger dauert, bis sie erreicht wird – das heißt: keine Änderung der Leitzinsen im April und Juni.
Wir glauben, dass weitere drei Zinssenkungen das Minimum sind, das sie in diesem Jahr vorsehen werden.
In einem solchen Umfeld bevorzugen wir Core-Staatsanleihen mit kurzen bis mittleren Laufzeiten (2 bis 5 Jahre), da sie am empfindlichsten auf Änderungen der geldpolitischen Erwartungen reagieren. Dies steht im Gegensatz zu kurzfristigen Laufzeiten, die eher Ausdruck des Zeitpunkts von Zinssenkungen sind, oder längerfristigen Laufzeiten, die auf die Entwicklung der Defizite reagieren.
Eine solche Position kann als sicherer Hafen dienen, sollte das Wirtschaftswachstum trügerisch sein. Sie lässt sich daher gut mit leistungsfähigeren Anlagen wie Krediten in einem festverzinslichen Portfolio oder einer Mischung aus Krediten und Aktien in einem anlageübergreifenden Portfolio kombinieren.
Von Kevin Thozet, Mitglied des Investment-Komitees bei Carmignac