Die Öl- und Gaspreise sind rückläufig. Der Euro ist gegenüber dem US-Dollar seit den diesjährigen Tiefstständen um 10 Prozent gestiegen. Die Inflationsaussichten über fünf Jahre liegen bestenfalls bei 1,7 Prozent (gemäß Inflationsswaps). Und die Entwicklung des Vertrauens sowohl der Unternehmen als auch der Haushalte ist ein schlechtes Omen für die Wachstumserwartungen.
Alles deutet auf niedrigere Leitzinsen hin.
Die Märkte haben in dieser Woche bereits einen weiteren Schritt in Richtung Lockerung der europäischen Geldpolitik eingepreist, wobei eine Zinssenkung um 25 Basispunkte erwartet wird. Damit wird der Leitzins von 2,5 Prozent auf 2,25 Prozent sinken.
Aber auch nach der Sitzung am Donnerstag bleiben geldpolitische Entscheidungen in der Schwebe. Die vorherrschende Ungewissheit macht es unmöglich, klare zukunftsgerichtete Leitlinien vorzugeben.
Die erste Stufe des Szenarios eines von den USA angeführten Handelskriegs ist eingetreten. Trumps Drohung mit einer Importsteuer von 20 Prozent liegt eindeutig am oberen Ende der möglichen Szenarien, die sich die Märkte ausgemalt hatten. Selbst eine optimistische Rücknahme der Zölle um 50 Prozent wäre ein massiver Schlag für die europäische Wirtschaft. Vor diesem Hintergrund sind die Inflationserwartungen zusammen mit den Ölpreisen gesunken und die maßvolle Reaktion der europäischen Behörden, die bereit sind, mit den US-Behörden zu verhandeln, deutet auf einen geringeren Aufwärtsschock bei den Verbraucherpreisen hin.
In diesem prekären Umfeld ist es schwer vorstellbar, dass der Leitzins der Europäischen Zentralbank (EZB) bis zum Sommer über der 2-Prozent-Schwelle bleibt. Die Kombination aus sinkenden Inflationserwartungen (und dem Risiko, dass die Inflation das 2-Prozent-Ziel verfehlt) und der ‚Taylor-Regel‘ führt dazu, dass der faire Wert der Einlagenzinsen um 1 Prozent unter dem heutigen Stand liegt.
Wie wir alle ist auch die EZB mit der größten politischen Unsicherheit konfrontiert, die es je gegeben hat. Der potenzielle Aufwärtsschock für das Wachstum durch Friedrich Mertz' Plan und die Angebotsengpässe durch die Zölle legen nahe, dass die EZB die Zinsen in einem engen bis neutralen Bereich halten sollte. Die Realität sieht jedoch so aus, dass die Schmerzen, die durch die Politik von Donald Trump und Peter Navarro und das verlorene Vertrauen der Haushalte und Unternehmen verursacht werden, zuerst zu spüren sein werden. Das ist eine ziemliche Zwickmühle.
Vor diesem Hintergrund ist eine weitere Versteilerung der europäischen Renditekurve und eine Präferenz für inflationsgebundene Anleihen im EUR-Staatsanleihesegment zu erwarten.
Das kurze Ende der Renditekurve dürfte im Zuge der Zinssenkungen von Lagarde nach unten tendieren. Die Renditen längerer Laufzeiten dürften derweil tendenziell steigen, da die Finanzierung kurzfristiger fiskalischer Unterstützung und ein langfristiger Paradigmenwechsel die Ausgabe von mehr Staatsanleihen und verbesserte Wirtschaftsaussichten erfordern.
Auch die Realrenditen sind attraktiv, insbesondere angesichts des Aufwärtspotenzials, das sie bieten. Entweder gerät das Wachstum ins Stocken und die Renditen inflationsgeschützter Anleihen, die sich seit Jahresbeginn weiter in den positiven Bereich bewegt haben, dürften etwas nachgeben. Oder die Realkernzinsen sinken bei höheren Inflationserwartungen für die Region, was die fiskalische Reaktion der lokalen Behörden, den stagflationären Charakter der Zölle und den zunehmenden Lokalismus auf der ganzen Welt widerspiegeln.
Von Kevin Thozet, Mitglied des Investment-Komitees bei Carmignac