In den letzten Jahren wurde das Britische Pfund stark von der Wahrnehmung politischer Risiken beeinflusst. Die Erleichterung nach dem Referendum Schottlands über die Unabhängigkeit im Jahr 2014 erwies sich als kurzlebig. Im Jahr 2016 überraschte das Vereinigte Königreich die Welt, als es knapp für den Austritt aus der Europäischen Union stimmte. Seitdem hat das Pfund gelitten, wann immer die Anleger das Gefühl hatten, es könnte einen ungeordneten Brexit geben.
Wie unser "Chart der Woche" zeigt, ist der Rückgang des Pfunds gegenüber dem Euro in den letzten Wochen jedoch längerfristig gesehen nicht ganz so dramatisch gewesen. Das Säbelrasseln des neuen Premierministers Boris Johnson und seinem Team hat einen Tribut gefordert, aber einen relativ bescheidenen. Teilweise liegt das daran, dass nach dem Referendum bereits viel Risiko eingepreist wurde, falls Großbritannien die EU ohne ein Abkommen verlässt. Aber natürlich könnte es für das Pfund in den kommenden Wochen noch um einiges schlimmer werden. Das britische Parlament soll erst am 3. September aus der Sommerpause zurückkehren. Bis dahin werden zweifellos eine Vielzahl an mehr oder weniger plausiblen Szenarien von Herrn Johnson und seinen Verbündeten diskutiert werden, wie ein "No-Deal"-Brexit gegen den parlamentarischen Widerstand durchgesetzt werden könnte.
Aus unserer Sicht hat das Risiko eines ungeordneten "No-Deal"-Brexits bereits im Frühjahr seinen Höhepunkt erreicht. Anfang des Jahres warnten wir: "Mit jedem Tag, der vergeht, nähert sich Großbritannien einem chaotischen, ungeordneten Brexit weiter!" (siehe CIO Flash: Brexit – keinen Schritt weiter vom 16.01.2019). Nun wäre wohl eher ein guter Zeitpunkt, für "ruhig bleiben und einfach weitermachen", wie einst ein berühmter Kriegsslogan lautete. Nach der weitgehend ungeschriebenen Verfassung Großbritanniens liegt die Souveränität fest in den Händen des Parlaments. Vernon Bogdanor1), ein führender Verfassungsexperte, betonte einst: "Bis 1975 (....) wusste die britische Verfassung nichts vom Volk." Das Stoppen eines "No Deals" wird nicht einfach sein, liegt aber definitiv im Bereich des Möglichen, sofern das Parlament dazu entschlossen ist.2) Im Gegensatz zur Situation im Frühjahr gibt es jetzt viele Hinweise darauf, dass das Parlament sowohl über die Mittel als auch über den Willen dazu verfügen wird.
1) Bogdanor, V. (2009), The New British Constitution, Hart Publishing, S. 172
2) https://www.theguardian.com/commentisfree/2019/aug/06/mps-thwart-boris-johnson-no-deal