DWS CIO Flash: Probleme vorprogrammiert

Boris Johnsons halbherziger Versuch das Parlament zu suspendieren, scheint prädestiniert zu sein, nach hinten loszugehen. DWS | 03.09.2019 11:11 Uhr
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Nach wochenlangen Spekulationen hat der britische Premierminister Boris Johnson beschlossen, das Parlament für bis zu fünf Wochen in den Zwangsurlaub zu schicken. Das ist ziemlich radikal, zumal das Parlament seit Johnsons Amtsantritt als Premierminister kaum getagt hat und erst nächste Woche aus der Sommerpause zurückkehren wird. Aus Sicht der Anleger ist die Maßnahme aus folgenden Gründen jedoch weniger besorgniserregend, als es die Schlagzeilen der Zeitungen vermuten lassen.

Erstens, weil Johnsons Team durchaus noch radikalere Schritte öffentlich diskutiert hatte. Beispielsweise stand zeitweise im Raum, das Parlament gleich über den avisierten Brexit-Termin am 31. Oktober hinaus zu suspendieren. Verglichen dazu scheint der nun anberaumte Zwangsurlaub geradezu moderat. Stattdessen sollen die Parlamentssitzungen zwischen dem 9. September und 14. Oktober nun ganz ausgesetzt werden. Während dieses Zeitraums reisen die Mitglieder des House of Commons typischerweise ohnehin zu verschiedenen Parteikonferenzen. Die tatsächliche Verringerung der möglichen Sitzungstage dürfte daher lediglich fünf oder sechs betragen.

Zweitens wird der Plan bereits vor verschiedenen Gerichten angefochten. Er ist klar darauf ausgerichtet, Versuche von Abgeordneten zu behindern, einen ungeordneten "No-Deal Brexit" zu blockieren. Die Gerichte könnten aber durchaus zumindest eine einstweilige Verfügung erlassen, die den Zwangsurlaub stoppt, während die Angelegenheit anhängig ist. Johnson würde sich dann in einer Situation wiederfinden, in der die Abgeordneten an genau jenen Terminen tagen, die er ihnen gerade wegzunehmen versucht.

Drittens gibt es bereits Indizien, dass Johnson die Stimmung in der breiteren Wählerschaft falsch eingeschätzt hat. Das wäre wenig überraschend angesichts der Tatsache, wie stark die Souveränität des Parlaments in der britischen Tradition verankert ist. Jedenfalls hat es Johnson bereits geschafft, die Opposition zu mobilisieren und zu einen. Innerhalb von 24 Stunden nach Johnsons Ankündigung hat eine Petition an das Parlament, selbiges nicht in den Zwangsurlaub zu schicken, mehr als eine Million Unterschriften erhalten. (https://petitionmap.unboxedconsulting.com/?petition=269157) Zum Vergleich: Eine parlamentarische Petition mit der Aufforderung, "die EU ohne ein Abkommen im März 2019 zur verlassen", kam damals auf gerade einmal gut 600.000 Unterschriften. (https://petition.parliament.uk/petitions/229963) Ein weiteres Begehren, um "Artikel 50 aufzuheben und in der EU zu bleiben", wurde dagegen von mehr als sechs Millionen Bürgern unterzeichnet. Wankelmütige Abgeordnete werden zweifellos ein wachsames Auge auf die Stimmung in ihren eigenen Wahlkreisen werfen. Vor allem dort, wo die eigene Mehrheit bei der letzten Parlamentswahl verglichen zur Anzahl der Unterschriften für die jüngste Petition in ihrem Wahlkreis ziemlich knapp war.

Viertens hat Johnson die Stimmung in seiner eigenen Partei eindeutig falsch eingeschätzt. Am Donnerstag erklärte Ruth Davidson ihren Rücktritt als Vorsitzende der schottischen Konservativen. Nach den letzten Parlamentswahlen hätten die Tories ohne die 12 Sitze aus Schottland bei weitem keine Mehrheit in Westminster erreicht. Diese Erfolge haben sie größtenteils Ruth Davidson zu verdanken. Am selben Tag kündigte auch George Young dem Team Johnson die Zusammenarbeit im House of Lords auf. Lord Young ist einerfahrener Tory-Politiker, der in beiden Häusern sehr beliebt und respektiert ist und zudem nicht zu den üblichen proeuropäischen Verdächtigen zählt. Für ihn scheinen der Zeitpunkt und die Dauer der Vertagung aus prinzipiellen Gründen fragwürdig zu sein. Lord Young spricht vermutlich auch für viele Andere in seiner Partei, wenn er vor "Risiken einer Untergrabung der grundlegenden Rolle des Parlaments in einem kritischen Moment unserer Geschichte" warnt. (https://www.politicshome.com/news/uk/political-parties/conservative-party/boris-johnson/news/106155/blow-boris-johnson-tory)

Fünftens wird immer deutlicher, dass Johnson auch nach sechs Wochen noch immer keine klare und kohärente Strategie für die Durchführung des Brexits hat. Stattdessen scheinen er und sein Team sich für zwei eher widersprüchliche Ziele entschieden zu haben. Eins davon ist, Brexit auf "Gedeih und Verderb" bis zum 31. Oktober zu liefern, um jene Wähler zu halten, die sich sonst womöglich der kürzlich gegründeten Brexit-Partei von Nigel Farage zuwenden. Das zweite Ziel scheint zu sein, das Austrittsabkommen neu zu verhandeln und einen geordneten Brexit durchzuführen. Tatsächlich sorgt Johnson aber durch eine Suspendierung des Parlaments für bis zu fünf Wochen dafür, dass er eines dieser Ziele mit hoher Wahrscheinlichkeit verfehlen wird – wenn nicht sogar beide. Das Timing der Suspendierung scheint so gewählt zu sein, dass die Abgeordneten gerade genug Zeit haben, nach dem 14. Oktober über eine neue Version des Abkommens abzustimmen, jedoch nicht genug, um sonst viel Unheil anrichten zu können. Johnsons Berater scheinen übersehen zu haben, dass auch die Verabschiedung der notwendigen Gesetze zur Ermöglichung eines geregelten Brexits mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mehr als zwei Wochen erfordern wird. (https://www.instituteforgovernment.org.uk/publications/parliament-role-before-31-october-brexit) Zudem müsste jede überarbeitete Vereinbarung auch von den europäischen Partnern ratifiziert werden. Jeglicher Johnson Deal würde daher voraussichtlich eine technische Verlängerung des Brexit-Datums über den 31. Oktober hinaus erfordern – und damit viele Brexit-Wähler noch weiter verärgern.

Sechstens und wohl am folgenschwersten, dürften Johnson und sein Team die Stimmung in den meisten EU-Hauptstädten fehlinterpretiert haben. Die europäischen Entscheidungsträger scheinen das ganze Brexit-Drama genauso satt zu haben, wie die britischen Wähler. Sollte es zu einem "No-Deal–Brexit" kommen, würden auf dem europäischen Festland wohl vermutlich nur sehr wenige Wähler oder Unternehmen den EU-Politikern hierfür die Schuld zuschreiben. Vielmehr wird ein ungeordneter "No-Deal– Brexit" zunehmend als selbstverschuldeter britischer Unfall angesehen. Und zwar ein Unfall, so meinen inzwischen viele, der London passieren könnte, ganz egal wie sich die EU in den kommenden Wochen verhält. In Brüssel und anderswo scheint der Fokus daher eindeutig auf der Minimierung der Kollateralschäden zu liegen. Daher beharrt die EU auf dem irischen "Backstop", den sie als ihre Versicherung ansieht, um Grenzzäune in Irland zu verhindern und gleichzeitig die Integrität des Binnenmarktes zu sichern. Ein geschickteres diplomatisches Vorgehen seitens der Briten hätte in den vergangenen Monaten vielleicht für ein stückweites Entgegenkommen sorgen können. Jedoch befürchten die 27 EU-Staaten angesichts der Erfahrungen der letzten drei Jahre zurecht, dass alles, was sie mit der britischen Regierung verhandeln, danach im Unterhaus abgelehnt wird. Mit der Suspendierung des Parlaments offenbart Johnson die Schwäche seiner Machtposition. Der Zwangsurlaub in Westminster dürfte es daher eher schwieriger als einfacher machen, die EU zu Zugeständnissen beim irischen "Backstop" zu bewegen – welche vermutlich ohnehin eher begrenzt wären.

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