Bei den neuen gesamtwirtschaftlichen Projektionen rechnen wir nur mit geringfügigen Änderungen. Die BIP-Schätzung für das laufende und die Inflationsrate für das kommende Jahr dürften – allein aus technischen Gründen – etwas nach oben revidiert werden. Viel interessanter dürfte sein, mit welcher Inflationsrate die EZB für 2022 rechnet. Wir erwarten eine politisch korrekte "1,8“. Ehrlicher, und wirklich überraschend, wäre aber eine "1,4“.
Spannender noch dürften die Aussagen zum „strategischen Review“ werden, welchen Frau Lagarde bereits mehrfach angedeutet hat - die Überprüfung der geldpolitischen Ziele und Instrumente der EZB. Die neue Präsidentin gilt als unkonventionelle Denkerin. Daher gehen wir davon aus, dass der Auftrag dieses Reviews eher weit gefasst und der Zeitplan großzügig geschnitten ist; beispielsweise bis zum Sommer kommenden Jahres. Solange kann die EZB ihre Anleihekäufe fortsetzen, ohne neue Beschlüsse fassen zu müssen.
Aber auch für den Zeitraum danach gehen wir davon aus, dass sich an der geldpolitischen Ausrichtung der EZB nicht so schrecklich viel wird ändern können. Das Mandat einer Zentralbank, insbesondere der Europäischen, ist eng geschnitten, die europäischen Verträge lassen keine großen Experimente zu. Sowohl eine substanzielle Änderung des Inflationsziels als auch eine stark an Klimazielen ausgerichtete Geldpolitik geben die Verträge nicht her. Den Instrumentenkasten hat die EZB bereits in den vergangenen Jahren stark ausgeweitet. Insofern wird ihr nichts anderes übrig bleiben als auf „mehr vom selben“ zu setzen und sich in Geduld zu üben, dass dieses Mehr dann auch endlich seine Wirkung entfaltet.
Martin Moryson, Chefvolkswirt Europa, DWS