Rohöl unter null: Was der Einbruch des WTI auf fast minus 40 Dollar bedeutet

Womöglich passt es zum Zeitgeist. In den letzten zehn Jahren mussten sich die Anleger an den Gedanken gewöhnen, dass die nominalen Zinssätze unter null sinken - etwas, was Ökonomen einst für unmöglich hielten. Könnte Öl der nächste Vermögenswert sein, bei dem negative Preise zur neuen Normalität werden? DWS | 21.04.2020 18:35 Uhr
© Photo by Zbynek Burival on Unsplash
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Archiv-Beitrag: Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Das glauben wir nicht. Sicherlich könnte es weitere vorübergehende Marktverwerfungen wie die des vergangenen Montags geben. Um zu verstehen, was passiert ist, braucht man ein wenig Hintergrundwissen darüber, wie der Markt für physisches Rohöl funktioniert. Öl wird meist über Futures-Kontrakte (Terminkontrakte) gehandelt, die jeden Monat auslaufen. Wenn ein Futures-Kontrakt ausläuft, muss der Käufer kurz danach die physische Lieferung des Vermögenswertes vom Verkäufer entgegennehmen. Entscheidend ist, dass die Lieferung an einem im Vertrag festgelegten Lieferort erfolgen muss. Im Falle von West Texas Intermediate (WTI), dem US-Benchmark-Kontrakt für den Ölpreis, ist dieser Standort die Kleinstadt Cushing in Oklahoma, auch bekannt als die "Pipeline Kreuzung der Welt".

Am Montag fielen die Preise für den auslaufenden WTI-Terminkontrakt zum ersten Mal in der Geschichte unter null. Das bedeutet, dass Produzenten oder Händler andere Marktteilnehmer dafür bezahlen mussten, ihnen das Öl zum nächsten Liefertermin abzunehmen. Die Lagerkapazität in Cushing ist begrenzt und wird in der Regel über langfristige Pachtverträge vermietet. Infolgedessen konnten nur diejenigen, die freie Lagerkapazitäten gemietet hatten, die Terminkontrakte kaufen. Diese Marktteilnehmer werden wahrscheinlich einen außerordentlichen Gewinn machen können. Denn sie werden wohl bald in der Lage sein, das zu minus 30 oder 40 US-Dollar gekaufte Öl für etwa 20 Dollar zu verkaufen, da bei diesem Preis derzeit der nächste WTI-Terminkontrakt (Juni-Kontrakt) gehandelt wird.[1]

Aus der Episode kann man drei Dinge lernen:

Erstens verdeutlicht sie den anhaltenden Druck auf die Ölpreise, trotz der jüngsten Vereinbarung zwischen den OPEC+-Ländern und anderen Ölproduzenten, die Förderung zu drosseln. Unserer Ansicht nach dürften diese Kürzungen, die sich für die OPEC alleine auf etwa 12,5 Millionen Fass pro Tag belaufen (im Vergleich zum derzeitigen Förderniveau), nicht ausreichen, um den durch die Covid-19-Krise verursachten Nachfrageeinbruch auszugleichen.

Zweitens dürfte die Lagerung vor allem, aber nicht nur, für WTI-Rohöl am Lieferpunkt Cushing ein zentrales Thema am Ölmarkt bleiben. In Cushing lag der Lagerbestand für die Woche bis zum 10. April bereits bei etwa 55 Millionen Fass, was einen Anstieg um 5,6 Millionen Fass gegenüber der Vorwoche bedeutet. Bei diesem Tempo könnte dort in 4 bis 5 Wochen der Lagerplatz ausgehen, erklärt Darwei Kung, Head of Commodities bei der DWS. Zudem hat der Markt seine Aufmerksamkeit bereits auf die Produktionskapazitäten der US-Raffinerien gerichtet. Die Nachfrage nach Kraftstoffen wird wahrscheinlich so lange gedämpft bleiben, wie die Fahrer zu Hause festsitzen und die Flugzeuge am Boden bleiben. Da auch die Lagerhaltung für nachgelagerte Produkte wie Treibstoffe begrenzt ist, könnte dies zu weiteren Einschnitten bei der Kapazitätsauslastung der Raffinerien führen, was den Druck auf die Rohölpreise erhöhen würde. Es ist unwahrscheinlich, dass der Brent, die wichtigste europäische Bezugsgröße, gänzlich verschont bleibt. Die Lieferstellen des Brent sind jedoch bei weitem nicht so überlastet und könnten früher als der WTI von der OPEC+-Vereinbarung profitieren. Entscheidend ist, dass der Brent in der Regel auf dem Seeweg transportiert wird, was bedeutet, dass zur Lagerung schlicht Tankschiffe angemietet werden können

Womit wir bei der dritten Implikation angelangt wären. Wie bereits erläutert, spiegelt der Umfang des Kursverfalls am Montag teilweise die Kurzsichtigkeit einiger Marktteilnehmer im Hinblick auf die Lagerkapazitäten wider. Es erscheint uns weniger wahrscheinlich, dass dieser Fehler im nächsten oder übernächsten Monat wiederholt wird. Zur Verdeutlichung lässt sich analog ein anderer Energiemarkt betrachten. Auf den europäischen Strommärkten sind negative Preise für Stundenkontrakte in den letzten zehn Jahren zunehmend üblich geworden[2]. Das Wachstum der erneuerbaren Energien, insbesondere der Windenergie, hat dazu geführt, dass wichtige Quellen der Stromerzeugung immer unberechenbarer geworden sind. Anders als Öl kann Elektrizität nicht physisch gespeichert werden. Sie muss verbraucht werden, beispielsweise durch das Aufladen einer Batterie oder Hochpumpen von Wasser in das Reservoir eines Wasserkraftwerks. Der Bau und die Wartung solcher Anlagen sind jedoch kostspielig.

Für die Speicherkapazität in den USA scheinen keine ähnlichen physischen Beschränkungen zu bestehen. Sollte längerfristig mehr benötigt werden, wird mehr gebaut. Auch wenn es bis dahin durchaus zu weiteren vorübergehenden Marktverwerfungen kommen kann, insbesondere für den WTI, z.B. wenn der nächste zukünftige Vertrag ausläuft, wird das Endergebnis wahrscheinlich eine gesündere Dynamik auf dem Ölmarkt sein. Das US-Angebot könnte durchaus schneller zurückgehen, als es ohne den gestrigen Kurseinbruch der Fall gewesen wäre. Das könnte zu einer starken Preiserholung Ende 2020 und Anfang 2021 führen, falls die Covid-19-Krise bis dahin allmählich nachlässt.

Unterdessen dürfte der Rückgang des Ölpreises weiter sowohl die Inflation als auch die Inflationserwartungen dämpfen. Das bekräftigt uns in unserer Ansicht, dass die Zinssätze noch eine ganze Weile niedrig bleiben werden. Währungen wie der russische Rubel, deren Kurs anfällig auf Schwankungen am Rohstoffmarkt ist, bleiben wahrscheinlich weiterhin belastet. Anleihen ölexportierender Länder und US-Hochzinsanleihen sind ebenfalls besonders betroffen. Man sollte hierbei jedoch bedenken, dass die Spreads in den USA bereits wesentlich größer sind als während des Ölpreisrückgangs Ende 2015 und Anfang 2016.

Für die meisten Aktienmärkte scheinen sich die direkten Auswirkungen in Grenzen zu halten. Im Jahr 2019 entfielen nur etwa 4 Prozent der Gewinne der S&P 500-Unternehmen auf den Energiesektor. Im MSCI AC World Index waren es 6 Prozent. Natürlich gibt es in einigen Ländern größere, börsennotierte Ölsektoren, insbesondere in einigen Schwellenländern wie Russland, aber auch im Vereinigten Königreich. Bedeutender dürften jedoch die indirekten Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum sein, da die Ölgesellschaften ihre Investitionsausgaben weiter kürzen. Dies wird weiterverarbeitenden Unternehmen als auch Zulieferern schaden. US-amerikanische und kanadische Banken, die dem Sektor Kredite gewährt haben, sind ebenfalls gefährdet. Darüber hinaus sollte man die psychologischen Auswirkungen auf Verbraucher, Unternehmen und Investoren nicht unterschätzten. Für die meisten Industrieländer würde man normalerweise erwarten, dass niedrigere Ölpreise als gute Nachrichten gewertet werden. Günstigeres Rohöl bedeutet für die Verbraucher niedrigere Benzinpreise und für viele Industrieunternehmen niedrigere Rohstoffkosten. In einer Pandemie aber, in der die meisten zu Hause festsitzen und kaum produziert wird, dürfte dieser Ölpreiseinbruch kaum zu einem Stimmungsaufschwung führen.

1. Einen guten Überblick der Dynamik bietet dieser Artikel der Financial Times: https://www.ft.com/content/88997d67-bf69-409e-8155-911fc1f2fd6f

2. Ein Überblick deutscher Preise findet sich unter: https://www.bhkw-infozentrum.de/faq-bhkw-kwk/negative-strompreise-wie-haeufig-kommen-negative-strompreise-vor und https://www.strom-magazin.de/info/negative-strompreise/

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