Europäische Banken: Tiefschürfen lohnt sich

Der europäische Bankensektor steht unter Druck. Doch dadurch entstehen auch Kaufgelegenheiten —solange die Anleger verstehen, dass sich die Regeln für Bankanleihen maßgeblich geändert haben.. AllianceBernstein | 02.05.2016 09:08 Uhr
©  Roland Abel - Fotolia.com
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Hinweis: Dieser Beitrag ist auch im "CONTEXT"-Blog von AB verfügbar.

Flucht aus Finanztiteln

"Europas Banken scheinen von einer Krise in die nächste zu taumeln. Bankaktien hinken in diesem Jahr dem Markt hinterher, Bankanleihen sind ebenfalls unter Druck. Valueorientierte Anleger finden durch diese Schwäche einige neue Kaufgelegenheiten.

Doch selbst wenn viele Bankanleihenrenditen mittlerweile attraktiv wirken, ist Vorsicht und Selektivität geboten. Im aktuellen Stadium des Kreditzyklus sind neue Betrachtungsweisen vonnöten, nicht zuletzt aufgrund der seit der globalen Finanzkrise veränderten Rahmenbedingungen für europäische Finanzwertpapiere.

Bankanleiheninvestoren müssen besonders gründlich analysieren. Nicht nur die fundamentalen Kreditparameter und Geschäftsmodelle müssen überprüft werden, sondern auch hinsichtlich der Positionierung der diversen Subkategorien von Bankanleihen in der Kapitalstruktur ist Sorgfalt geboten.

Insbesondere im Hinblick auf die neuen EU-Grundregeln für Bankenpleiten (Richtlinie für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, englische Abkürzung BRRD) müssen Investoren deren Auswirkung auf jede Subkategorie überprüfen. Dieser Schritt ist unverzichtbar, denn Anleiheneigner könnten im Falle einer regionalen Bankenpleite auf erheblichen Verlusten sitzenbleiben.

Kehrtwende bei der Haftung für Bankenpleiten

Die strengen Regulierungen haben viele Banken dazu veranlasst, riskantere Geschäftsfelder auszugeben und ihre Eigenkapitalquote aufzustocken. Gute Nachrichten für Anleiheneigner, denn diese Maßnahmen machen Bankenpleiten theoretisch weniger wahrscheinlich.

Gleichzeitig hat sich jedoch nach der Finanzkrise die Lastenverteilung für zukünftige Bankenpleiten weg vom Steuerzahler, hin zum Anleiheneigner verschoben, ein sogenanntes „Bail-In“ im Gegensatz zum „Bail-Out“, der steuerfinanzierten Bankenrettung.

Dieser regulatorische Anstoß hat viele europäische Banken dazu veranlasst “Bail-In”-Anleihen zu emittieren, in vielen Ebenen der Kapitalstruktur von Additional Tier 1 (AT1) und Tier 2 bis hin zu vorrangigen unbesicherten Forderungen.

Einige Bail-In-Anleihen sollen Verluste durch Umwandlung in Aktien auffangen, oder durch komplette Abschreibung. Die neuartigen AT1-Anleihen wären am oberen Ende der Verlustabsorption – ihre Kupons können ausgesetzt werden und Kapitalverlust ist möglich. Doch auch Tier 2- und vorrangige Bankanleihen sind verlustanfälliger geworden.

Die BRRD-Richtlinien und die Verlustbeteiligung der Anleiheneigner sind im Rahmen der erzwungenen Abschreibungen bei der portugiesischen Banco Novo sowie einigen regionalen italienischen Banken in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt.

Diese Abschreibungen haben auch das Bewusstsein der Anleger für die zugrundeliegenden Probleme des Bankensektors in einigen europäischen Ländern geschärft. Notleidende Kredite haben bei vielen Kreditinstituten ein besorgniserregendes Ausmaß erlangt. Und da viele europäische Bankenmärkte stark fragmentiert und überbesetzt sind, ist es für die Banken dort schwer signifikante Gewinne zu generieren, um sich damit ein Polster für das herausfordernde Umfeld nachlassenden globalen Wachstums zu verschaffen.

Heftiger Gegenwind

Nicht nur in Portugal und Italien, sondern in ganz Europa sieht sich der Bankensektor heftigem Gegenwind ausgesetzt. Zinsen auf Rekordtiefständen (in Deutschland, der Schweiz und einigen anderen Ländern sogar negativ) üben Druck auf Margen und Gewinne der Kreditinstitute aus. Zudem erschwert die lahmende Konjunktur es den regionalen Banken, neue Geschäftsfelder aufzubauen, insbesondere in Ländern die bereits „überbankt“ sind. Auch die teils hohen Niveaus von notleidenden Krediten sind Anlass zur Sorge, vor allem in den Problembereichen Energie und Rohstoffe sowie einigen Schwellenländern. Und ein drohender „Brexit“ würde angesichts der großen Bedeutung des britischen Bankenstandorts erhebliche Auswirkungen auf das gesamte europäische Bankensystem haben.

Über diese kurzfristigen Problemfelder hinaus sieht sich die Bankenbranche langfristigen Herausforderungen ausgesetzt: der technologische Fortschritt verändert die Bankennutzung der Verbraucher nachhaltig und führt bereits zu einem anhaltenden Filialsterben.

Neuartige technologiegestützte Finanzfirmen (Fintechs“) machen den Banken ihre angestammten Vertriebskanäle streitig. Um diesem Angriff zu begegnen investieren die Banken erhebliche Mittel in ihre technologische Aufrüstung, einige beteiligen sich gleich an Fintechs. Das ist mit Kosten verbunden, auch in Verbindung mit dem immer wichtigeren Thema Cybersicherheit.

Ein großer Graben tut sich auf

Angesichts dieser Vielzahl an Veränderungen und Herausforderungen sehen wir einen wachsenden Graben zwischen jenen Banken, die sich dem Umfeld anpassen und anderen, die dem Umbruch mehr oder weniger hilflos gegenüber stehen.

Wir bevorzugen Banken, die „bei ihren Leisten“ bleiben, und Skaleneffekte und starke Wettbewerbsstellungen in profitablen Geschäftsfeldern nutzen. Diese Banken verfügen über Preismacht, was ihre Profitabilität unterfüttern sollte. Auch Banken mit der Chance, ihre gebührenträchtigen Vermögensverwaltungssparten auszubauen sind gut positioniert, um den Margendruck im klassischen Zinsgeschäft auszuhalten. Technologische Qualität ist ein weiterer Differenzierungsfaktor, solange die Kunden Vertrauen in die Cybersicherheit haben.

Unserer Ansicht nach sollten sich die Anleger im Zuge der zunehmenden Segmentierung von Europas Bankenlandschaft in Gewinner und Verlierer auf eine kurze Kernliste von Banken mit soliden Fundamenten fokussieren. Außerdem ist es im gegenwärtigen Umfeld von erhöhter Verlustsensibilität umso wichtiger, bei den Bankanleihen hinsichtlich des Bail-In-Potenzials genauer hinzuschauen."

Steve Hussey, Head - Financial Institutions Credit Research

Hinweis: Dieser Beitrag ist auch im "CONTEXT"-Blog von AB verfügbar.

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