"Die Gewinnmargen der europäischen Banken werden durch die Nullzinspolitik der EZB erheblich unter Druck gesetzt, eine schwächelnde Kreditnachfrage verstärkt einen starken Verdrängungswettbewerb und hohe regulatorische Kosten verursachen weitere Probleme. Banken verdienen im Kreditgeschäft immer weniger. Bisher haben die weitaus meisten Banken es vermieden, die Kosten für die negativen Einlagenzinsen an die Kundenweiterzugeben. Aber die Banken mit den größten Einlagen stehen an einem Wendepunkt, weitere Verluste aus diesem Bereich werden sie nicht mehr lange absorbieren können.
Kleine Reförmchen werden nicht ausreichen
Viele Banken werden weitere Zinssenkungen nicht mehr an die Kreditkunden weiterleiten. Einige Institute werden sogar die Kreditkosten anheben, wie es in der Schweiz und Dänemark bereits geschieht. Zudem werden immer mehr Banken Servicegebühren für bislang kostenlose Dienstleistungen einführen wie etwa das so beliebte kostenfreie Girokonto. Aber die europäische Bankenbranche ist ein übersättigter Markt. Zusätzlicher Wettbewerbsdruck entsteht durch neuartige Konkurrenten aus der Technologiewelt. Die etablierten Banken haben daher wenig Spielraum, bei klassischen Bankprodukten an der Kostenschraube zu drehen. Gleiches gilt für die lang ersehnte Ausweitung des Kreditgeschäfts. Das Kreditwachstum in Europa ist fast überall mau und konzentriert sich zudem auf margenschwache Produkte wie Hypothekendarlehen.
Alle diese Faktoren deuten darauf hin, dass halbherzige Umstellungen den Banken keine nachhaltige Verbesserung der Profitabilität bescheren werden. Dies gilt umso mehr, da die Kunden ihr Geschäftsgebaren mit Banken im Zeichen sinkender Zinsen gerade grundlegend ändern. Langfristig bindende Sparprodukte finden keinen Absatz mehr. Auf der Hypothekenseite ist es genau umgekehrt, die Häuslebauer sichern sich langfristig niedrige Zinsen. Diese Trends erodieren die Gewinne der Banken weiter.
Wer wagt, gewinnt?
Um eine nachhaltige Zukunftsperspektive zu haben, sollten die Banken daher eine grundlegende Umstrukturierung ihrer herkömmlichen Geschäftsmodelle in Betracht ziehen. Dazu könnte gehören, die Kunden zum Wechsel von Sparkonten in margenträchtigere Produkte wie Investmentfonds oder Altersvorsorgestrukturen zu bewegen. Dies könnte gleichzeitig zu einer Verfestigung der Kundenbeziehung führen und perspektivisch weitere Absatzmöglichkeiten eröffnen. Banken mit etablierten und modernen Fondsplattformen sind eindeutig gut positioniert, um sich auf gebührenträchtige Spar- und Vorsorgeprodukte zu fokussieren. Kleinere Institute könnten gezwungen sein, über Umwege wie Joint Venture Zugang zu diesem attraktiven Geschäftsfeld zu erhalten.
Welchen Ländern stehen die größten Veränderungen bevor?
Europas Bankkunden sind ein bunter Haufen. Es bestehen erhebliche Unterschiede im Spar- und Anlageverhalten zwischen den einzelnen europäischen Ländern. Die Auswirkungen eines Branchenumbruchs werden daher auch verschieden groß sein.
Die Deutschen sind eifrige Sparer, und sie halten mehr Vermögen in Sparbüchern und Festgeld als ihre Brüder und Schwestern in anderen großen Euroländern. Niederländische Haushalte sind primär im Pensionsfondsbereich veranlagt, während spanische Verbraucher 80 Prozent ihres Nettovermögens in Immobilien halten. Deutsche und niederländische Haushalte dürften daher stärker von Zinsschwankungen abhängig sein, als dies in Spanien, Italien und Frankreich der Fall ist. Folglich haben deutsche und niederländische Banken großes Potenzial, ihre Kunden aus Einlageprodukten in einträglichere Fonds zu switchen.
Bei den Sparkontozinsen gibt es große regionale Unterschiede. In einigen Ländern gibt es spezielle Anreize, welche die Kunden zum Verbleib in Sparkonten bewegen könnten. In Frankreich etwa sind die Erträge aus dem „Livret A“- Sparbuch steuerfrei.
Deutsche und spanische Banken bieten die niedrigsten Einlagezinsen. Einige spanische Banken haben Sparer aktiv in außerbilanzielle Produkte wie Fonds gedrängt. In Deutschland war dies bislang kaum der Fall, dort ist das entsprechende Potenzial daher umso grösser.
Trotz all dieser Entwicklungen dürfte sich das Bankkundenverhalten dennoch nur in kleinen Schritten ändern. Daher glauben wir, dass der Wandel in der europäischen Bankenlandschaft eher evolutionär als revolutionär vonstattengehen wird."
Steve Hussey, Head of Financial Institutions Credit Research, Investmentgesellschaft AB