Für das Weiterbestehen des günstigen Konjunkturumfelds ist die Inflation von entscheidender Bedeutung. Die niedrige Geldentwicklung hat dazu beigetragen, das Wachstum stabil zu halten. Dadurch konnten Unternehmen ihre Margen ausweiten und die Zentralbanken hatten so mehr Zeit, die Konjunktur durch eine lockere Geldpolitik zu stimulieren. Das führte letztendlich zu höheren Kurs-Gewinn-Verhältnissen (KGV). Jeder Inflationsanstieg würde die Notenbanken jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit dazu veranlassen, ihre Geldpolitik zu ändern und die Zinsen anzuheben. Dies würde nicht nur den Druck auf die Margen vergrößern, sondern auch dazu führen, dass die KGV sinken. Mehrere Faktoren könnten zu einer höheren Inflation führen. Dazu gehören höhere US-Löhne, weltweit steigende Ölpreise und die anhaltende Unsicherheit über Handelskriege.
In den USA wachsen die Löhne
In den USA lag die Arbeitslosenquote im April mit 3,6 Prozent auf dem niedrigsten Niveau seit den späten 1990er Jahren. Angesichts dieses engen Arbeitsmarkts erließen Städte wie New York, San Francisco und Seattle Gesetzesregelungen, die die Lohnuntergrenze auf 15 Dollar pro Stunde heraufsetzten. Auch große Arbeitgeber wie Amazon, Target und Costco erhöhten die Mindestlöhne. Diese Trends haben die Lohninflation auf über drei Prozent getrieben.
Andere Entwicklungen gleichen den Lohndruck in den USA jedoch aus. So verbessert sich beispielsweise die Produktivität und es drängen immer mehr Menschen in den Arbeitsmarkt. Die Erwerbsbeteiligung liegt mit 63 Prozent allerdings in etwa im Durchschnitt der letzten 70 Jahre und ist somit konstant. Wir glauben, dass eine nachhaltige Steigerung der Produktivität bei einer steigenden Zahl von Wiedereinsteigern dazu beitragen könnte, die zukünftige Lohninflation zu dämpfen.
Ölpreis und Handelskriege
Auch der Ölpreis rückt in den Fokus. Dass er seit Jahresbeginn gestiegen ist, ist angesichts des soliden globalen Wachstums und des relativ stabilen Angebots nicht unerwartet. Kürzlich signalisierte die US-Regierung jedoch, dass sie die Sanktionen gegen den Iran verschärfen könnte – und die zunehmenden Bedenken über die Angebotsbeschränkung drückten die Preise im April weiter nach oben. Sollte sich der Ölpreis auf diesem höheren Niveau einpendeln, könnte die Inflation leicht wachsen – der Anstieg dürfte jedoch kaum so bedeutend ausfallen, dass die Zentralbanken sich zum Handeln gezwungen sehen.
Schlussendlich könnten auch Handelskriege die Inflation in die Höhe treiben, denn durch höhere Zölle würden auch die Preise steigen. Bisher waren die Auswirkungen relativ gering, da Unternehmen die gestiegenen Kosten zunächst zulasten ihrer Margen ausgeglichen haben, statt sie an Verbraucher weiterzugeben. Seitdem Anfang Mai neue US-Zölle auf chinesische Waren eingeführt wurden, wachsen jedoch die Sorgen. Wir gehen zwar nach wie vor davon aus, dass in den kommenden Monaten ein Handelsabkommen erreicht wird. Sollten die Verhandlungen jedoch scheitern, wären die Folgen für das globale Wachstum negativ und die Inflation würde steigen.
Achtung: Inflationsrisiko
Angesichts dieser Entwicklungen sind wir besorgt, dass der Markt das Inflationsrisiko unterschätzt. In einem Umfeld steigender Inflation lohnt es sich, nach Unternehmen Ausschau halten, denen steigende Produktionskosten nichts ausmachen. Dazu gehören Firmen, die nur wenig von Arbeitskosten abhängig sind oder deren Gewinne nicht durch Lohnanstiege gemindert werden. Auch Konzerne, die über eine starke Preismacht verfügen und so steigende Kosten an die Verbraucher weiterreichen können, können die Herausforderungen meistern, die ein inflationäres Umfeld mit sich bringt. Mastercard und Microsoft sind hierfür passende Beispiele.
Sollte die Inflation tatsächlich zunehmen, steigt zwar das nominale Wirtschaftswachstum. Durch die steigenden Kosten würden aber auch die Kurs-Gewinnverhältnisse unter einen gewissen Druck geraten. Deswegen sollten die Anleger die Inflationsrisiken im Jahresverlauf genau im Auge behalten.
Mark Phelps, AllianceBernstein (AB)