Künstliche Intelligenz (KI) transformiert viele Bereiche unseres täglichen Lebens. Warum aber sollte es für Europas Anleihenanleger wichtig sein? Die Antwort liegt in den niedrigen Renditen und illiquiden Märkten von heute.
Von Google Maps bis Gesichtserkennung: Künstliche Intelligenz nimmt eine immer größere Rolle in unserem täglichen Leben ein. In Fabriken und Büros übernehmen Roboter Routineaufgaben. Insgesamt wird erwartet, dass Künstliche Intelligenz bis 2030 13 Billionen US-Dollar zur globalen Wirtschaft beiträgt (laut einer PwC-Studie).
Anleihenmanager haben Künstliche Intelligenz im Allgemeinen eher zaghaft angenommen. Smarte Manager haben ihr Research digitalisiert, damit ihre Erkenntnisse leichter gefunden und bewertet werden können. Einige Fondslenker haben Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (englische Abkürzung ESG) als Faktoren in ihr Research integriert. Die meisten jedoch haben bislang keine nennenswerten Anstrengungen zur Nutzung von Künstlicher Intelligenz in Research und Handel unternommen.
Niedrige Renditen transformieren aktives Management
Heute sehen sich die Anleger außerordentlichen Herausforderungen und Chancen gegenüber, die nur Künstliche Intelligenz adressieren kann. In der Eurozone hat die extrem lockere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank dazu geführt, dass niedrige oder gar negative Renditen entlang der gesamten Zinskurve einhergehen mit sehr niedrigen Risikoaufschlägen (Spreads) für fast alle Unternehmensanleihen (außer den riskantesten Emissionen).
In diesem Umfeld müssen Anleger wahrhaft aktive Strategien verwenden, um akzeptable Erträge ohne das Eingehen exzessiver Risiken zu erzielen. Kaufen und bis zur Fälligkeit halten: das funktioniert nicht mehr, angesichts einer 10-Jahres-Rendite von –0,27 Prozent für Bundesanleihen und Hochzinsspreads von nur etwa 3,5 Prozent. Vor zehn Jahren sah das noch ganz anders aus: Hochzinsanleihen rentierten mit acht bis neun Prozent. Und unabhängig von Spreadfluktuationen erhielten die Anleger am Ende meist einen positiven Ertrag. Nun aber, mit „Hochzins“-Renditen nahe drei Prozent, könnte selbst eine kleine Bewegung beim Spread den Kurs der Anleihe derart beeinträchtigen, dass ein negativer Ertrag herausspränge. Anleger müssen also handeln, wenn sie kein Geld verlieren möchten. Um konstant positive Erträge zu generieren, müssen ihre Vermögensverwalter Chancen rasch erkennen, die entsprechenden Anleihen am Markt identifizieren und die erwünschten Handelsgeschäfte schnell und effizient umsetzen. Im komplexen und heterogenen Anleihenmarkt von heute, in dem täglich buchstäblich Millionen von Datenpunkten zu bewerten sind, ist diese monumentale Aufgabe manuell nicht zu bewältigen. Künstliche Intelligenz ist dafür unverzichtbar.
Liquidität ist immens wichtig
Mangelnde Liquidität verlangt ebenfalls nach KI-Lösungen. Seit der Globalen Finanzkrise (GFK) hat sich die Marktliquidität drastisch verringert. Der globale Anleihenmarkt hat sein Volumen seither verdoppelt, die Bilanzen der Makler sind jedoch auf etwa fünf bis zehn Prozent ihres Vorkrisenniveaus gesunken. Das macht es erheblich schwieriger für Assetmanager, ihre Anleihen zu handeln, insbesondere in schnelllebigen Märkten.
Hinzu kommt, dass die Märkte stärker fragmentiert sind. Vor einer Transaktion müssen die Händler mitunter 15 oder 20 Investmentplattformen vergleichen. Und schließlich ist die Komplexität rapide angestiegen. So hat allein der Investment-Grade-Markt in den USA ein Volumen von 5 Billionen US-Dollar, aufgeteilt unter 6.500 Wertpapieren. Jeden Tag werden 40.000 bis 45.000 Handelsgeschäfte ausgeführt. Liquidität wird also bitter benötigt. Aber sie ist sehr rar und auf die Schnelle schwer zu finden.
Aktives Anleihenmanagement tritt in die KI-Ära ein
Diese Problemstellungen können durch die vollständige Integration von Künstlicher Intelligenz in die Anlageprozesse angegangen werden. Angefangen mit digitalisiertem Research ist der nächste Schritt die Nutzung von Algorithmen zur Auffindung von Liquiditätsinseln über mehrere Plattformen hinweg und die Erstellung von digitalen Assistenten („Chatbots“), die innerhalb von Sekunden Orders erstellen und Chancen erkennen können.
Der First-Mover-Vorteil ist sowohl im Research als auch im Handel beträchtlich. KI-fähige Manager können ihre Ressourcen effektiver bündeln, indem sie beispielsweise nur an den Ideen arbeiten, von denen sie sicher sind, dass sie ausgeführt werden können, oder indem sie kleinere, weniger wichtige Geschäfte an ihren „Chatbot“ delegieren, um direkt mit den „Bots“ von Brokern zu handeln. Mit überlegenen Erkenntnissen über Marktkurse und -dynamik können sie nicht nur Käufe effizienter durchführen, sondern auch ihre Verkäufe besser planen, um von der sich ändernden Marktnachfrage zu profitieren. Und durch die Nutzung von natürlicher Sprachverarbeitung (Link in englischer Sprache) im Researchprozess können sie automatisch Tausende Unternehmensberichte durchkämmen, um auch kleinste Änderungen zu finden, die auf mögliche Verbesserungen oder Verschlechterungen der Qualität einer Anleihe hindeuten könnten.
Die Auswirkungen auf die Ergebnisse sind messbar
Wie wirken sich diese Vorteile auf die Performance aus? Es ist schwer, die aktuelle KI-unterstützte Performance mit den Erträgen in einem völlig anderen Marktumfeld zu vergleichen. Aber wir können Verbesserungen in der Ausführung messen, indem wir die Differenz zwischen dem Kurs eines Wertpapiers, wenn eine neue Idee entsteht, und dem Preis desselben Wertpapiers später am Tag messen. Dieser Unterschied spiegelt die Auswirkungen eines KI-gesteuerten Informationsvorsprungs wider.
Nach unserer Erfahrung ergibt sich der größte Performance-Vorteil in volatileren Märkten und in Märkten mit negativem Trend. So sanken beispielsweise in einem schwierigen, aber nicht katastrophalen Schlussquartal 2018 die US-Hochzinsanleihen um fünf Prozent. Die schnelle Ideenfindung und -umsetzung in dieser schwierigen Zeit hat sich überdurchschnittlich ausgezahlt.
Grob geschätzt und unter durchschnittlichen Marktbedingungen könnte eine voll integrierte Künstliche Intelligenz aus unserer Sicht typischerweise zwischen 10 und 20 Basispunkte zum Anlageergebnis beitragen. In einem Markt, in dem das Outperformance-Ziel häufig zwischen 50 und 100 Basispunkten liegt, ist das ein sehr auffälliger Vorteil.
Evolution der Künstlichen Intelligenz
Die Investmentwelt ist erst im Frühstadium der Nutzung des gesamten Potenzials von Künstlicher Intelligenz. Wir sind jedoch sicher, dass die Möglichkeiten und Anwendungen von Künstlicher Intelligenz sich weiter multiplizieren werden. Smarte Anleger sollten sich das zunutze machen und sicherstellen, dass ihre Vermögensverwalter für die vollständige Integration von Künstlicher Intelligenz in ihre Prozesse gerüstet sind.
John Taylor ist Co-Head of European Fixed Income und Director of Global Multi-Sector bei AllianceBernstein
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