Trotz gewisser Fortschritte im Quartalsverlauf gaben Aktien an den meisten Märkten ihre Gewinne wieder ab und verbuchten dieses Jahr starke Verluste. Der MSCI World Index fiel im Berichtsquartal um 4,4% in Lokalwährung (Abbildung) und verzeichnete seit Jahresbeginn ein Minus von 21,9%. In Australien und Japan behaupteten sich Aktien vergleichsweise gut. Angesichts massiver Kursrückgänge in China war die Wertentwicklung der Emerging Markets unterdurchschnittlich.
Die meisten Sektoren verzeichneten im Quartalsverlauf einen Rückgang. Aktien im Nicht-Basiskonsumgüterbereich – zuvor bedeutendes Opfer von Wachstumsängsten – erzielten Kursgewinne. Beflügelt durch hohe Erdöl- und Gaspreise legten Energieunternehmen weiter zu. Gesundheitswesen, Technologie und Kommunikation verzeichneten eine unterdurchschnittliche Wertentwicklung. Wachstumsaktien entwickelten sich im Quartal besser als Substanzwerte, blieben in diesem Jahr bis dato dennoch deutlich zurück (Abbildung).
Inflation und Zinssätze wirken sich auf die Stimmung aus
Zu Beginn des vierten Quartals ist die Stimmung eher düster. Die US-Notenbank hat die Zinssätze stark angehoben und einen aggressiven geldpolitischen Kurs eingeschlagen. Es gebe keinen „einfachen Weg“ zur Eindämmung der hohen Inflation, erklärte der Fed-Vorsitzende Jerome Powell am 21. September, als die Fed ihren Referenzleitzins um 0,75 Prozentpunkte erhöhte und damit die Zielspanne für den Leitzins (Federal Funds Rate) auf 3% bis 3,25% anhob. Powells Aussage wurde als Eingeständnis interpretiert, dass der US-Wirtschaft eine harte Landung und vielleicht sogar eine Rezession bevorsteht.
Die Bank of England und die EZB stehen in Europa ebenfalls vor einem komplizierten Balanceakt, der durch die drohende Energiekrise noch erschwert wird. Angesichts der steigenden Erdgaspreise vor dem Winter droht eine Rationierung von Brennstoffen. Grund dafür ist der Wegfall der Lieferungen aus Russland, da der Krieg in der Ukraine weitergeht. Im Vereinigten Königreich stellte der neue Finanzminister Kwasi Kwarteng das „Mini-Budget“, ein Entlastungspaket mit massiven Steuerkürzungen und fiskalpolitischen Lockerungsmaßnahmen vor – bei einer Inflation über 10%. Diese Schritte erschütterten das Vertrauen der Anleger, bewirkten drastische Kurseinbrüche des britischen Pfunds und erhöhten das Risiko einer wirtschaftlichen Destabilisierung. Befürchtungen, dass die Eurozone ebenfalls an der Schwelle zur Rezession steht, nehmen zu.
In Asien verlaufen die Entwicklungen anders. Japan gehört möglicherweise zu den wenigen Industrieländern, die eine höhere Inflation begrüßen würden, und seine Zentralbank belässt die Zinssätze auf sehr niedrigen Niveaus. Auch China ist auf einem anderen Kurs. Denn die politischen Entscheidungsträger lockern die Bedingungen, um die Wirtschaft zu stützen, die durch drastische Corona-Beschränkungen zu Anfang dieses Jahres und einen wankenden Immobilienmarkt belastet wurde. Die Wachstumskennzahlen erscheinen jedoch nach wie vor schwach.
Rutschen die US-Wirtschaft und die Weltwirtschaft in eine Rezession? Wann lässt die Inflation nach und wo wird sie sich einpendeln? Wie hoch werden die Zinsen steigen, und für wie lange? Was ist mit dem sich zuspitzenden geopolitischen Risiko, angefangen von den Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine bis hin zu den Spannungen zwischen China und Taiwan?
Niemand kennt die Antworten. Dennoch erlebten die Aktienmärkte in diesem Jahr über weite Strecken eine starke Handelsaktivität auf Basis dieser unseligen Trinität aus steigender Inflation, Zinsanhebungen und Wachstumssorgen. Inflation und Wachstum wirken sich fraglos auf die Cashflows und Gewinne der Unternehmen aus, und die Zinssätze spielen eine wesentliche Rolle bei der Ermittlung der Aktienbewertungen. Doch wenn makroökonomische Trends zum größten Antrieb für die Marktbewegungen werden, achten Anleger tendenziell weniger auf unternehmensspezifische Entwicklungen, die letztlich die künftigen Aktienrenditen bestimmen.
Wie können sich Anleger einen Vorteil verschaffen?
Angesichts dieser großen Unsicherheit ist es nahezu unmöglich, im Rahmen eines einzigen konjunkturellen Szenarios starke Überzeugungen zu entwickeln. Durch Research auf Grundlage der Fundamentaldaten der Unternehmen – ein Bereich, in dem unsere Analysten über ausgeprägte Fähigkeiten, Fachkenntnis und Erfahrung verfügen – können wir allerdings analysieren, wie Unternehmen in verschiedenen möglichen Szenarien abschneiden. Dies schirmt unseren Bestand vielleicht nicht von jeder Volatilität ab. Doch die Portfolios lassen sich auf diese Weise auf langfristigen Erfolg ausrichten, indem wir Unternehmen ausfindig machen, die im Hinblick auf das sich wandelnde Geschäftsumfeld gut aufgestellt sind bzw. sich strategisch anpassen.
Auf den ersten Blick sah die Gewinnlandschaft zu Beginn des dritten Quartals so erfreulich aus, dass es fast schon gespenstisch war. Die Gewinnschätzungen der Sell-Side-Analysten waren im Allgemeinen nicht gesunken, was darauf schließen ließ, dass die Marktteilnehmer die Auswirkungen der wirtschaftlichen Verwerfungen noch nicht in vollem Umfang vorausahnten. Dies wird sich unserer Auffassung nach ändern.
Sicherlich sind mit Beginn der Berichtssaison für das dritte Quartal im Oktober weitere Warnungen zu erwarten. Anleger müssen die Unternehmensberichte sorgfältig prüfen und stärker in Dialog mit der Geschäftsführung treten, um potenzielle Verlustbringer erkennen und überraschende Gelegenheiten nutzen zu können.
Preismacht und Margendruck: die richtigen Fragen stellen
In einem inflationären Umfeld wird die Preismacht weiterhin ein entscheidendes Merkmal sein. Doch die Identifikation von Qualitätsunternehmen mit Preismacht erfordert umfangreiches Branchenwissen. Eines unserer Anlageteams ist beispielsweise mit Lebensmittelproduzenten US-amerikanischer und britischer Marken in Dialog getreten. Zur Beurteilung ihrer Fähigkeit zur Erhöhung der Preise untersuchen wir ihre jeweilige Marktmacht und fragen, ob Premiumprodukte anfällig gegenüber Belastungen in einem schwierigeren Wirtschaftsumfeld sind. Selbst wenn ein Unternehmen in der Lage ist, einige Preise zu anzuheben: Wird dies ausreichen, um die Kosteninflation abzudecken und/oder wird die Preiserhöhung einen Nachfragerückgang bewirken? Die regelmäßige Beantwortung solcher Fragen ist mit Blick auf alle Branchen, Unternehmen und Länder entscheidend, um festzustellen, ob eine Aktie unter dem gegenwärtigen Druck nachgibt oder sich als solides langfristiges Investment erweist.
Zudem ist es wichtig, die Quelle des Drucks auf ein Unternehmen ausfindig zu machen – keine leichte Aufgabe, wenn sich mehrere wirtschaftliche Faktoren belastend auswirken. Ein gutes Beispiel sind Engpässe in den Lieferketten. In Bezug auf die Automobilindustrie ist unklar, ob schwache Verkaufszahlen Probleme in den Lieferketten oder eine nachlassende Nachfrage widerspiegeln. Lieferkettenprobleme lassen sich wahrscheinlich eher beheben. Anleger müssen untersuchen, wie sich die Branchendynamik auf jedes einzelne Unternehmen auswirkt.
An Fragen wie dieser entscheidet sich, ob Unternehmen ihre Margen zur Unterstützung des Gewinnwachstums beibehalten können. Zahlreiche Einflussfaktoren, von Rohstoffkosten bis Währungsschwankungen, sollten genau betrachtet werden, da die starke Aufwertung des US-Dollars in diesem Jahr die Wertentwicklung von Unternehmen unterschiedlich beeinflussen wird (Abbildung). Gewinn- und Cashflow-Prognosen gestalten sich in einem derart unsicheren Umfeld äußerst schwierig. Da in Teilen des Marktes die Bewertungen jedoch drastisch zurückgehen, können wir uns anhand der Frage, ob verschiedenste Gewinnergebnisse bereits im Aktienkurs eingepreist sind, allmählich ein Bild machen.
Chancen wiederentdecken: von Technologien bis Dekarbonisierung
Wachstumswerte sind ein Beispiel hierfür. So ist der Goldman Sachs Non-Profitable Technology Index gegenüber dem Höchststand des vergangenen Jahres um fast 70% eingebrochen. Einige der Geschäftsmodelle verlustschreibender Technologieunternehmen erschienen bereits in besseren Zeiten fragwürdig. Die Bewertungen von US-Technologieaktien sind jedoch sektorweit geschrumpft (Abbildung). Hier sowie im breiteren Wachstumsmarkt werden Titel mit soliden Geschäftsmodellen zu Bewertungen gehandelt, die es seit vielen Jahre nicht mehr gegeben hat. Dadurch können Manager von Wachstumsportfolios attraktive Einstiegspunkte in Unternehmen mit relativ stabiler Rentabilität und guten Gewinnaussichten bestimmen, die möglicherweise zuvor nicht zugänglich waren. Mit anderen Worten: Wir können die Ertragsqualität eines Portfolios zu sehr attraktiven Preisen verbessern.
Im Technologiesektor überschattet die gravierende unterdurchschnittliche Wertentwicklung derzeit Chancen, denen die gegenwärtige Unsicherheit nicht schaden dürfte. Während sich das Wachstum im Verbrauchertechnologiebereich aufgrund der zunehmenden Reife einiger Tech-Giganten allmählich verlangsamt, sind wir der Auffassung, dass gerade eine neue Phase von Innovationen ihren Anfang nimmt: die Transformation von technologiegestützter Infrastruktur, die Lösungen für globale Probleme bietet, angefangen von Arbeitskräftemangel und Ressourcenknappheit bis hin zu Inflation und Umweltthemen. Ganz gleich, was mit der Wirtschaft geschieht: Wir denken, dass diese Revolution die Nachfrage nach cloudbasierten Dienstleistungen, Robotik und alternativer Energieerzeugung beflügelt.
In der Tat handelt es sich bei der Verringerung von CO2-Emissionen um massive, weltweite Bemühungen, die mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Zudem werden die Herausforderungen im Bereich Nachhaltigkeit nicht kleiner. Das neue US-Gesetz zur Verringerung der Inflation (Inflation Reduction Act) beinhaltet ein beispielloses Budget von 369 Mrd. USD zur Bekämpfung des Klimawandels. In Europa beschleunigt unterdessen der Vorstoß einer Reduzierung der Abhängigkeit von russischem Gas regionale Bemühungen zur Dekarbonisierung. Dies wird sich in mehr Investitionen in Klimalösungen niederschlagen, als zuvor erwartet wurde, und Anlagechancen in verschiedensten Bereichen schaffen, von alternativen Energien über Biokraftstoffe bis hin zu Elektrofahrzeugen – sogar bei einer sich abkühlenden Konjunktur.
Auf schwierigen Märkten diversifiziert bleiben
Die Volatilität wird wohl so bald nicht zurückgehen. Allerdings sind wir der Meinung, dass der Markt die makroökonomischen Herausforderungen bis zu einem gewissen Grad bereits berücksichtigt hat. Beispielsweise sind die globalen Mittelflüsse in Aktien auf extrem niedrige Niveaus zurückgegangen und spiegeln die Sorgen der Anleger hinsichtlich der Zukunft wider. Unserer Auffassung nach sind dies gute Bedingungen für aktive Manager, um Chancen in Unternehmen auszumachen, die den Widrigkeiten standhalten können.
In diesen unruhigen Zeiten wird die Suche nach Qualitätsunternehmen mit hoher Widerstandsfähigkeit entscheidend für den Aufbau von robusten Portfolios sein. Da das Ergebnisspektrum für Volkswirtschaften ebenso wie für Unternehmen sehr breit ist, sind wir der Ansicht, dass Anleger sich breit aufstellen und Wachstums-, Substanz- sowie Core-Aktien aus verschiedenen Regionen halten sollten. Für Anleger, denen mögliche Schwankungen Sorge bereiten, können Aktienstrategien mit geringer Volatilität hilfreich sein, um unter zunehmend turbulenten Bedingungen Verluste aufzufangen.
Es lässt sich unmöglich voraussagen, wann es zu einer Wende an den Aktienmärkten kommen wird. Die Geschichte deutet aber darauf hin, dass Erholungen sehr schnell kommen können; Anleger, die den ertragreichsten Tag eines Wiederaufschwungs verpassen, verzichten auf beachtliche Gewinne. Tendenziell erreichen die Märkte die Talsohle vor den Konjunkturtiefs.
Aller Wahrscheinlichkeit nach bewegen wir uns in Richtung einer neuen wirtschaftlichen Weltordnung mit höherer Inflation und höheren Zinssätzen, als wir sie in den letzten Jahren gewohnt waren. Doch während die Welt sich rapide verändert, werden Anleger unserer Ansicht nach weiterhin das Ertragspotenzial von Aktien benötigen, um ihre Ziele zu erreichen. Durch die Fokussierung auf die Fundamentaldaten von Unternehmen können Anleger angesichts der gegenwärtigen Ungewissheit eine Strategie festlegen, durch die sie vielfältige Chancen mit überdurchschnittlichem langfristigen Renditepotenzial erschließen können.
Chris Hogbin, Head—Equities, AllianceBernstein