„Die Schwellenländer stehen weiterhin unter Druck. Gründe dafür sind steigende Kapitalkosten, die weltweite Abnahme der Liquidität und zahlreiche externe Herausforderungen – von den negativen Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine bis hin zur schwachen chinesischen Wirtschaftsleistung.
Wir sind der Meinung, dass viele dieser globalen makroökonomischen Belastungsfaktoren auch in den kommenden sechs bis zwölf Monaten bestehen bleiben könnten. Nimmt man die anhaltende Stärke des US-Dollars hinzu, wird eine Entspannung an den Schwellenländermärkten in naher Zukunft noch unwahrscheinlicher.
Das letzte Quartal des Jahres könnte holprig bleiben, da sich die Zentralbanken in den entwickelten Ländern weiterhin auf ihre endgültigen Leitzinsen zubewegen. Angesichts der sich abzeichnenden Verlangsamung des globalen Wachstums und weiterer desinflationärer Signale könnte es jedoch nicht mehr lange dauern, bis sie ihre Zinserhöhungszyklen unterbrechen. In den aufstrebenden Volkswirtschaften scheinen eine Reihe von Zentralbanken ihre Zinserhöhungszyklen entweder bereits zu pausieren (Brasilien) oder kurz davor zu stehen (Chile, Kolumbien, Tschechische Republik, Ungarn und Polen).
Die düsteren globalen Wachstumsaussichten könnten die Geschwindigkeit und das Ausmaß einer potenziellen Erholung bei Schwellenländeranlagen weiterhin behindern und neue Schocks könnten zusätzlichen Druck ausüben. Wir sind jedoch der Meinung, dass an den Schwellenländermärkten bereits ein Großteil der negativen zyklischen Dynamik eingepreist sein könnte. Gleiches gilt für die negativen strukturellen Veränderungen, die durch die Pandemie und den Krieg in der Ukraine ausgelöst wurden.
Der Krieg in der Ukraine ist der vielleicht größte Risikofaktor unter den `bekannten Unbekannten´. Trotz einer anfänglichen Konzentration auf den Süden des Landes hat das ukrainische Militär jüngst Fortschritte in der Ostukraine gemacht und bedeutende Gebiete von den russischen Besatzungstruppen zurückerobert. Dies verdeutlicht die zunehmenden Fähigkeiten des ukrainischen Militärs – das kürzlich mit weiterer US-Ausrüstung ausgestattet wurde – sowie mögliche Versorgungs- und Moralprobleme bei den russischen Truppen. Der militärische Erfolg der Ukraine erhöht wiederum das Risiko einer Eskalation des Konflikts durch Russland.
Die chinesische Konjunkturentwicklung birgt ebenfalls Risiken für die Schwellenländer. Die schwache Wirtschaftsleistung des Landes in diesem Jahr ist weitgehend auf die Pandemiepolitik und die Schwäche des Immobilienmarktes zurückzuführen. Dieser Gegenwind könnte im nächsten Jahr zwar nachlassen. Doch selbst wenn sich das Wirtschaftswachstum in China auf eine Spanne von 5 Prozent bis 6 Prozent beschleunigen sollte, dürfte der Einfluss auf das Wachstum der Schwellenländer strukturell rückläufig bleiben.
Die Haushalts- und Außenwirtschaftsbilanzen haben sich in den vergangenen zwei Jahren in einigen größeren Schwellenländern verbessert. Die Rücknahme von pandemiebedingten Stützungsmaßnahmen und höhere Steuereinnahmen aufgrund des wieder anziehenden Wachstums sowie der hohen Inflation haben die Anfälligkeit verringert. Viele Frontier-Staaten haben jedoch nach wie vor Schwierigkeiten, wieder Fuß zu fassen, obwohl einige auch von den steigenden Rohstoffpreisen profitieren. Das hat zu erheblichen Divergenzen bei den Renditeaufschlägen für Staatsanleihen beigetragen, wobei bei bonitätsschwächeren Papieren zunehmend individuelle Triebkräfte dominierten. Selbst in größeren Schwellenländern wurden die externen Puffer abgebaut, die die Haushaltskonsolidierung erleichterten.
Wir sind zwar der Meinung, dass die negativen zyklischen und strukturellen Veränderungen in den Schwellenländern bereits zu einem großen Teil berücksichtigt sind – die schwierigen globalen Wachstumsaussichten und die fundamentale Fragilität in den aufstrebenden Volkswirtschaften sprechen aber unserer Meinung nach kurzfristig immer noch für Vorsicht.“
Von Armando Armenta, Senior Economist Global Economic Research, Katrina Butt, Senior Latin America Economist Fixed Income und Adriaan du Toit, Emerging Market Economic Research bei AllianceBernstein