In einem für Anleger schmerzhaften Jahr 2022 boten Gesundheitsaktien eine Quelle relativer Stabilität. Globale Gesundheitsaktien beendeten das Jahr mit einem Rückgang von nur 5,4 % in lokaler Währung und übertrafen damit den MSCI World Index, der um 18,1 % nachgab (Abbildung). Während der Markterholung im vierten Quartal legten Gesundheitsaktien um mehr als 13 % zu – und damit ebenfalls stärker als der Weltindex.
Was ist es also, das bei Gesundheitsaktien eine so solide Wertentwicklung sowohl in fallenden als auch in steigenden Märkten begünstigt? Und rechtfertigen diese Merkmale eine Investition in ein separates Einzelsektorportfolio?
Thematische Trends überdauern Konjunkturschwankungen
Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir verstehen, warum Gesundheitsaktien schon vor COVID-19 attraktiv waren. Gesundheitsaktien profitieren von langfristigen thematischen Trends, die von den Bemühungen angetrieben werden, die Auswirkungen von Krankheiten durch Therapien, Techniken und Dienstleistungen, die von Menschen bis zu Haustieren reichen, zu mildern. Der wissenschaftliche Fortschritt eröffnet neue Behandlungsmöglichkeiten und senkt gleichzeitig die Kosten. Und die Nachfrage nach Gesundheitspflege tendiert dazu, zyklische Schwankungen in der Wirtschaft zu überdauern.
Auch wenn das globale Wirtschaftswachstum vor großen Herausforderungen steht, kann die Wertentwicklung im Gesundheitswesen positiv bleiben. Das liegt daran, dass der wichtigste Motor für das Wachstum im Gesundheitswesen die Menschen sind.
Die weltweite demografische Entwicklung unterstützt das Wachstum im Gesundheitswesen auf unterschiedliche Weise. In den Industrieländern wird eine alternde Bevölkerung mehr Behandlungen erfordern. In den Schwellenländern treibt das schnellere Bevölkerungswachstum die Nachfrage nach Gesundheitsprodukten und -dienstleistungen in die Höhe, da die Gesellschaften wohlhabender werden und die Mittelschicht wächst. Diese demografischen Trends werden anhalten, unabhängig davon, was in der Gesamtwirtschaft geschieht.
Innovation für sich wandelnde Bedürfnisse
In vielerlei Hinsicht steht die technologische Revolution im Gesundheitswesen erst am Anfang – und sie geht über die Pharmazie hinaus. Die Robotik verändert bereits chirurgische Verfahren. Neue Diagnoseverfahren und biowissenschaftliche Instrumente können helfen, Krankheiten in einem früheren Stadium zu erkennen. Behandlungen für Alzheimer und Herz-Kreislauf-Erkrankungen werden helfen, die physischen und wirtschaftlichen Kosten des demografischen Wandels zu bekämpfen. Telemedizin und Digitalisierung bieten ein enormes Potenzial für eine bessere Patientenversorgung.
Auch die traditionelle Arzneimittelentwicklung wird neu definiert. Big Data könnte die Wirksamkeit von Arzneimittelversuchen verbessern. Die synthetische Biologie führt zu positiven Skaleneffekten in der medizinischen Industrie, einschließlich der Arzneimittelforschung, und ermöglicht die profitable Entwicklung personalisierter Behandlungen, selbst für seltene Krankheiten, von denen nur wenige Patienten betroffen sind.
Innovationen werden den Gesundheitssystemen auf der ganzen Welt dabei helfen, mit der Belastung durch steigende Kosten fertig zu werden – ein akutes Problem selbst für Länder mit staatlichen Gesundheitssystemen. In der Vergangenheit haben Innovationen im Gesundheitswesen die Preise tendenziell in die Höhe getrieben – im Gegensatz zur Technologie, wo Innovationen zu Preissenkungen führen. Vor 20 Jahren zahlten Krebspatienten beispielsweise etwa 200 US-Dollar pro Monat für eine Chemotherapie, und der Erfolg war begrenzt. Heute können einige Chemotherapien den Krebs oft erfolgreich und mit weniger Nebenwirkungen heilen, allerdings zu Kosten von 100.000 US-Dollar.
Das Spannungsverhältnis zwischen rascher Innovation und der Notwendigkeit, die Kosten einzudämmen, wird die Gesundheitsbranche auch weiterhin prägen – und gleichzeitig Chancen für Anleger schaffen. In den USA beispielsweise verpflichtet der kürzlich verabschiedete „Inflation Reduction Act“ die Pharmaunternehmen dazu, einige Arzneimittelpreise zu begrenzen oder zu senken. Während diese Gesetzgebung die Preise einiger Produkte unter Druck setzen könnte, wird sie unserer Meinung nach auch als Impuls für Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen dienen.
All diese Trends sind überzeugende Gründe, die für ein gezieltes und diversifiziertes Gesundheitsportfolio sprechen. Darüber hinaus tragen Unternehmen des Gesundheitswesens dazu bei, wichtige ökologische, soziale und die Unternehmensführung betreffende Herausforderungen zu bewältigen. Viele von ihnen sind auf das UN-Nachhaltigkeitsziel 3 ausgerichtet, das „ein gesundes Leben und die Förderung des Wohlergehens aller Menschen in jedem Alter“ anstrebt, mit Unterzielen, die auf die Bekämpfung von Krankheiten und die Förderung der Gesundheitsversorgung abzielen. Unternehmen des Gesundheitswesens haben in der Regel auch einen kleinen CO2-Fußabdruck.
Gesundheitsaktien als Kerndepotbestandteil
Unseres Erachtens kann das Gesundheitswesen eine wichtige Rolle bei der Aktienallokation spielen. Die Ausrichtung auf langfristiges, demografisch bedingtes Wachstum macht die Gesundheitsunternehmen weniger anfällig für das konjunkturelle Umfeld. Über die Humanmedizin hinaus ist die Tiergesundheit ein aufstrebendes Geschäftssegment, das durch steigende Ausgaben für Haustiere angetrieben wird, die bei einer Konjunkturabschwächung wahrscheinlich nicht nachlassen werden. In der gesamten Branche ist das Umsatzwachstum in unsicheren Zeiten relativ stabil, und viele Gesundheitsunternehmen verfügen über eine starke Preissetzungsmacht – ein wichtiges Attribut bei hoher Inflation. Die Gewinne haben sich im Allgemeinen in wirtschaftlich schwierigen Zeiten gut gehalten (Abbildung). Infolgedessen sind die Aktienkurse im Gesundheitssektor oft weniger volatil als in anderen Sektoren. Ein strategisch aufgebautes Gesundheitsportfolio kann Anlegern also sowohl offensive als auch defensive Eigenschaften bieten: solides Wachstumspotenzial in steigenden Märkten und weniger Abwärtsrisiko.
Natürlich gibt es Risiken zu beachten. Viele Gesundheitsunternehmen sind Wachstumswerte, deren Aktienkurse anfälliger für steigende Zinsen sind. Änderungen in der Gesetzgebung und Politik können sich auf die Geschäftsmodelle und Finanzprognosen der Unternehmen auswirken. Und die Aussichten für einzelne Unternehmen können vom wissenschaftlichen Erfolg oder Misserfolg in der Forschung und Entwicklung von Medikamenten beeinflusst werden, was sehr schwer vorherzusagen ist.
Deshalb sind wir der Meinung, dass Anleger im Gesundheitswesen nicht versuchen sollten, die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung vorherzusagen. Unserer Meinung nach ist es am besten, sich auf das eigentliche Geschäft der Unternehmen zu konzentrieren. Selbst die besten Wissenschaftler der Welt können die Ergebnisse von Medikamententests nicht zuverlässig vorhersagen, warum also sollten Anleger darauf setzen? Mit einem klaren Fokus auf Geschäftsgrundlagen und profitable Unternehmen im gesamten Sektor kann ein Portfolio diversifizierter Gesundheitsaktien als wirksames Gegenmittel gegen Marktvolatilität dienen, indem es ein starkes risikobereinigtes Ertragspotenzial in Zeiten schwankender gesamtwirtschaftlicher Bedingungen bietet.
Vinay Thapar, CFA, Co-Chief Investment Officer and Senior Research Analyst, US Growth Equities, AllianceBernstein