Die Weltwirtschaft hat sich im zweiten Quartal als bemerkenswert widerstandsfähig erwiesen. Seitdem haben sich die Aussichten zwar nicht wesentlich verbessert, doch die Abwärtsrisiken in Bezug auf den schleppenden Wachstumspfad, der nach wie vor unser Basisszenario darstellt, haben eindeutig abgenommen. Das Risiko einer bevorstehenden harten Landung der Wirtschaft ist heute geringer als noch vor drei Monaten.
Entscheidend für diese Widerstandsfähigkeit ist in den entwickelten Volkswirtschaften vor allem der Arbeitsmarkt. Das Beschäftigungswachstum ist nach wie vor stark, die Arbeitslosigkeit niedrig und das Lohnwachstum hat in den meisten großen Volkswirtschaften mit der Inflation Schritt gehalten, wobei Großbritannien eine Ausnahme darstellt. Dies ermöglicht es Privathaushalten, Unebenheiten im Konjunkturzyklus zu glätten und schwierige Phasen zu überstehen.
Unterdurchschnittliches Wachstum bis 2024
Zwar belasten die Zinserhöhungen bereits die Wirtschaftsaktivität in vielen Sektoren und viele Haushalte haben begonnen, ihre während der Pandemie angesammelten Ersparnisse anzubrechen. Es ist allerdings fraglich, ob dies letztendlich zu einer Rezession führt – und selbst wenn ein Abschwung eintreten sollte, deutet alles darauf hin, dass er im Vergleich zu den jüngsten historischen Standards mild ausfallen wird. Wir erwarten deshalb keinen scharfen Rückgang, sondern eine längere Phase unterdurchschnittlichen Wachstums, die bis 2024 andauern wird.
Es mag seltsam klingen, doch ausgerechnet die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit ist die Ursache für die schleppende Konjunktur. Denn: Ein robustes Wachstum, insbesondere auf den Arbeitsmärkten, bedeutet, dass die Inflation weltweit nur langsam zurückgehen dürfte. Eine hartnäckige Inflation wiederum wird die Zentralbanken wahrscheinlich dazu zwingen, die Zinssätze stärker als erwartet anzuheben und die Leitzinsen erst einmal in einem restriktiven Bereich zu halten.
So sahen sich die Zentralbanken mehrerer Länder, insbesondere Australiens und Kanadas, bereits gezwungen, die Zinssätze wieder anzuheben, nachdem sie in Erwartung nachlassender Inflationsrisiken ein Ende der Straffung signalisiert hatten. Sowohl die Federal Reserve (Fed) als auch die Europäische Zentralbank (EZB) haben angedeutet, dass die Zins-Endrate wahrscheinlich höher ausfallen wird als erwartet. Außerdem sah sich die Bank of England (BoE) mit einer erneuten Beschleunigung der Inflation konfrontiert, was zu einem wesentlich höheren Zinsprofil führte als ursprünglich angenommen.
Grundsätzlich ist aus Sicht der Märkte ein anhaltend unter dem Trend liegendes Wachstum Grund zur Vorsicht, aber nicht zur Panik.
Risiken: Harte Landung Chinas möglich
Der laufende geldpolitische Straffungszyklus hat zwar noch nicht zu dauerhaften Störungen an den Finanzmärkten geführt, aber die Vergangenheit zeigt, dass Straffungszyklen oft in finanziellen Turbulenzen enden. Auch China bleibt ein Abwärtsrisiko. Das Wachstum zog zwar kurzzeitig an, als die Null-COVID-19-Politik des Landes aufgehoben wurde. Die jüngsten Daten deuten jedoch darauf hin, dass zusätzliche politische Anreize erforderlich sein werden, um die Wirtschaft auf Kurs zu halten. Sollte dieser Stimulus zu gering ausfallen oder zu spät kommen, könnte sich eine harte Landung Chinas als disruptiv erweisen. Und natürlich ist die für die gesamte westliche Welt erwartete Disinflation noch keine Realität. Zwar wird die Inflation sich im Laufe des Jahres verlangsamen, der Weg zum Inflationsziel ist allerdings noch lang.
Von Eric Winograd, Director—Developed Market Economic Research bei AllianceBernstein